Die Leipziger Buchmesse zählte 2020 zu den ersten Großveranstaltungen, die wegen der Corona-Pandemie abgesagt werden mussten. Doch auch diesmal kann die Leipziger Buchmesse nicht vor Ort stattfinden. Eine Gelegenheit, Autoren zu begegnen und neue Bücher zu entdecken, besteht dennoch. Vom 27. bis 30. Mai bringt eine Extra-Ausgabe des Festivals »Leipzig liest« etwa 350 Veranstaltungen nach Leipzig – live in der Stadt und vor allem online.
Das Kultur- und Begegnungszentrum Ariowitsch-Haus, alljährlicher Veranstaltungsort für »Leipzig liest«, beteiligt sich am 27., 28. und 29. Mai mit drei digitalen Lesungen am Festivalprogramm. Unter dem Titel »Jüdische Lebenswelten« präsentieren Mirna Funk, Judith Fanto und Hans von Trotha jeweils um 20 Uhr ihre neuen Romane.
Wurzeln Am 27. Mai steht Judith Fantos Debüt Viktor im Fokus eines Lese- und Gesprächsabends. Die 1969 geborene Juristin, Journalistin und Autorin erzählt von der im niederländischen Nimwegen lebenden Studentin Geertje, die sich in den 90er-Jahren auf die Suche nach den verschütteten und verschwiegenen jüdischen Wurzeln ihrer Familie begibt. »Überschattet von den Ereignissen des 20. Jahrhunderts, lebt Geertjes Familie noch immer so, als wäre der Krieg nie zu Ende gegangen.«
Die Protagonistin sucht vor allem nach den Spuren eines schillernden Angehörigen: Viktor, der sich in der boomenden k.u.k. Metropole Wien nach 1900 zu einem Außenseiter in seiner arrivierten jüdischen Familie entwickelt. »Er ist von einem Geheimnis umgeben, das nichts mit seinen Frauengeschichten und anderen zweifelhaften Machenschaften zu tun haben kann.« Der Roman basiert auf der wahren Geschichte der Wiener Familie Fanto.
Am 28. Mai stellt Mirna Funk ihren zweiten Roman Zwischen Du und Ich vor. Die 1981 in Ost-Berlin geborene Journalistin und Schriftstellerin erzählt die Geschichte der Berliner Jüdin Nike, die eine berufliche Gelegenheit nutzt, um ihr in vielerlei Hinsicht belastetes deutsches Leben für einige Zeit hinter sich zu lassen und nach Tel Aviv zu ziehen. Dort begegnet sie zufällig dem eigenbrötlerischen Haaretz-Kolumnisten Noam – und sie kommen sich näher. Noams Onkel Asher möchte Nike unterdessen aus dem Leben des auf ihn angewiesenen Neffen drängen.
»Furchtlos und berührend erzählt Mirna Funk von der Gewalt, die in Nikes und Noams Familiengeschichten steckt«, ist in der Verlagsankündigung zu lesen. Und tatsächlich gelingt es Funk, die Härten des Lebens in Israel ebenso präzise und ungefiltert zu zeichnen wie dessen Intensität und Kostbarkeit. Nicht nur die Schilderung von Nikes Besuch in der Schoa-Gedenkstätte Yad Vashem auf den Spuren ihrer deutsch-jüdischen Familie lässt den Leser atemlos zurück.
Roman Zum Abschluss der digitalen Lesereihe präsentiert der Berliner Publizist, Kurator und Berater von Kulturinstitutionen Hans von Trotha seinen Roman Pollaks Arm. Er lässt den weltberühmten Archäologen und Kunsthändler Ludwig Pollak (1868–1943) am Vorabend einer SS-Razzia in Rom seine Lebensgeschichte erzählen.
»Wie er in Prag Archäologie studiert hat, von seiner Leidenschaft für Rom und für Goethe, von der Arbeit am Museo Baracco und vor allem, da ihm als Juden eine akademische Karriere verwehrt blieb, als renommierter Kunsthändler und seinem spektakulärsten Fund, dem fehlenden Arm der Laokoon-Gruppe.« Ludwig Pollak wurde am 16. Oktober 1943 mit seiner Familie in seiner römischen Wohnung verhaftet und nach Auschwitz deportiert, wo er starb. Hans von Trothas Roman spielt am Vorabend der Verhaftung, als eine vom Vatikan angebotene Flucht und Rettung noch möglich erscheint. Eugen El