Die Reaktionen können recht unterschiedlich ausfallen, wie die aktuelle TV-Dokumentation Judenhass: Unser Leben nach dem 7. Oktober zeigt. Sie belegen, auf welche Weise die Ereignisse dieses Tages auch das Leben von Jüdinnen und Juden in Deutschland durcheinandergewirbelt haben. Und viele befürchten, dass das alles keine temporäre Erscheinung bleibt und noch steigerungsfähig ist.
Manche empfinden ohnmächtige Wut, große Niedergeschlagenheit oder einfach nur blanke Fassungslosigkeit darüber, was alles nach dem Überfall der Hamas im fernen Israel auch in Deutschland plötzlich möglich wurde und wie indifferent die Mehrheit der Gesellschaft hierzulande auf den Tsunami antisemitischer Gewalttaten reagiert, mit dem viele von ihnen seither konfrontiert sind.
»Selbst im engsten Freundeskreis gibt es manchmal keine Sensibilität dafür, was Jüdinnen und Juden gerade durchmachen müssen«, lautet das ernüchternde Fazit von Hanna Veiler, Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD). Da ist zum einen die direkte Konfrontation auf dem Uni-Campus mit linksradikalen und propalästinensischen Gruppen, die Slogans wie »Yalla Intifada, von Dahlem bis nach Gaza« brüllen, also explizite Aufrufe zu Gewalt gegen Jüdinnen und Juden.
Ein Uber oder eine Pizza unter seinem richtigen Namen bestellen
Dann sind da noch die Auswirkungen selbst bei den kleinen Dingen im Alltag, wie die TV-Doku eindrucksvoll zeigt. Beispielsweise traut man sich nicht mehr unter seinem richtigen Namen ein Uber oder eine Pizza zu bestellen. »Als junge Person möchte man sich doch gern mit anderen Dingen beschäftigen als mit der Frage, wie sehr die Welt einen hasst«, bringt Veiler die Stimmung nicht nur vieler Gleichaltriger auf den Punkt.
Andere dagegen nehmen das alles fast schon mit einem Achselzucken zur Kenntnis. So wie Ivar Buterfas-Frankenthal. »Seit 2000 Jahren werden die Juden verfolgt«, sagt er. Der 91-Jährige hat die Schoa überlebt und ist es seit Langem gewohnt, von Neonazis bedroht zu werden. Es gab also immer schon gute Gründe, warum er sein Haus mit viel Sicherheits-Hightech in eine »Festung« ausbauen musste. »Aber die Angst ist jetzt größer geworden«, betont Buterfas-Frankenthal und verweist auf den Jubel, den die Massaker bei Muslimen im Berliner Bezirk Neukölln auslösten.
Auch für den bekannten Pianisten Igor Levit ist die Welt vor drei Monaten aus den Fugen geraten. Als Jude fühlt er sich von der Gesellschaft im wahrsten Sinne des Wortes im Stich gelassen. »Sehr, sehr vieles in mir und vor mir ist zerbrochen«, erklärt der 36-Jährige in Berlin auf einer Solidaritätsveranstaltung für Israel vor der Humboldt-Universität. »Wo sind die Menschen?«, fragt er zu Recht. Denn gekommen sind wieder einmal nur ein paar Dutzend.
Anders dagegen Arye Sharuz Shalicar, in Berlin aufgewachsener Sprecher der israelischen Armee. »Ich habe das Gefühl, am richtigen Ort zur richtigen Zeit zu sein«, sagt er und erklärt, dass der 7. Oktober für ihn bedeutete, die Uniform wieder aus dem Schrank holen zu müssen. Und obwohl Shalicar als Jude froh ist, in Zeiten wie diesen unter Juden leben zu können, muss auch er – und das ist einer der starken Momente der TV-Doku – zugestehen, sich am Tag des Massakers »hilflos im eigenen Staat« gefühlt zu haben.
Die Doku »Judenhass: Unser Leben nach dem 7. Oktober« ist abrufbar in der ARD-Mediathek.