Applaus tönt durch das Ariowitsch-Haus, das jüdische Kulturzentrum in Leipzig. Stimmengewirr erhebt sich. Zuhörer suchen ihre Jacken und strömen die große Treppe hinauf, während oben am Eingang schon andere warten, um die Plätze der Gehenden einzunehmen. Eile ist angesagt, gleich fängt die nächste Lesung an, der Autor hat die Bühne schon betreten.
Es ist Buchmesse in Leipzig, und das jüdische Kulturzentrum beteiligt sich mit einem Lesemarathon daran. Unter dem Titel »Jüdische Lebenswelten« wird ein abwechslungsreiches Programm geboten: Romane und Sachbücher, Reiseliteratur und Biografien. Im Stundentakt werden hier – veranstaltet vom Club Bertelsmann, der Zeitschrift Cicero und der Stanford University – Bücher von Autoren präsentiert, die, so formulieren es die Veranstalter, »durch das Schicksal ihrer Familien mit dem jüdischen Thema verwurzelt« sind.
Einer von ihnen ist Yuval Noah Harari. In Israel ist der 38-jährige Geschichtsprofessor eine Art Superstar. Sein jüngstes Buch, in Deutschland eben erst unter dem Titel Eine kurze Geschichte der Menschheit erschienen, ist dort bereits ein Bestseller, seine Vorlesungen werden bei YouTube zehntausendfach aufgerufen, sogar eine eigene TV-Show hat man ihm angeboten.
In Leipzig begegnet man dem Historiker mit freundlichem Interesse. Sein Buch will nicht weniger erzählen, als es der Titel ankündigt, und als ihn Moderatorin Shelly Kupferberg fragt, wie man ein solches Buch schreibt, sagt er, sein wichtigstes Handwerkszeug sei die »Löschen«-Taste seines Computers gewesen. Dann liest die Schauspielerin Artemis Chalkidou einige Textpassagen vor und ist auch schon wieder am Schluss, denn auf der Treppe zum Ausgang sitzt bereits Jutta Ditfurth und wartet auf ihren Auftritt.
Sie hat ein Buch über den Antisemitismus des preußischen Adels im Allgemeinen und den ihrer Vorfahren im Besonderen geschrieben, das den klingenden Titel Der Baron, die Juden und die Nazis trägt. Heute Abend wird sie nicht nur über das Buch selbst sprechen, sondern auch über ihre Motivation, es zu schreiben, und die Reaktionen darauf.
Und wieder wechselt das Publikum, manche bleiben einfach sitzen und rutschen etwas beiseite, um den Neuankömmlingen Platz zu machen. Im Durchschnitt sind es etwa 80 Menschen, die die Lesungen hören, schätzt ein Helfer. Die bekannteren Namen – unter ihnen auch Abraham B. Jehoschua oder Andreas Altmann – ziehen mehr Publikum an. Die meisten Besucher kommen gezielt zu einer Lesung – und nehmen dank des straffen Organisationsablaufs noch andere mit.
»Wir sind wegen Jutta Ditfurth gekommen«, erzählt eine Dame mittleren Alters, »und sind so froh, dass wir zu früh hier waren und Yuval Harari noch mitbekommen haben. Leider haben wir einen Tisch reserviert, sonst würden wir noch bleiben.« Ein Herr war mit seiner Tochter da, um David Safier zu sehen. Das Mädchen hält inzwischen glücklich ihr frisch signiertes Exemplar seines Romans 28 Tage in Händen. Leise gehen sie Richtung Ausgang – die nächste Lesung hat schon angefangen.
Das Ariowitsch-Haus ist übrigens nicht nur zur Buchmesse geöffnet. Schon am 20. März geht es in der Hinrichsenstraße wieder um Literatur. Unter der Überschrift Herzland Bukowina wird deutsch-jüdische Dichtung aus Osteuropa vorgestellt. Und auch die Autoren sind nicht für immer aus der Welt. Yuval Harari etwa hofft, im Sommer auf Lesetour nach Deutschland zu kommen.