Grüne Brötchentüten, Bälle mit Regencapes, Wimpel, Aufkleber, T-Shirts, Luftballons und Plakate zum Selbstbeschriften. Hannah Dannels winziges Büro ist vollgestellt mit großen und kleinen Kartons. Die grünen Shirts mit dem neuen Layout und in allen Größen hängen über Stuhl- und Sessellehnen. Auf dem Tisch liegen Karten, aus einer Riesenkiste quellen die schwarzen Mitzvah-Day-Mützen. Auch sie tragen das Logo mit dem bunten Stern, der sich aus sechs stilisierten Menschen, die sich an den Händen fassen, zusammensetzt, und den gestickten Schriftzug »Mitzvah Day«.
»Eine gute Tat führt zur nächsten« lautet der Leitspruch der Kampagne 5777. Der beste Beweis dafür sind Projekte des vergangenen Jahres, die ganz im Zeichen der Willkommenskultur für Flüchtlinge standen, und jetzt wieder aufgegriffen werden. Auch wenn sich die Aktivitäten in diesem Jahr wieder zu anderen Schwerpunkten hin verlagern, die Flüchtlingshilfe ist erneut Thema, sagt Hannah Dannel, die die Organisation für den Tag der guten Taten beim Zentralrat der Juden leitet.
Material Längst hat der Versand der Materialien begonnen, die alle Gruppen bekommen, die dem Zentralrat ihre Projekte vorgestellt und einen Wunschzettel für die Dekoration geschickt haben. Die Helfer erhalten T-Shirts, damit sie am Tag der guten Tat auch zu erkennen sind. Langsam, aber stetig werden es jetzt täglich mehr Gemeinden und Gruppen, die sich beim Zentralrat melden. Die Hohen Feiertage und die Schulferien haben den Mitzvah Day zeitlich etwas in die Bredouille gebracht.
»Die Termine liegen so kurz hintereinander, dass viele Gemeinden gar nicht mit den Vorbereitungen hinterher kamen«, erzählt Hannah Dannel. »Gerade haben sie noch alles für die Simchat-Tora-Party aufgebaut, dann sollen sie schon ihre Konzepte für den Mitzvah Day einreichen.« Vor allem kleinere Gemeinden kämen kaum zum Verschnaufen.
Die Gemeinden und Gruppen, die sich am Mitzvah Day beteiligen, bestellen per Formular, was sie brauchen, abhängig davon, ob sie ein Outdoor-Projekt planen, oder ob ihre Veranstaltung in Räumen stattfindet, ob sie backen oder ob sie renovieren, malern und handwerken. Hierfür sind beispielsweise die in den grünen Bällchen versteckten Capes gut geeignet. So kann die Berliner Synagoge Fraenkelufer die Capes bestens gebrauchen, wenn sie ihr Gemeindezentrum umbaut. »Wir haben keine Küche, kein Kinderzimmer, keine Bibliothek. Viel mehr Platz können wir nicht schaffen, aber wir können den vorhandenen Raum besser nutzen«, rufen Freunde der Synagoge Fraenkelufer zur Aktion auf. »Seid dabei! Wir wollen Regale und einen Waschtisch anbringen, aufräumen, die Wände streichen, ein buntes Kinderzimmer und eine kleine Bibliothek einrichten und vieles mehr.«
Kaddisch Die Jüdische Gemeinde Halle möchte im Rahmen ihrer derzeit stattfindenden Kulturtage auch den alten jüdischen Friedhof vorstellen. Capes und Gummistiefel sind daher für Helfer die beste Bekleidung, um den Friedhof für die Besucher herzurichten. Ähnliches wird in Nürnberg passieren. »Nach der Kranzniederlegung am Neuen Jüdischen Friedhof anlässlich des Volkstrauertages werden wir Gräber besuchen und pflegen«, stellt die Gemeinde ihr Projekt vor. Gedacht wird insbesondere der Gräber »der Nürnberger Juden, von denen keine Verwandten mehr existieren, die sich darum kümmern könnten. Wir werden an den Gräbern außerdem das Kaddisch sprechen«.
Hannah Dannel findet es beachtlich, dass es vielen Mitwirkenden nicht nur darum geht, die Friedhöfe winterfit zu machen, sondern dass sie die Gelegenheit nutzen, über die ehemaligen Gemeindemitglieder zu recherchieren, die vielleicht keine Angehörigen mehr haben. »Eigentlich dachten wir, mit den Aktionen in Hilfseinrichtungen zu gehen, jetzt stellen wir aber fest, dass die Aktionen auch dazu geeignet sind, zu den eigenen Wurzeln zurückzufinden.«
Senioren Nahezu ein Renner beim Mitzvah Day, der in diesem Jahr bundesweit zum vierten Mal stattfindet, ist die Aktion »Sonnenschein für Senioren«: So lädt das Jugendzentrum Simcha der IKG Hof ältere Gemeindemitglieder ein, die allein leben. Die Jugendlichen wollen gemeinsam mit ihnen singen, basteln und essen. Und für Senioren, die nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln ins Gemeindehaus kommen können, bieten sie einen Fahrdienst an, der die älteren Gemeindemitglieder abholt und wieder nach Hause bringt.
Eine tolle Idee haben sich die Schüler der Sinai-Schule und des Jüdischen Gymnasiums in München ausgedacht: Sie wollen Verlorenes zurückgeben. »Wenn man etwas findet, versuchen wir, den Eigentümer ausfindig zu machen, oder geben Ausgeliehenes zurück«, beschreiben sie ihr Projekt, zählen auf, was so alles ausgeliehen wurde – Kippot, Stifte, Bücher – und beteuern: »Wir behandeln Fundsachen mit Respekt und werfen sie nicht durch die Gegend.«
Einige Gemeinden waren bislang bei jedem Mitzvah Day vertreten, andere machen in diesem Jahr zum ersten Mal mit. Darüber freut sich die Organisatorin natürlich besonders, möchte sie doch gern die Bestmarke vom vergangenen Jahr toppen. Damals beteiligten sich 40 Städte. In diesem Jahr meldeten sich erstmals die Gemeinden Erfurt, Dresden, die Jüdische Gemeinde Stadt Potsdam und auch der Stuttgarter Kindergarten mit Projekten. Die Kinder der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs wollen unter dem Motto »Mi Ohewet HaSchabbat« für die Senioren eine gemeinsame Schabbatfeier organisieren. »Chemnitz ist in diesem Jahr wieder dabei«, freut sich Hannah Dannel, die Gemeinde wird dieses Mal auf dem jüdischen Friedhof arbeiten.
Sachensammler Von Augsburg bis Unna stehen bislang schon 32 Städte auf der Projektliste des Zentralrats. Auch dessen Mitarbeiter beteiligen sich wieder und mischen sich unter die Sachensammler. Gut erhaltene Kleidung, Schuhe, Brillen, Elektrokleingeräte werden für »Die Chance – Verein für Bildung, Integration und Soziales« gesammelt. Bücher, Schallplatten, CDs, DVDs sind für den Berliner Büchertisch vorgesehen, der seinerseits die Buchspenden an Schulen und Kindergärten sowie gemeinnützige Organisationen verteilt.
Es könnten aber noch sehr viel mehr Aktionen werden, erhofft sich Hannah Dannel. »Es braucht niemand zu befürchten, dass seine Anmeldung zu spät kommt«, betont sie. Dannel und ihre Kollegin Irina Surpina, die sie zehn Stunden wöchentlich bei den Vorbereitungen zum Mitzvah Day unterstützt, können auch in der allerletzten Minute noch Pakete mit Material zusammenstellen. »Wir haben für die sehr spät Entschlossenen schon ein paar Blankopakete gepackt, in denen eine Standardausrüstung enthalten ist, die man in der Regel braucht«, sagt Dannel.
Aktionstage Nicht alle Aktionen finden am 13. November statt. Einige Gemeinden hatten sich gemeldet und angefragt, ob sie ihre Aktionen vorziehen oder später anbieten können. Natürlich, hieß es, es ginge doch um die Tat an sich. »Wichtig ist, dass wir uns unserer jüdischen Werte bewusst werden und sie nach außen zeigen: ›Tikkun Olam‹ (Verbesserung der Welt), ›Tzedek‹ (Gerechtigkeit) und ›Gemilut Chassadim‹ (Mildtätigkeit).«
Und – das ist das Besondere am Mitzvah Day – die Taten kommen nicht ausschließlich jüdischen Menschen zugute und werden auch nicht nur von Juden veranstaltet. Der Tag, besser: die Tage der guten Taten sollen bewusst auch religionsübergreifend sein. Jüdische Gemeindemitglieder treffen sich mit Muslimen, Christen helfen auf jüdischen Friedhöfen, alles ist möglich.
Hope4Adam Und dann gibt es noch die ganz besondere Hilfe wie etwa die in Osnabrück. Die Gemeinde sucht eine Knochenmarkspende für Adam Kreif. Der 31-Jährige ist Vater von drei kleinen Kindern und an Leukämie erkrankt. Im Rahmen der Aktion »Hope4Adam« wurden bereits über 10.000 Registrierungen weltweit erreicht, schreibt die Gemeinde. Leider sei noch kein passender Spender gefunden worden. Ziel ist, die Zahl von 50.000 registrierten Menschen zusammenzubekommen, da die Wahrscheinlichkeit, einen geeigneten Spender zu finden, bei nur einem Prozent liegt.
Am 13. November lädt die Osnabrücker Gemeinde um 13.30 Uhr zu einer Informationsveranstaltung zum Thema Blutkrebs und Knochenmarkspende ein. Ein jüdischer Arzt, der sich mit diesem Thema beschäftigt, wird die Interessierten beraten. »Im Anschluss kann dann jeder, der mag und kann, seinen Beitrag leisten. Er kann sich als potenzieller Spender registrieren lassen, Geld für die Verarbeitung von Abstrichen spenden oder einfach helfen, als Multiplikator auf die Thematik hinzuweisen.«
So kann der Mitzvah Day nicht nur die kleine gute Tat unterstützen, sondern vielleicht sogar Leben retten. Mitmachen lohnt sich für beide Seiten.