Im vergangenen Jahr hatte die Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, eine nachgeordnete Einrichtung des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, das Themenheft Antisemitismus herausgebracht. Die Publikation war in Kooperation mit dem Beauftragten der Bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, Ludwig Spaenle (CSU), entstanden.
Dem folgte nun, auch an die Feierlichkeiten »1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland« anknüpfend, die Publikation Jüdisches Leben in Deutschland. In ihr kommen ausschließlich innerjüdische Stimmen aus Deutschland zu Wort. Dabei sei es ihnen wichtig gewesen, so Rupert Grübl, Direktor der Landeszentrale, »ein breites Spektrum an Persönlichkeiten aus der jüdischen Gemeinschaft zu Wort kommen zu lassen«.
Ausschließlich innerjüdische Stimmen kommen zu Wort.
Zusammen mit Spaenle und Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland sowie des Landesverbands der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern, stellte Grübl das neue Themenheft jetzt vor, das »explizit nicht auf Judenfeindschaft« eingehen wollte, »sondern auf das ›ganz normale‹ jüdische Leben in Deutschland«.
INTERVIEWS In ihm sind Namen des öffentlichen Lebens, aus dem kulturellen wie akademischen Kreis, vertreten. Es kommen Menschen zu Wort, die hinter oder vor den Kulissen über das Judentum, auch vermittelnd, informieren, sich mit lauten oder leisen Tönen starkmachen für mehr Selbstverständlichkeit, die eigene Identität leben zu können, und die sich natürlich auch immer wieder mit dem Antisemitismus befassen. Denn, und das fällt auf, wer über jüdisches Leben in Deutschland redet, redet über ein Leben trotz Antisemitismus, kommt daher aus der Thematik schwer heraus.
Die Schriftstellerin und Journalistin Mirna Funk verliert darüber fast die Nerven. Das zumindest vermittelt ihr scharfer, glossenhafter Text »Sieben lange Jahre«, in dem sie fragt: »Habe ich nicht alles, was ich zu jüdischem Leben heute, zu Antisemitismus, zu Israel und Palästina und zum Holocaust denke, fühle, meine, glaube und weiß, längst aufgeschrieben? (…) Reichte das nicht? Wiederhole ich mich nicht langsam?«
Neben Essays finden sich im Heft ausführliche Interviews wie zum Beispiel mit der Filmemacherin Alexa Karolinski (Oma & Bella, Unorthodox), dem Musiker Gil Ofarim, dem Zentralratspräsidenten Josef Schuster selbst oder mit Eva Haller, Präsidentin der Europäischen Janusz Korczak Akademie.
schulen Michael Brenner, Historiker und Inhaber des Lehrstuhls für Jüdische Geschichte und Kultur an der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie Direktor des Center of Israel Studies an der American University in Washington, D.C., weist unter der Überschrift »Wir müssen uns sehr davor hüten, die jüdische Geschichte auf eine Verfolgungsgeschichte zu reduzieren« auf die verschiedenen Identitäten, die jeder in sich trage, hin. Er wirft ein, dass man »auf sehr viele Arten und Weisen definieren« könne, was jüdische Identität nun ausmache, dass »jeder Mensch anders denkt und jeder Mensch auch den Antisemitismus anders empfindet«.
Einige Essays lassen sich als wissenschaftliche Abhandlungen lesen, wie zum Beispiel der von Hanno Loewy, Direktor des Jüdischen Museums Hohenems, der sich mit dem Thema des »Jüdischen Museums« als gar nicht so einfach zu definierender Institution befasst. Rebekka Denz, unter anderem wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Judaistik an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, beschäftigt sich mit dem Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (1893–1938).
In dem Heft wird die Vielfalt jüdischer Identitäten deutlich.
Levi Israel Ufferfilge, Rabbiner-Anwärter, Religionspädagoge und Autor, gibt in seinem Text einen Überblick über die jüdische Schullandschaft in Deutschland. Es ist ein Text, der starkes Engagement für die Sache spüren lässt und mit einer Art Appell endet: »Denn künftig müssen noch mehr Jüdinnen und Juden noch bessere Verantwortungsträger in einer schrumpfenden Gemeinschaft mit ihren vielen bedeutenden Einrichtungen werden, um nicht nur jüdische Institutionen, sondern auch jüdisches Leben in Deutschland an sich dauerhaft zu erhalten.«
GESELLSCHAFT Josef Schuster hält die neue Publikation für »ein ganz wichtiges Heft«, weil es jüdisches Leben heute zeige und dies »in seiner ganzen Vielfalt«. Damit lasse sich, und darauf hofft er, die Thematik in der Breite der Gesellschaft verankern. Gleichzeitig wünscht er sich in den Schulen »fächerübergreifend die Thematisierung jüdischen Lebens vor 1933 und auch nach 1945« sowie die Berührung mit dem lebendigen Judentum, und dies eben nicht nur in den Großstädten, sondern auch in Orten und Kommunen, in denen es keine jüdischen Gemeinden gibt.
Spaenle beschreibt daran anschließend die Spannweite jüdischen Lebens, wie er sie immer wieder erleben kann. »Wir treffen junge Leute, die noch in der ehemaligen Sowjetunion geboren wurden und sich jetzt bei uns politisch engagieren, und wir treffen alte Menschen, die den Holocaust überlebt haben.« Für ihn folge aus der Tatsache, dass das jüdische Leben »dieses Land seit 1700 Jahren mitgeprägt« habe, die Verpflichtung, sich seinem Schutz »noch stärker zuzuwenden«. Gerade deshalb dringt er darauf, jüdisches Leben wie die Bekämpfung des Antisemitismus als »ein Staatsziel« zu formulieren.
Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit (Hrsg.): »Einsichten und Perspektiven Themenheft 2/21. Jüdisches Leben in Deutschland«
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