Es ist ein kalter, verregneter Sonntag in Berlin, so grau wie die Fassade des Techno-Clubs ://about blank – passend zur trüben Stimmung in Bezug auf den Krieg in Nahost, ein Konflikt, der bis in die Clubszene hineinwirkt.
Antisemitismus in der alternativen Musikszene: Darüber möchte das neu gegründete Partykollektiv »Moving The Needle« sprechen und hat zu einer Solidaritäts-Party geladen. Die Veranstalter wollen damit den Opfern des brutalen Hamas-Massakers beim Supernova-Festival im Süden Israels eine Stimme geben. Etwa 360 der Feiernden wurden ermordet, rund 40 nach Gaza verschleppt. Mit den Einnahmen des Events will das Kollektiv unter anderem die Betreiber des Festivals unterstützen.
Namentlich wollen die beiden Veranstalter von »Moving The Needle« in den Medien nicht erscheinen. Zu groß sei die Sorge, Ziel eines größeren Shitstorms, gar einer Boykottkampagne zu werden. Am Einlass gibt es hohe Sicherheitsvorkehrungen: Die Taschen werden gründlicher als sonst durchsucht, die Körper der Gäste abgetastet.
Trotz melodischer House-Musik ist die Stimmung sehr bedrückt
Mitten im dschungelartigen Außenbereich des ://about blank steht ein riesiges rotes Zelt. Trotz melodischer House-Musik ist die Stimmung sehr bedrückt – bei dem ernsten Thema nicht überraschend. Gegen das Dunkel kommt auch die funkelnde Discokugel nicht an. Ab 15 Uhr füllen mehr und mehr Besucher das Zelt. Mitarbeiter müssen schließlich sogar zusätzliche Holzbänke bereitstellen.
Mit einer kleinen Verspätung beginnt die Podiumsdiskussion mit den Journalisten Anastasia Tikhomirova, Nicholas Potter und dem Produzenten und DJ Ori Raz: Es ist still, einige der Gäste bleiben stehen. Die Moderatorin spricht zu Beginn vom rasanten Anstieg antisemitischer Tiraden seit dem Angriff vom 7. Oktober. Raz, der aus Tel Aviv stammt, pflichtet ihr bei: »Seit dem Tag befinde ich mich in einer Achterbahn der Emotionen.«
Immer wieder würde er von »Schockwellen« überfallen. Freunde und Bekannte hätten sich nach dem Massaker nicht bei ihm gemeldet. Raz kritisiert, dass in der Clubszene eine »anti-israelische Einstellung« herrsche. Vielmehr stelle diese sich mehrheitlich auf die propalästinensische Seite.
Die Panel-Teilnehmer sind sich einig, dass zu den bestialischen Morden an 1200 Zivilisten im Süden Israels, wenn überhaupt, nur sehr leise Töne zu vernehmen seien. Umso lauter seien dagegen die Boykottaufrufe gegen jüdische und israelische Künstler. »Antisemitismus wird nicht vom Opfer definiert, sondern vom Täter«, betont Anastasia Tikhomirova mit ernster Stimme. Die Gäste hören ihr aufmerksam zu.
Tikhomirova berichtet davon, was beim Supernova-Festival passiert ist. Die Journalistin hat mit Überlebenden gesprochen, die Minuten vor dem Angriff noch ausgelassen getanzt hatten. Eine Überlebende habe gesagt, wie sehr die kalten Reaktionen sie schockierten. »Ich fühle mich, als sei ich auch ermordet worden«, zitiert Tikhomirova die junge Frau. Tikhomirovas Erkenntnis: »Ich begreife mich nicht länger als Teil der Szene.«
Fehlende Empathie mit den Opfern
Potter sei dagegen nicht überrascht, aber ebenfalls schockiert über die fehlende Empathie mit den Opfern. »Es ist eine reine Katastrophe.« Dass die Techno-Szene Israel boykottieren solle, empfinde er angesichts der Gräueltaten und Geiselnahmen als blanken Hohn.
»Ich habe Follower auf meinen Social-Media-Kanälen verloren«, erzählt Producer Raz gefasst und mit sanfter Stimme. Er fühle sich in vielen Sphären nicht mehr willkommen. Dass israelische DJs boykottiert werden, sei für ihn allerdings kein neues Phänomen. Dennoch: »Ich erwarte von den Menschen Empathie für beide Seiten.« Sie sollen »Brücken bauen« und mit der »Polarisierung« aufhören. Aber gerade die linksgerichtete Techno-Szene spreche Juden das Recht auf Selbstbestimmung ab, ergänzt Tikhomirova.
Die Journalistin kündigt an, bestimmte Veranstaltungen nicht mehr zu besuchen, die sich nicht glaubwürdig von Judenhass distanzieren. »Es gibt kein ›Wir‹ mehr.« Später richtet sie einen Appell an alle: »Erhebt eure Stimme, bevor es zu spät ist.« Nach Ende des Panels legen die DJs im Zelt House-Musik auf, während der Regen auf die Plane prasselt. Viele Gäste schlendern zur Bar, um nach der Diskussion mit einem Bier etwas herunterzukommen.
Ronja bemängelt, dass sie in ihrer Community keinen Halt mehr findet.
Einige Partybesucher haben allerdings Gesprächsbedarf. »Ich fühle mich einsam«, sagt Kevin, ein Jude aus Österreich. »Unsere Leute wurden ermordet.« Tote Juden würden betrauert, »während lebende Juden kein Gehör finden«, klagt er an. Benny F., Gründungsmitglied der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD), empfindet es ähnlich: »Ich fühle eine persönliche und politische Heimatlosigkeit.« Er war selbst Veranstalter eines kleinen Festivals und habe sich mit der Techno-Szene sehr verbunden gefühlt. Von deren Reaktionen sei er nun sehr enttäuscht. »Ich war seit dem 7. Oktober nicht mehr feiern. Das hier ist meine erste Party.«
Die Tätowiererin Ronja ist aufgebracht, will viel zum Thema sagen, doch sie ringt um Worte, macht etliche Pausen. »Ich habe Angst, mit meiner Meinung gecancelt zu werden und Follower zu verlieren.« In ihrer Community finde sie keinen Halt mehr. Ein anderer Gast ist indes froh, dass er wenigstens im ://about blank auf eine umsichtige Community treffe.
Mit der Zeit wärmt sich das Zelt auf, wo immer mehr Menschen tanzen. Draußen ist es bereits dunkel. Die Baumkronen sind in verschiedenen Farben illuminiert. Im Hauptfloor dröhnt treibende Techno-Musik. Auch dort hat sich die Stimmung gelockert: Tanzende begegnen sich öfter mit einem Lächeln und fallen sich, umhüllt von Nebelschwaden, in die Arme. Zwar ist der Club nicht brechend voll, aber »Moving The Needle« zeigt, dass man nicht ganz allein dasteht. »Der Weg zu einer inklusiven, nicht antisemitischen Community scheint lang«, meint ein Besucher. Die Hoffnung aber bleibe.
Die Veranstalter und ihre Gäste leben ein Versprechen, das sich eine Überlebende des Festival-Massakers gegeben hat, von der Tikhomirova am Ende des Panels berichtete: »Wir werden wieder tanzen.«