Kelly Zehe ist noch immer ziemlich baff: Dass ihr Vortrag zu »Superhelden in der Popkultur und ihr jüdischer Hintergrund« so viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer anlocken würde, das hätte die Kostümdesignerin und Kulturhistorikerin nicht gedacht.
Die Handouts, erzählt die Berlinerin, hätten nicht gereicht. »Parallel liefen drei Gottesdienste, und mein Vortrag war vielleicht ein bisschen an die gerichtet, die nicht vorhatten, zum Gottesdienst zu gehen.« Mit zehn bis 15 Leuten habe sie gerechnet – letztendlich waren es aber 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
Das zeigt: Bei Limmud ist vieles möglich. Drei Tage trafen sich fast 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der Villa Seligmann in Hannover, diskutierten, hörten zu, backten, verkosteten, beteten, sangen, waren einfach nur zusammen.
Zum Vortrag über jüdische Superhelden kamen viele Besucher.
»Das Festival selbst war super! Wunderschön. Die Location ist unglaublich. Die Organisatoren haben alles gegeben. Es gab das beste große Büfett der Welt. Alles war top organisiert. Die Bandbreite der Vorträge hat mich beeindruckt: von sehr leicht und sehr verspielt bis hin zu sehr schwer und sehr traurig«, schwärmt Zehe, die, wenn sie das Lern-Festival bewerten sollte, zehn von zehn Punkten vergeben würde.
FREUNDLICHKEIT Auch Frauke Ohnholz, Organisatorin von Limmud, fasst das Treffen mit viel Lob zusammen: »Das Wochenende war großartig, fantastisch und hat alle Erwartungen übertroffen. Besonders bemerkenswert war die absolute Freundlichkeit, die – egal wie stressig eine Situation wurde – nie verschwand.« Alle, vom Sicherheitspersonal bis zum Caterer und den Teilnehmern, seien absolut freundlich geblieben, sagt sie. »Das war eine ganz, ganz wunderbare Erfahrung. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Villa Seligmann haben uns sehr willkommen geheißen und enorm unterstützt.«
Es gab allerhand zu tun: In der Küche mussten Challot geflochten und Desserts dekoriert werden, die Vortragsräume waren vorzubereiten, es wurden Stühle getragen, Mikrofone an die richtigen Orte gebracht – alles ganz nebenbei.
Und wenn die Stühle einmal nicht ausreichten, dann setzten sich die Gäste einfach auf die Treppe der »Großen Halle« in dem über 100 Jahre alten Haus.
PANEL Wie am Freitagnachmittag, lange vor Schabbat, als Zentralratsgeschäftsführer Daniel Botmann, die Co-Vorsitzende des Jüdischen Liberal-Egalitären Verbands (JLEV), Rebecca Seidler, sowie die Judaistin und Masorti-CEO Eva Frenzen den Fragen nachgingen: »Wer repräsentiert wen? Wie zeitgemäß sind unsere jüdischen Institutionen?« Dass dieses Thema für viele Limmud-Teilnehmerinnen und Teilnehmer relevant ist, erklärte Botmann: »Viele Teilnehmer wünschen sich einen starken Zusammenhalt der jüdischen Gemeinschaft. Das war vielen Wortbeiträgen zu entnehmen.«
Der Skandal um das Potsdamer Abraham Geiger Kolleg habe zu Rissen innerhalb der jüdischen Community geführt. Deswegen betonte er: »Wir sind keine große Community, und Brüche untereinander können wir uns nicht leisten. Wir müssen zusammenstehen, in der Vielfalt, in der Pluralität, die uns ausmacht.« Denn »eine jüdische Gemeinschaft, die engagiert ist, die zusammen und füreinander einsteht und die ihren Platz in der Gesellschaft selbst bestimmt, das sollte unser aller großes Ziel sein. Und sich dafür zu engagieren, war der große Konsens bei der Diskussion«, so Botmann.
Auch Rebecca Seidler blickt auf eine interessante Podiumsdiskussion zurück: »Es war ein lebendiger Austausch über die einzelnen Institutionen und die Herausforderungen der kommenden Zeit.« Man sei sich relativ schnell einig gewesen, »dass es einige Bereiche gibt, die uns verbinden. Zum Beispiel der Kampf gegen Antisemitismus, der nicht weniger wird. Insbesondere hierbei ist es auch wichtig, Ressourcen zu bündeln und als Gemeinschaft aufzutreten«. Die Gräben, die es vielleicht auch innerhalb dieser Strömungen und Institutionen in der Vergangenheit gegeben habe, seien überwunden, sagt Seidler, es gehe hier um eine gute und enge Zusammenarbeit. Das habe die Veranstaltung gezeigt. »Ich glaube, dass das ein wichtiges Signal ist.«
MUSIK Limmud, das sind spannende Diskussionen, aber das sind auch Kunst, Begegnung und Musik. Und die kam unter anderem von der Sängerin Maria »Mascha« Raykhman – besser bekannt als Masha The Rich Man. Ihr Album Sheyne Ziere ist eine Reise zu ihren Wurzeln. Ein musikalischer Blick auf das vierjährige Kind, das mit seinen Eltern, dem Bruder und der Großmutter aus Kiew nach Süddeutschland kam.
Ihrer Oma ist auch der Song »Sheyne Ziere« gewidmet. »Was für ein wunderschönes Wochenende ich in der Villa Seligmann hatte«, schreibt Raykhman auf ihrem Instagram-Account. »Danke für alles, was ich gelernt habe, für alle, die ich kennenlernen durfte, und für so ein warmherziges Publikum.« Wer aus so vielen Veranstaltungen – vom Workshop »Jüdisches DIY Tzitzit selber machen« über »Ashkenazi Herbalism« bis hin zu »Jüdische Inhalte – Kinderleicht!« – das Richtige für sich gefunden hatte, aus dem wurde vom Vortragenden schnell auch ein Zuhörer. Denn das ist das Motto von Limmud: »Jeder kann Lehrer sein, und jeder soll Schüler sein.«
»Wir müssen zusammenstehen, in der Vielfalt, in der Pluralität, die uns ausmacht.«
Daniel Botmann
Kelly Zehe wurde bei einem Workshop zu »J-Fashion« zur Schülerin. »Das sind ganz junge Leute, vielleicht Anfang 20. Sie bedrucken T-Shirts und Taschen mit versteckten jüdischen Botschaften. Ich habe zwei Workshops mitgemacht und fand beide toll.«
GEMEINSCHAFT Limmud, sagt Zentralratsgeschäftsführer Daniel Botmann, »ist eine kleine und feine Lern- und Diskussionsplattform, wo Jüdinnen und Juden zusammenkommen, um sich zu jüdischen Themen auszutauschen und zu lernen, über aktuelle Diskurse zu debattieren und das jüdische Zusammengehörigkeitsgefühl zu stärken«. Dies alles geschehe »in einer offenen und einladenden Atmosphäre. Es wird nicht das Spaltende, sondern das Verbindende gesucht und betont. Das stärkt unsere Gemeinschaft«. Deshalb »ist es dem Zentralrat der Juden auch seit vielen Jahren wichtig, Limmud finanziell und ideell zu fördern«.
Wie sich das Programm 2024 gestalten könne – Frauke Ohnholz hat da schon eine Vorstellung: »Das Team möchte nächstes Jahr wieder für vier Tage zusammenkommen.« Nach diesen drei Tagen »sind wir alle noch sehr beflügelt. Das Festival macht immer Spaß, und wir merken an der Reaktion der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, wie sehr es sich gelohnt hat«.