Es ist ein düsteres Gemälde, das da in der vergangenen Woche auf einer Staffelei im Lichthof des Deutschen Historischen Museums (DHM) einem ausgewählten Kreis von Besuchern als Neuerwerbung präsentiert wurde. Entstanden ist das einst titellose Werk in der ersten Hälfte des Jahres 1933 in Rom. Der aus Osnabrück stammende Maler Felix Nussbaum ist zu diesem Zeitpunkt Akademie-Stipendiat in der Villa Massimo und erlebt den Aufstieg der Nazis in der Heimat aus der Distanz.
Im Nebenzimmer wohnt und arbeitet der Elberfelder Bildhauer Arno Breker. In den kommenden Jahren werden die Lebenswege der beiden Künstler diametral entgegengesetzt verlaufen. Arno Breker hat die Nazis nicht gesucht, aber sie haben ihn gefunden und gefördert. Für dessen jüdischen Zimmernachbarn Felix Nussbaum hingegen bricht jene dunkle Zeit an, die dem 53 x 76 Zentimeter großen Bild die bedrückende Stimmung verleiht: Ein Paar klammert sich erschreckt aneinander, im Hintergrund ist das Kolosseum zu sehen. Es handelt sich offenbar um ein Selbstbildnis des Künstlers mit seiner Frau.
ANSCHLAG Kurz zuvor war in Berlin während seiner Abwesenheit ein Brandanschlag auf sein Atelier verübt worden. Die männliche Gestalt hat den Mund klagend aufgerissen, als ihr Blick auf zwei zerstörte Gemälde auf einem leeren Platz fällt. Bei genauerer Betrachtung erkennt man auf einem der zerstörten Gemälde das Brandenburger Tor, wie es auf seinem Bild »Der tolle Platz« (1931) dargestellt worden war. Nussbaum musste zu diesem Zeitpunkt annehmen, dass in Berlin neben 150 seiner Gemälde auch dieses zerstört worden war, das ihm einst das Stipendium in Rom eingebracht hatte. Diese Befürchtung hat sich glücklicherweise nicht bewahrheitet, denn »Der tolle Platz« befindet sich heute in der Berlinischen Galerie.
»Wenn ich untergehe,
lasst meine Bilder nicht sterben.«
Felix Nussbaum
Das nun vom DHM angekaufte Bild ist der Beginn einer ganzen Serie von Gemälden Nussbaums, die das weitere Schicksal des jüdischen Malers und seiner Frau in künstlerischer Form dokumentieren.
Zunächst verblieb Nussbaum in Italien, auch nachdem er bereits im Sommer 1933 die Villa Massimo verlassen musste. Für den Frühherbst hatte sich Joseph Goebbels zu einem Besuch angekündigt, und man wollte dem NS-Propagandisten den Anblick eines jüdischen Künstlers ersparen. 1937 ging Nussbaum ins belgische Exil, von wo er 1940 ins südfranzösische Internierungslager St. Cyprien verbracht wurde. Hier entstand das Bild »Kauernder Gefangener«, das sich bereits im Besitz des DHM befindet, ebenso wie das Gemälde »Dreierporträt«, das letzte Werk, das Nussbaum vollendete, ehe er mit seiner Frau im Juli 1944 nach Auschwitz deportiert wurde. Er wurde nur 40 Jahre alt.
Trotz der Hoffnung, von den nahenden Alliierten befreit zu werden, brachte er bereits 1942 mehr als 100 Bilder bei zwei Freunden unter. »Wenn ich untergehe, lasst meine Bilder nicht sterben!«, bat er. Erst in den 70er-Jahren machten israelische Verwandte von Felix Nussbaum den Verbleib der Bilder ausfindig, die heute zu einem Großteil in dessen Geburtsstadt Osnabrück zu sehen sind. Das nun erworbene Gemälde erhielt in den 70er-Jahren den Titel »Zerstörung 2«, korrespondierend zu einem anderen Gemälde, dem Nussbaum den Titel »Zerstörung« gegeben hat.
Der Förderverein des DHM hat, wie sein Vorstand Ulrich Deppendorf erklärte, bereits die Hälfte der Kaufsumme durch Spenden aufgebracht. Fritz Backhaus, der derzeit mit den Vorbereitungen zu einer Sonderausstellung zu den Themenkreisen Nationalismus und Holocaust beschäftigt ist, verglich das authentische bildnerische Werk Felix Nussbaums zu Recht mit dem Tagebuch der Anne Frank.
ECHOLOT Der Hauptredner der Veranstaltung im Lichthof des DHM war Bundespräsident a. D. Christian Wulff. In einer bemerkenswert emotionalen Rede nannte er – wie Nussbaum ein gebürtiger Osnabrücker – die ab 1933 entstandenen Bilder ein »Echolot des Zivilisationsbruchs«, in denen der »Untergang der abendländischen Kultur« eindrücklich dargestellt worden sei. Mit der Vernichtung und Vertreibung der Juden habe Deutschland »sich selbst verstümmelt und so einen Teil seiner Identität verloren«.
Umso mehr sei die Renaissance jüdischen Lebens mit jüdischen Kindergärten und Schulen, dem Neubau von Synagogen und Ausbildungsstätten für Rabbiner zu begrüßen. Es sind die Worte eines Staatsmannes, der einst für sein Bekenntnis zur fast 2000-jährigen Geschichte der Juden auf dem Gebiet des heutigen Deutschland den Leo-Baeck-Preis verliehen bekam.
Christian Wulff, der sich als erstes deutsches Staatsoberhaupt in einer Rede in Auschwitz zur Schuld des von ihm repräsentierten Landes am Holocaust bekannte, würdigte ausführlich das vor 70 Jahren verabschiedete Grundgesetz als demokratische Konsequenz aus der NS-Gewaltherrschaft.
Immer wieder auf die bedrückende Stimmung in Nussbaums Gemälde verweisend, benannte er die verbrieften Menschenrechte in den ersten Verfassungsartikeln. Nirgendwo auf der Welt gebe es eine Verfassung, deren entsprechende Bestimmungen einer Ewigkeitsgarantie unterworfen seien. Keine parlamentarische Mehrheit könne diese zivilisatorischen Grundlagen unseres Grundgesetzes je wieder ändern.
WARNUNG Aber Wulff warnte auch vor Antisemitismus bei Teilen der arabischen Flüchtlinge und bezeichnete den Kampf dagegen als eine Herausforderung der ganzen Gesellschaft. Er selbst habe am Morgen mit Schülern in Neukölln diskutiert. Und Wulff benannte Ross und Reiter in den Reihen der AfD, die ein anderes Deutschland anstreben würden. Es gebe zwar nie eine lineare Wiederholung von Geschichte, aber durchaus Ähnlichkeiten. Schließlich hätten auch die Nationalsozialisten nach dem Einzug in den Reichstag Hasskriminalität und Ausgrenzung von Teilen der Bevölkerung betrieben – schon bevor sie es zu jener verbrecherischen Staatsräson erklärten, die Felix Nussbaum am 31. Juli 1944 in einem Deportationszug ins Vernichtungslager brachte.
In dieser Hinsicht wird die geplante Sonderausstellung des Deutschen Historischen Museums nicht nur eine historische, sondern auch eine aktuelle Aufgabe zu erfüllen haben.