Elf Mädchen und Jungen im Alter von zehn bis 13 Jahren beugen sich konzentriert über mehrere Arbeitstische. Vor ihnen liegen großformatige Porträts. Mit scharfen Messern schneiden die Kinder die Silhouetten der Gesichter aus Transparentpapier aus. Hier entstehen Graffiti-Schablonen, mit denen die Heranwachsenden später die Gesichter an eine Gedenkwand sprühen wollen.
Alle zwölf Bilder zeigen Menschen, die in den letzten 20 Jahren in Deutschland umgebracht worden sind – wegen ihrer Religion, ihrer Hautfarbe, ihrer sexuellen Orientierung, einer Behinderung, weil sie Sinti oder Roma waren, keinen festen Wohnsitz hatten und obdach- los waren.
Die Graffiti-Bilder sind ein zentraler Teil des jüdisch-muslimischen »Köfte Kosher Jugendprojekts«, das jetzt in Bremen stattfindet. Es dauert noch bis zum kommenden Dienstag. Fünf Mädchen und sechs Jungen beschäftigen sich mit rechter Gewalt in Deutschland, mit Diskriminierung und mit Zivilcourage. Gleichzeitig lernen sie sich gegenseitig kennen und erfahren, was sie miteinander verbindet.
Die Kinder sind aus der jüdischen Gemeinde und aus der islamischen Religionsgemeinschaft Schura Bremen zu dem Projekt gekommen. Organisiert hat es die aus der Schweiz stammende Künstlerin Elianna Renner, die sich zuvor schon künstlerisch mit dem Thema Antisemitismus auseinandergesetzt hat.
Projekt Im Zentrum des Projekts stehen die zwölf Menschen, über die die Kinder bereits gehört haben, wer sie waren und warum sie umgebracht worden sind. Numan hat erfahren, dass die Frau auf seinem Bild, die ihn mit ihrem Kopftuch an seine Mutter erinnert hat, Marwa El-Sherbini hieß und eine ägyptische Handballspielerin war. Sie ist in einem Gerichtssaal in Dresden erstochen worden, als sie dort als Zeugin gegen einen Mann aussagen wollte, der sie als »Terroristin« und »Islamistin« beschimpft hatte.
Eine Zwölfjährige, die ihren Namen nicht nennen möchte, arbeitet an einem Bild von Karl-Hans Rohn. Sie weiß über ihn, dass er in einem Kneipengespräch behauptet hatte, Jude zu sein, und deshalb von Neonazis mit Schnaps übergossen und angezündet worden ist. »Es ist ein schwieriger Spagat, einerseits den Kindern zu vermitteln, was mit diesem Menschen geschehen ist, und ihnen andererseits keine Angst zu machen«, räumt Irina Drabkina-Sow ein, eine der Mitarbeiterinnen des Projekts.
»Am Anfang der Woche haben die Kinder erzählt, welche Erfahrungen sie selbst mit Diskriminierung gemacht haben. Oft sind das Erlebnisse in der Schule, etwa weil jemand anders aussieht«, sagt Elianna Renner. Eine andere Zwölfjährige erzählt, dass sie schon einmal von mehreren Jugendlichen beschimpft, geschubst und geschlagen worden ist, während ihre Freundin aus sicherer Entfernung zugesehen und darüber gelacht hat.
erfahrung Vor diesem Hintergrund betont Renner: »Wir wollen da nicht stehen bleiben: Wir wollen den Kindern Mut machen, ihr Selbstbewusstsein stärken und ihnen Zivilcourage beibringen.«
Damit hat die zwölfjährige Sara schon Erfahrung: Sie hat sich für ihre Freundin eingesetzt, die wegen »einer Verletzung an den Augen« immer von den Jungen aus ihrer Klasse geärgert worden ist, aber Angst hatte, sich zu wehren. Also haben Sara und ihre Schwester der Mutter und der Lehrerin davon erzählt und damit erreicht, dass ihre Freundin nicht mehr länger geärgert wurde.
Der 13-jährige Enes berichtet, er habe früher Kontakt mit Kindern gehabt, die sich über einen dunkelhäutigen Mann lustig gemacht hätten. »Das hat mir nicht gefallen, deshalb habe ich den Kontakt verringert.« Er sagt: »Wenn jemand einen anderen Glauben oder eine andere Hautfarbe hat, dann ist das so und das respektiere ich.«
Begriffe »Jeden Tag erklären wir einige Begriffe, denen die Kinder ständig begegnen, die sie aber vielleicht noch nicht verstehen, beispielsweise Antisemitismus, Rassismus, Muslimfeindlichkeit oder Homophobie«, erklärt die Teammitarbeiterin Irina Drabkina-Sow.
In den ersten Projekttagen haben die Kinder sich dann mit dem Anfertigen der Graffiti-Schablonen beschäftigt. Zum Projekt gehört außerdem, dass jeden Tag zwei oder drei Kinder den Umgang mit Filmkamera und Mikrofon lernen. Die Regisseurin Döndü Killic zeigt ihnen, wie sie selbst ihr Projekt in einem Film dokumentieren können.
Beim gemeinsamen Mittagessen erzählt immer ein anderer Gast den Jungen und Mädchen von seiner Arbeit. Die Eingeladenen sind in Beratungsstellen tätig oder unterstützen Menschen, die leicht Opfer von rechter Gewalt werden können. Sie treffen eine Jugendarbeiterin, die mit Kindern aus Roma-Familien zusammenarbeitet, einen Streetworker, der sich um Obdachlose kümmert, einen Berater, der bei Fragen zu gleichgeschlechtlichen Lebensweisen hilft, oder die Leiterin des Mädchenkulturhauses in Bremen.
Zum Abschluss des Projektes am 10. April werden die elf Mädchen und Jungen dann ihre Gedenkwand mit den Porträts der Bremer Öffentlichkeit vorstellen.
www.koeftekosher.wordpress.com