Kritik, die öffentlich geäußert wird, ist womöglich der beste Beweis dafür, was die Konzilserklärung »Nostra aetate« (»In unserer Zeit«) in den 50 Jahren ihres Bestehens bewirkt hat: Eine freundschaftliche Beziehung zwischen der katholischen Kirche und dem weltweiten Judentum zu schaffen, die auch Belastungen standhält.
Jedenfalls fand Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, bei einer Tagung in Frankfurt, zu der die Deutsche Bischofskonferenz geladen hatte, nicht nur lobende Worte. In seinem Vortrag zu »50 Jahre Konzilserklärung Nostra aetate. Eine Revolution im Verhältnis der Kirche zum Judentum« übte er am vergangenen Sonntag auch deutliche Kritik.
Wende Das II. Vatikanische Konzil hatte mit der Erklärung im Jahr 1965 eine historische Wende eingeleitet: Das Dokument erklärt, dass »die katholische Kirche nichts von all dem ablehnt, was in anderen Religionen heilig und wahr ist«. Die Kirche sei zwar »gewiss das neue Volk Gottes«, trotzdem dürfe »man die Juden nicht als von Gott verworfen oder verflucht darstellen«, heißt es in Artikel vier der Erklärung, der nach Ansicht von Norbert Hofmann, dem zweiten Vortragsredner des Abends, einen »grundlegenden Neubeginn der Beziehungen zwischen Christen und Juden markiert« habe.
Der Salesianerpater, im Vatikan seit 13 Jahren als »Sekretär der Kommission für die religiösen Beziehungen zu den Juden« tätig und damit innerhalb des »Päpstlichen Rates für die Einheit der Christen« für den Austausch mit dem Judentum zuständig, nannte Nostra aetate eine »Magna Charta der christlich-jüdischen Beziehungen«.
Durch diese Erklärung habe sich die katholische Kirche weltweit zu einem »Dialog mit den Juden« verpflichtet. Hofmann sprach von der »einmaligen Beziehung zwischen dem Juden- und dem Christentum«, deren gemeinsame Basis das Alte Testament sei. Er betonte das »Christen und Juden gemeinsame Erbe« und sprach von der Schoa als »Tiefpunkt in der Geschichte zwischen Christen und Juden«.
Umdenken Der in der Kirche manifestierte Antijudaismus habe »eine mentalitätsmäßige Voraussetzung« für die Gräueltaten geschaffen, konzedierte Hofmann. Daraus sei aber ein Umdenken entstanden, das nicht nur zur Erklärung Nostra aetate geführt habe, sondern auch dazu, dass die Kirche in der heutigen Zeit keine Form des Antisemitismus dulde. Hofmann rief alle auf: »Hier müssen wir zusammenstehen.« Mehr noch: »Israel und die Kirche bleiben untrennbar verbunden.« Mit dem derzeitigen Papst Franziskus finde der christlich-jüdische Dialog eine gute Fortsetzung. Es sei dem Heiligen Vater wichtig, die Beziehungen zwischen beiden Religionen zu intensivieren.
Zentralratspräsident Schuster bestätigte die positiven Veränderungen im Denken der Kirche, wenn er auch anmerkte, dass sich »Nostra aetate in einigen Köpfen noch manifestieren« müsse. Mit der nunmehr 50 Jahre alten Erklärung habe die Kirche zum ersten Mal eine Selbstkorrektur vorgenommen und sich von ihrem jahrhundertelang praktizierten Antijudaismus losgesagt.
Zwischen Juden und Christen gebe es heute ein solides Fundament, sagte Schuster. Gerade auch während der Beschneidungsdebatte habe »der Einfluss der Kirchen auf die Politik« dem Judentum – und auch dem Islam – »sehr geholfen«.
Die Erklärung, so mahnte Schuster, sei aber nicht nur als Kompass, sondern als Verpflichtung zu werten. Dabei sehe er drei Probleme: Dass Papst Benedikt XVI. die Karfreitagsfürbitte inhaltlich verändert und die Exkommunikation von vier Bischöfen der traditionalistischen Priesterbruderschaft St. Pius X. aufgehoben habe sowie die Diskussion um die Seligsprechung von Papst Pius XII., unter dessen Augen die Juden Roms deportiert wurden. »Man mag uns überempfindlich nennen, aber wer sechs Millionen Brüder und Schwestern verloren hat, ist das nun einmal«, untermauerte Schuster seine Kritik. Es sei, erklärte der Würzburger Mediziner, wie bei jemandem, der einmal eine Lungenentzündung gehabt habe: Solche Patienten seien immer wachsam, wenn sie Husten oder eine Bronchitis hätten.
Pater Hofmann nannte die Rücknahme der Exkommunikation der Bischöfe, unter denen sich ein Holocaustleugner befinde, einen »Betriebsunfall«, über den man sich aber nicht weiter sorgen müsse: »Sie haben angeklopft, aber die Tür ist wieder zu.« Von einer Reintegration der Piusbruderschaft in die katholische Kirche könne man nicht sprechen. Ebenso sei die Seligsprechung von Papst Pius XII. »derzeit kein Thema«.
konfliktstoff Auch die veränderte Karfreitagsfürbitte ist nach Ansicht Hofmanns – und da widersprachen nicht nur Schuster, sondern auch aufgebrachte Katholiken im Publikum – unproblematisch. Sie sei nur »als Zugeständnis an rechte Kirchen-Gruppierungen gedacht gewesen«. Der wiedereingesetzte Passus, dass »die Herzen der Juden erleuchtet werden mögen, damit sie Jesus Christus erkennen«, werde nur von einem minimalen Teil der Katholiken gesprochen und sei, theologisch gesehen, »auch nicht völlig daneben«.
Ob die Veränderung angesichts des jüdisch-katholischen Dialogs richtig gewesen sei, stehe natürlich infrage. Die normale Karfreitagsfürbitte aber sei »koscher«, so Hofmann. Josef Schuster dagegen sagte, er sei »geschockt«, wenn derlei Konfliktstoff »als Arbeitsunfall abgetan« werde. »Das verletzt uns Juden«, sagte er. Es wecke überdies die Besorgnis darüber, was die Kirche noch alles bereit sei zu tun, um abgewanderte Gruppierungen wieder an sich zu binden.
Der Gastgeber des Abends, der Aachener Bischof Heinrich Mussinghoff, lobte in seinem Schlusswort zur Tagung, dass auch kritische Worte zur Sprache gekommen seien. »Wir gehören zusammen. Uns bringt keiner auseinander!«, versuchte er sich an einem versöhnlichen Fazit. »Ich würde mir wünschen, dass diese Fürbitte, eine unnötige Belastung unserer Gespräche, wieder verschwindet.« »Allerdings«, schränkte Mussinghoff ein, »vielleicht nicht gerade zu Lebzeiten des Papstes, der sie eingeführt hat.«