Mit knapp 300 Anmeldungen war die Tagung der »European Union for Progressive Judaism« (EUPJ) in diesem Jahr schon vor Wochen restlos ausgebucht. Ende vergangener Woche trafen sich nun liberal orientierte jüdische Frauen, Männer und Jugendliche aus insgesamt 20 europäischen Ländern sowie Israel und Amerika in Dresden, um sich vier Tage lang mit dem Thema »Faith in Action« – »Glaube im Handeln« – in Workshops und Diskussionsrunden auseinanderzusetzen.
Die EUPJ tagt alle zwei Jahre an wechselnden Orten in Europa. Dresden ist die erste ostdeutsche Stadt überhaupt, in der die progressiven Juden einen solchen Kongress ausrichteten. Die EUPJ wurde bereits 1926 in London gegründet. Sie ist Teil der Weltverbandes WUPJ und mit 1,8 Millionen Mitgliedern der weltweit größte jüdische Dachverband.
Revitalisierung Das Treffen in Dresden diente zugleich auch einer innerjüdischen Standortbestimmung in einem sich dynamisch wandelnden Europa. EUPJ-Präsident Leslie Bergman sprach zur Eröffnung im Kurländer Palais von gewaltigen Herausforderungen bei der Revitalisierung und Begleitung jüdischen Gemeinschaftslebens auf dem Alten Kontinent. Sonja Guentner, die Vorsitzende der Union Progressiver Juden in Deutschland (UPJ), betonte ihrerseits: »Wir wollen uns über gelebten Glauben austauschen, aber auch über Gerechtigkeit und Tikkun Olam, über egalitäre Synagogen und egalitäre Gesellschaften.«
Aktuelle Entwicklungen boten zusätzlichen Diskussionsstoff. Und während mit Freude registriert wurde, wie erfolgreich und vital sich das progressive Judentum derzeit in Ländern wie Polen und Spanien entwickelt, sind zumindest die äußeren Umstände in anderen Ländern schwieriger geworden. Dies betrifft nicht zuletzt Ungarn, wo das 2011 von der Regierung Orbán eingeführte Kirchengesetz zu einer klaren Benachteiligung religiöser Minderheiten geführt hat – einschließlich der jüdischen.
Ukraine Anders geartete Sorgen machten sich die Teilnehmer über die jüdische Gemeinschaft in der Ukraine, wo die Gefahr eines Bürgerkrieges signifikant gestiegen ist und die Minderheiten des Landes nun einem deutlich höheren Sicherheitsrisiko ausgesetzt zu sein scheinen. In diesem Zusammenhang hatte der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, schon am ersten Eröffnungstag angedeutet, dass der deutsche Dachverband sich möglicherweise für eine sehr kurzfristige Aufnahme von jüdischen Flüchtlingen aus der Ukraine in der Bundesrepublik Deutschland starkmachen werde, sollte die Situation dort noch weiter eskalieren.
Die Jüdische Gemeinde Dresden, die seit eineinhalb Jahren von dem jungen Rabbiner Alexander Nachama begleitet wird, bereitete den Delegierten einen sehr warmherzigen Empfang. In den Räumen des Gemeindezentrums nahe der Elbe fand zeitgleich zur EUPJ-Tagung ein deutschlandweites Treffen jugendlicher Ehrenamtlicher (Madrichim) der Bewegung »Jung und Jüdisch« statt.
»Wir konnten hier viel dazulernen, wie man jüdische Bildung für Kinder und Jugendliche einfach origineller gestaltet«, berichtete Joel Michalowitz aus Hannover. »Die Stimmung war einfach toll, und wir konnten uns in die EUPJ-Tagung selbst sehr sinnvoll einbringen«, ergänzte Yana Abramova aus Essen. »Unser Workshop zu progressivem Judentum in Deutschland heute stieß jedenfalls auf viel Interesse.«
Flexibilität »Faith in Action«, das übergreifende Tagungsthema, erwies sich gleichwohl als keine einfache Materie, zumal sich in Workshops und Einzelgesprächen zeigte, dass die Vorstellungen von Glaube und gelebtem Judentum gerade unter liberalen Juden sehr unterschiedlich ausfallen können. Ein Umstand, der besonders viel Flexibilität und Toleranz in der Diskussion erfordert, zugleich aber sehr kreative Ergebnisse bereithalten kann.
Zu den theologischen Höhepunkten der Tagung gehörte auch ein Gespräch zwischen dem Direktor des Abraham Geiger Kollegs Potsdam, Rabbiner Walter Homolka, und der Direktorin des Leo Baeck College in London, Rabbinerin Deborah Kahn-Harris, zum Thema »Theodizee im 21. Jahrhundert«. Die anschließende, sehr lebhafte Diskussion beschäftigte sich nicht zuletzt auch mit der Frage, wie Auschwitz und der Genozid an den europäischen Juden theologisch verarbeitet werden können – oder eben nicht.
Israel Konsens zeigten die EUPJ-Delegierten in ihrer Verbundenheit mit Israel, auch und gerade bei inneren Problemen und Herausforderungen. Anat Hoffman vom »Israel Religious Action Center« (IRAC), das liberale Initiativen wie »Women of the Wall« in Jerusalem unterstützt, erwähnte in ihrem Vortrag, dass auch in Israel die progressiven Gemeinden an Größe und Wirkung deutlich zulegen.
»Zu unseren jetzt vordringlichen Zielen«, so Hoffman, »gehört die staatliche Anerkennung von Eheschließungen, die nichtorthodoxe Rabbiner durchführen, und der Kampf gegen Rassismus in der israelischen Gesellschaft. Bitte unterstützen Sie uns dabei!«, rief sie die Delegierten aus den anderen Ländern auf.
Rabbiner Nachama, der zusammen mit dem amerikanischen Rabbiner Richard A. Block die nahezu überfüllten Gottesdienste in der modernen Dresdner Synagoge leitete, freute sich schließlich gemeinsam mit der gesamten einheimischen Gemeinde: »Das war ein großes Erlebnis für uns alle, und davon werden wir sicher noch eine Weile zehren.«