Allein schon der Ausblick ist die zehn Stockwerke Treppensteigen wert – nur für den Fall, dass der Fahrstuhl mal streiken sollte. Eine kulinarische Oase mit Panoramablick über Berlin, rechts der Ku’damm, links der Zoo mit kreischenden Affen und Papageien und drum herum die neue City West.
Hier, im denkmalgeschützten Bikini-Haus in der Budapester Straße, direkt gegenüber der Gedächtniskirche, hat Haya Molcho Anfang 2014 das »Neni Berlin« eröffnet. Nach Wien und Zürich ist es die dritte europäische Stadt, die die Gastronomin und Kochbuchautorin mit ihrer orientalisch-verspielten Kochkunst erobern will. Die Abkürzung »Neni« steht für Nuriel, Elior, Nadiv und Ilan. Es sind die Namen von Haya Molchos Söhnen, allesamt Mitinhaber des gleichnamigen Restaurants.
einladend Den Namen hat die Küchenchefin bewusst gewählt. Denn »Neni«, das bedeutet für die aus Israel stammende Haya Molcho Familie und viel Liebe. Genau das will die 59-Jährige mit ihrem Konzept vermitteln: Wohlfühlen und Genießen, Teilen und Erleben, Gemeinschaft und Miteinander. Einladender geht’s kaum.
Die Preise sind moderat. Es gibt wahlweise große oder kleine Portionen. Essen wird als pure Lebensfreude zelebriert. So ist Haya Molcho aufgewachsen, das will sie weitergeben. Ihre Kindheit in Tel Aviv und später Bremen, all das fließt ins Neni-Flair mit ein – neben farbenfrohen Speisen, die nach weiter Welt und Zuhause zugleich schmecken.
Haya Molcho hat auf dem safrangelben Sofa vor der Bar Platz genommen. Links und rechts von ihr sitzen Nuriel, Elior, Nadiv und Ilan, alle zwischen 20 und 30 Jahre alt. Die Familie ist sich nah, das spürt man gleich. Dass sie einmal hier oben neue Rezepte diskutieren würden, mitten im neuen Hotspot von Berlin, hätten sich die fünf Molchos noch vor ein paar Jahren nicht träumen lassen.
quirlig Denn alle sind sie Quereinsteiger oder, wie Haya lachend sagt, »Balaganisten«: quirlige Kreative im positiven Durcheinander. Ihr Geheimnis ist das Ungeplante. »Wir haben keine Vision. Aber unsere Stärke ist der Zusammenhalt«, so die Restaurantbesitzerin.
Haya ist eigentlich Psychologin, Elior Schauspieler und Nuriel Ökonom. Das Kochen begann als Hobby. »Essen war bei uns zu Hause immer sehr wichtig. Ein langer Tisch mit Familie, Nachbarn und Freunden, viele von ihnen Einwanderer aus Polen, Marokko und Rumänien – wie das nun mal so ist in Israel«, schwärmt Haya.
Später zog die Familie nach Deutschland. In Bremen lernte Haya ihren Mann kennen, den legendären Pantomimen Samy Molcho, mit dem sie heute in Wien lebt. Auf den Tourneen und Reisen mit Samy begann Haya, die Küchen der Welt zu entdecken. Während er auf der Bühne stand, streifte sie oft stundenlang über Märkte und ließ sich inspirieren: von Gerüchen, Geschmäckern und Gewürzen.
wien Wenn sie von dieser Zeit erzählt, leuchten ihre Augen. »Damals dachte ich: Sollte ich je ein Restaurant haben, soll es an einem Markt sein.« Das erste Neni steht deshalb am Naschmarkt, einer der Hauptattraktionen Wiens. »Vor etwa fünf Jahren dann rief Haya uns alle ganz aufgeregt an«, erinnert sich Nuriel in breitem Wienerisch.
»Sie wollte ein Restaurant eröffnen, aber nur zusammen mit uns. Unsere Mutter war immer für uns da. Also wollten wir jetzt sie unterstützen. Damals konnte ja keiner ahnen, wohin sich die Idee einmal entwickeln würde«, sagt der Neni-Marketingchef und lässt den Blick durchs Lokal schweifen. Ein bisschen staunt er immer noch über den ungeplanten Erfolg.
Mittlerweile ist Haya eine erfahrene Gastronomin. Doch sie kennt auch ihre Grenzen, weiß, was geht und was nicht. Sie ist auf dem Boden geblieben, eine offene Atmosphäre empfindet sie prinzipiell als bereichernd. Ältere Paare, junge Leute, Familien, Geschäftsleute, Touristen – die Kunden sind bunt gemischt.
Palmen Auf dem Weg zu den Tischen betreten die Gäste einen lichtdurchfluteten Raum, der gemütlicher Wintergarten, kuschelige Wohnküche, grüne Dachterrasse und coole Fabriketage in einem ist. Die Wänden glänzen in Kupferrot, und überall stehen lange, einladende Tische, wie damals daheim in Tel Aviv. Wein rankt sich um die Stahlträger des Wintergartens. Palmen zieren die Terrasse, direkt neben dem Bücherregal mit dem antiken Seefahrer-Quadranten.
»Eklektisch« nennt sie ihren Stil. Die Köchin kombiniert Österreichisches mit Marokkanischem, Persisches mit Russischem. Die Kellner balancieren Etageren mit dreierlei Hummus, karamellisierten Auberginen und mediterranem Spargelsalat durchs Lokal. Am beliebtesten ist der Jerusalem-Teller, orientalisch gewürztes Hühnchen in Hummus, Sesampaste und selbst gebackenem Pita-Brot.
Die Rohwaren und Basiszutaten beziehen die Molchos aus Israel. Den Hummus kaufen sie im winzigen Betrieb einer samaritanischen Familie auf dem Har Bracha im Westjordanland. »Es ist der absolut beste Hummus in ganz Israel«, findet Elior. »Mit Liebe von Hand gemacht.«
Während die Söhne sich ums Geschäft kümmern, entwickelt Haya die Produktmarke »Neni am Tisch«. In österreichischen Supermärkten gibt es die Salate und die Hummus-Variationen schon. Neugierig beugen sich Gäste vom Nachbartisch herüber: »Wann kann man den Hummus denn in Berlin kaufen?« – »Hoffentlich bald«, erwidert Haya Molcho und lacht. Schon kommen die fünf Molchos mit den Gästen ins Gespräch, reden über Essen, Israel und Berlin. Unkompliziert und herzlich. Typisch Neni eben.