Seit zehn Jahren gibt es im Frühsommer einen Scholem-Alejchem-Vortrag, gemeinsam ausgerichtet vom Lehrstuhl für Jüdische Geschichte und Kultur der Ludwig-Maximilians-Universität München und dem Kulturzentrum der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern.
Mit dem Namenspatron sind Vortragssprache und Themenkreis vorgegeben, und gleichzeitig wird damit unter Beweis gestellt, dass »Jiddisch immer noch eine lebendige Sprache und Teil der akademischen Analyse« sei, wie der Historiker Michael Brenner in seiner launigen Begrüßung der zahlreichen Zuhörer betonte.
sketche Das Thema, das dieses Mal online im Mittelpunkt stand, geht ihm wie vielen Zuhörern zu Herzen, denn die Sketche von Shimen Dzigan und Isroel Shumacher gehörten in den Haushalten jüdischer DPs ebenso dazu wie Gefilte Fisch zum schabbesdiken Speiseplan.
Brenner wuchs mit den Stimmen des aus Lodz stammenden Komiker-Duos auf; der in Buenos Aires geborene Referent Diego Rotman eher weniger. Seine aus Polen stammenden Eltern »hobn nit gehaltn fun yidish. Nit gezen in dem keyn tsukunft«. Wie Evita Wiecki, Jiddisch-Dozentin am Lehrstuhl, in ihrer Einführung verriet, fand Diego seine Inspiration woanders: »In dem zeydns heym hot er ayngezapt dem yidishn nign.«
Inspiriert und geschult im Diskurs zwischen revolutionären Ideen und neuen theatralen Ausdrucksformen der 20er- und 30er-Jahre in Polen, konnten Dzigan und Shumacher auch hochpolitisch werden.
Im Haus des Großvaters der jiddischen Sprachmelodie verfallen, zog es ihn zum Studium des Jiddischen um die halbe Welt und schließlich an die Hebräische Universität in Jerusalem. Seinen Master erwarb er mit einer Arbeit über »Jiddisches Theater in Israel 1948–2003«, seine Dissertation widmete er der Kunst von Dzigan und Shumacher als Ausdruck einer Kulturkritik. Der Titel seines Vortrags »Di geshikhte fun nisht farbetene gest: Dzigan un Shumacher in Yisroel« sagt alles. Auch Jiddisch galt als ungebetener Gast.
kulturkampf Ein innerisraelischer Kulturkampf darüber, welches die Landessprache werden sollte, ging zugunsten des Hebräischen aus, nicht zuletzt durch Intervention David Ben Gurions. Jiddisch wurde als Hindernis für die offiziell propagierte israelische Kultur betrachtet. Auflagen wie die, ein Drittel des Programms in Iwrit zu bestreiten, sowie die Verhängung von Extrasteuern machten den Künstlern das Leben im Heiligen Land, wohin sie 1950 gezogen waren, schwer. Auf ihren Auslandstourneen dagegen wurde das für seine Doppelconférencen berühmte Duo bejubelt.
Rotman reiht es ein unter Paare wie Abbott und Costello und Laurel und Hardy, wobei der Brillenträger Shumacher den Intellektuellen gab und Dzigan als Widerpart den Einfaltspinsel spielte. Ihr Sketch »Einstein – Weinstein« ist ein geniales Beispiel dafür.
Inspiriert und geschult im Diskurs zwischen revolutionären Ideen und neuen theatralen Ausdrucksformen der 20er- und 30er-Jahre in Polen, konnten Dzigan und Shumacher auch hochpolitisch werden wie in ihrer Adaption des »Dybbuk« mit Dzigan als Braut Lea, einer Breitseite gegen Ben Gurion, oder als Golda Meir, die »israeldike lecher« stopfen will. Shumacher starb bereits 1961, Dzigan brach 75-jährig auf der Bühne zusammen. Was für ein Abgang!
Diego Rotman: »The Yiddish Stage as a Temporary Home. Dzigan and Shumacher’s Satirical Theater (1927–1980). De Gruyter Oldenbourg, Berlin/
Boston 2021, 321 S., 103,95 €