Wenn Alfred Goldenberg über die Jewrovison redet, werden seine Augen ganz wach. Wären sie Diskokugeln, könnten sie in diesem Moment den Negev bei Neumond ausleuchten, so hell strahlen sie. Man merkt, wie in seinem Kopf die Erinnerungen an Farbe gewinnen.
Der 35-Jährige spricht immer schneller. Sein Lächeln wird mit jedem Wort breiter. Seine Begeisterung ist derart ansteckend, dass einem ganz wehmütig werden kann, weil man feststellt, dass man bei der ersten Ausgabe des Musikwettbewerbs, als die Dortmunder »mit Orchester und richtig viel Tamtam ankamen«, gar nicht dabei war. Zwar sei es damals noch recht unprofessionell gewesen, aber es war ein Ereignis, bei dem jeder mit Herzblut dabei gewesen sei. »Ich stand hinten am Mischpult, habe zwei Taschenlampen in der Hand gehalten und damit nebenbei die Lightshow gemacht.«
Gründungsmythos Was vor 15 Jahren im beschaulichen Bad Sobernheim passiert sein muss, klingt in den Erzählungen von Alfred Goldenberg schon fast nach einer Art Gründungsmythos. Sechs Jugendzentren aus der ganzen Bundesrepublik verabredeten einen gemeinsamen spaßigen Abend. Was als improvisierte Show mit Gesang, Tanz und Lust am Verkleiden als Teil einer Jugendfreizeit beginnt, wird auf einen Schlag zum Festival, als Emuna Dortmund völlig überraschend die ganz große Show abfeiert und verdient gewinnt. Der Siegesdurst der Konkurrenz ist damit für das kommende Jahr geweckt.
Etwa 120 Jugendliche haben 2002 mitgemacht. »Da hatte dann jeder einen Job, der dabei war – Bühnenbild, Maske, Kostüm«, erzählt Goldenberg. Den Kern der Veranstaltung bildeten ausschließlich die Kids und ihre Betreuer. Das hat sich nach wenigen Jahren schon komplett gewandelt. »Vor ein paar Jahren war ich in München. Wahnsinn, was da aufgeboten wurde. Tausend Menschen, professionelle Moderation, das war schon alles sehr beeindruckend.«
Dieses Jahr werden am 6. Februar etwa 1200 junge Menschen um die Wette jubeln, wenn 18 jüdische Jugendclubs ihre Vertreter ins Rennen schicken. »Und dieses Jahr gibt es ja zum ersten Mal das Angebot, dass so alte Säcke wie ich tatsächlich auch offiziell mitfahren dürfen«, sagt Goldenberg und meint damit das Mini-Machane, das schon am 5. Februar beginnt und bis zum Sonntag die Jewrovision flankiert.
Dass die Jewrovision selbst zu einem Schlager werden würde, hätten die Erfinder eigentlich vorhersehen können. Das große Vorbild, der Eurovision Song Contest, wird in Deutschland und Israel gleichermaßen heiß geliebt. Alljährlich im Mai ergeben sich zwischen Flensburg und Passau die Deutschen ihrer inbrünstigen Lust am Trash und müssen nach dem sechsten Glas Crémant wieder das Scheitern feststellen, wenn es heißt: »L’Allemagne, zéro points.«
Mitfiebern »War ja klar«, lallt es dann durch deutsche Wohnzimmer. Wer hingegen den Titel im weltgrößten Wettbewerb nach Israel holt, was immerhin schon dreimal gelang, sollte keine Phobie vor nackten, durchtrainierten Männerbrüsten haben. Bei einem Gewinn wird der Künstler geradezu automatisch für die kommenden Jahrzehnte zum Headliner der Gay Pride in Tel Aviv. Hier wie dort, das Konzept kommt an und erfüllt zuverlässig die Wünsche des Publikums.
Die Jewrovision war also zum Erfolg verdammt. »Das entspricht ja der allgemeinen Mode«, sagt Alfred Goldenberg. »Star sein, singen, zeigen, was man kann oder nicht kann.« Wie beim internationalen Vorbild durfte auch bei der Jewrovision zunächst immer die Gewinnerstadt den Wettbewerb im folgenden Jahr austragen.
2011 wurde diese Regel geändert, und eine Stadt konnte, auch ohne zu gewinnen, den Wettbewerb ausrichten. Als positiver Nebeneffekt kam die Jewrovision auf diese Weise auch mal nach Hamburg. Die Musikmetropole an der Elbe mag vielleicht die Beatles groß gemacht haben, beim jüdischen Musikfestival hat aber noch kein Hanseat ganz oben auf dem Siegertreppchen gestanden.
Australien Während die Eurovision mittlerweile schon Australien einlädt, wächst auch die Jewrovision über sich hinaus – mit immer professionelleren Shows.
Veranstalter ist seit einigen Jahren schon der Zentralrat der Juden, der die Show als größtes Event der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland anpreist. Es stellt sich also unweigerlich die Frage, was der jüdische Sängerwettstreit in Zukunft bereithält. »Es könnte sich ja dahin entwickeln, dass der Gewinner bei der Kandidatur um den Eurovision Song Contest teilnimmt«, schlägt Goldenberg vor.
Der Kern der Veranstaltung sei aber ohnehin etwas ganz anderes: »Es ist eine seltene Möglichkeit für junge Juden, andere junge Juden aus der ganzen Republik zu treffen. Ganz so wie ein großes Klassentreffen.« Da versteht man auch sofort die Vorfreude und warum seine Augen so aufleuchten.