Zwei kleine Jungen sitzen auf der Kante eines Bürgersteigs: Es sind der vierjährige Salomon Korn und sein Cousin Leo. Das Bild ist im August 1947 im jüdischen DP-Lager Zeilsheim aufgenommen worden. Ein Jahr zuvor war Salomon mit seinen Eltern nach Frankfurt gekommen. Zu dieser Zeit lebten rund 3.211 Juden in dem Lager für Displaced Person.
Doch Zeilsheim unterschied sich von den anderen Lagern für die Gestrandeten und Überlebenden. Hier lebten nur Juden. Das war keineswegs selbstverständlich, denn unter DPs verstanden die Alliierten »alle Zivilisten außerhalb der Grenzen ihrer Heimatstaaten, die durch Kriegseinwirkungen nach Deutschland verschleppt wurden oder in der Fremde gestrandet waren«.
Das führte, schreibt Jim Tobias in seiner hochinteressanten Dokumentation Zeilsheim. Eine jüdische Stadt in Frankfurt dazu, dass »Schoa-Überlebende mit ihren früheren Peinigern, wie etwa baltische SS-Männer oder Angehörige von faschistischen osteuropäischen Milizen, in der gleichen Baracke einquartiert« waren.
Strukturen Zeilsheim war eines der größeren DP-Lager, dessen Geschichte jedoch noch kaum erforscht ist. Exemplarisch erklärt der Autor, wie ein Lager aufgebaut war, welche politischen Ränkespiele und welche Differenzen es dabei gegeben hat. Obwohl sich die verschiedensten Wohltätigkeits- und Hilfsorganisationen darum bemühten, den in Deutschland gestrandeten Juden zu helfen, standen sie immer unter der Verantwortung der Besatzungsmächte und waren damit militärisch strukturiert.
Hinzu kamen Spannungen unter den Lagerbewohnern. Die illegale Hilfsorganisation Bricha hatte eine Massenflucht aus Osteuropa organisiert, und viele Flüchtlinge strandeten in den DP-Lagern, weil die geplante Weiterreise nach Erez Israel durch die restriktive Einwanderungspraxis der britischen Mandatsmacht verhindert wurde. Die osteuropäischen Leidensgenossen hatten jedoch einen schlechten Ruf.
In Zeilsheim entstand unterdessen ein fast normales Lagerleben: Verwaltung und Parteien wurden demokratisch gewählt. Es wurde eine jüdische Lagerpolizei eingerichtet sowie Schulen und Ausbildungsstätten, Werkstätten und sogar eine Religionsschule, obwohl auch in Frankfurt die religiösen Juden eine Minderheit bildeten. Es wurde geheiratet, und kulturelles und sportliches Leben entstand.
Sicherheit Fühlten sich zunächst die Juden im DP-Lager fast wie in einem KZ, so entwickelte sich bei ihnen im Laufe ihres Aufenthalts ein Gefühl von Sicherheit. Doch mit der Ausrufung des Staates Israel wurden die Lager aufgelöst. Jetzt sträubten sich viele DPs, diese sicher gewordene Heimstatt zu verlassen. Dennoch wanderten viele Juden in die USA und nach Israel aus. Unter denen, die blieben, war Salomon Korn, heute Vorsitzender der im Januar 1947 wiedergegründeten Jüdischen Gemeinde Frankfurt.
Auf der beigefügten DVD kommen weitere Zeitzeugen wie Batia Kaminer, Arno Lustiger, Rosa Orleon und Rafael Zur zu Wort, und berichten aus ihrem Leben in Zeilsheim. Der Autor Jim Tobias wünscht sich, mit diesem Buch auch die Jugend anzusprechen. Das tut er kurz, bündig, interessant und faktenreich.
Jim G. Tobias: Zeilsheim. Eine jüdische Stadt in Frankfurt, Antogo, Nürnberg 2011, 141 S. mit CD, 16,50 €