Erst vor wenigen Wochen hat das Magazin »Spiegel Geschichte« mit seiner Ausgabe zum Thema Geschichte jüdischen Lebens in Deutschland für viel Aufregung gesorgt. Klischeebilder würden dort bedient, kritisierte der Zentralrat der Juden. Es sei fragwürdig, was die Blattmacher mit dem Heft beabsichtigt hätten – Juden als etwas Fremdes oder Exotisches darzustellen?
Ausgelöst hat die Debatte vor allem die Titelseite: Unter der Überschrift »Jüdisches Leben in Deutschland. Die unbekannte Welt nebenan« wurden zwei chassidische Juden aus den 20er-Jahren abgebildet. Diese Darstellung bestärke vorhandene Ressentiments, kritisierte der Antisemitismusbeauftragte der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Sigmount Königsberg.
»Spiegel Geschichte« bezeichnete jüdisches Leben in Deutschland als unbekannte Welt.
Dass Juden Teil der Gesellschaft seien und nicht etwas »Unbekanntes nebenan«, unterstrich Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt. Gleichzeitig fragte er, warum sich die Redaktion gerade für ein Foto von Ostjuden aus dem Armenviertel in Berlin entschieden hätte, einem Bild, das aus der NS-Propaganda stamme.
Klischee Auch wenn sich die »Spiegel«-Redaktion in einer späteren Stellungnahme entschuldigte – man habe keine Klischees bedienen wollen, »sollte der Eindruck entstanden sein, tut uns das leid« –, sorgt das Heft noch immer für Unverständnis. »Ich dachte, wir sind schon weiter«, sagte Harry Schnabel, Mitglied im Präsidium des Zentralrats der Juden in Deutschland.
Gemeinsam mit der Kulturreferentin des Zentralrats der Juden, Hannah Dannel, und dem Erziehungswissenschaftler Doron Kiesel eröffnete er am vergangenen Sonntag in Berlin ein zweitägiges Seminar, das sich mit Bildern von Juden in den Medien beschäftigte. Das Angebot richtete sich an jüdische Mitglieder von Medienräten und Kulturbeauftragte jüdischer Gemeinden.
Etwa 20 Teilnehmer aus Deutschland und der Schweiz waren der Einladung in die Hauptstadt gefolgt. Gemeinsam wurde darüber debattiert, welche Klischeebilder über Juden in der Öffentlichkeit existieren. Dabei war nicht nur die Sicht nach außen Thema, sondern auch jene nach innen. »Wir müssen erst die eigenen Vorurteile reflektieren. Das ist die Voraussetzung, um die Bilder von außen zu kritisieren«, sagte einer der Teilnehmer.
Dass es unter Juden sehr wohl Aufholbedarf gebe, unterstrich Doron Kiesel sogleich mit einem Beispiel. Während eines Antisemitismus-Seminars für jüdische Gemeindemitglieder hätten ihm Teilnehmer gesagt: »Wir können dir aus drei Metern Entfernung sagen, wer ein Jude ist und wer nicht.« »Ich bin bei dem Satz zusammengezuckt«, sagte der Direktor der Bildungsabteilung im Zentralrat der Juden in Deutschland. »Ich kenne solche Sprüche nur aus einer sehr jüdischen Antihaltung.« Sein Fazit: »Das Problem mit den Klischees, das haben nicht nur die anderen, das haben auch wir.«
»Mit Vernunft allein scheint man die Menschen nicht mehr zu erreichen.« Harry Schnabel
Wie damit umgehen? »Wir haben zwei Möglichkeiten«, sagte Kiesel. »Wir können uns abgrenzen oder in die Debatte eintreten und die Bilder dekonstruieren.« Dass nur mit letzterem Ansatz ein Fortschritt zu erreichen sei – da waren sich die Seminarteilnehmer einig. Klar war aber auch, dass die Problematik nicht innerhalb der zwei Seminartage abzuarbeiten war.
Erkenntnisprozesse »Wir wollen mit dieser Veranstaltung den Blick schärfen«, so Kiesel. Es existiere ein weites Spektrum an Bildern. »Auf welche greift man zurück? Welche Motivation und welches Interesse stecken dahinter?« Das Seminar sei nicht zuletzt auch deshalb initiiert worden, um sich diese Prozesse bewusst zu machen. In Zeiten, in denen die Kommunikation in den Medien lauter und schnelllebiger ist als je zuvor, sei ein Nachdenken über Sprache und Sprachbilder sehr wichtig, betonte Harry Schnabel. »Mit Vernunft allein scheint man die Menschen nicht mehr zu erreichen«, konstatierte er besorgt.
»Ethik, Hygiene im Sprachgebrauch und in der Rhetorik sind allerdings wichtig für die Demokratie.« Jeder solle sich der Wahrheit verpflichtet fühlen, sowohl Medienschaffende als auch Privatpersonen. »Und Wahrheit braucht Zeit, Recherche und einen Fakten-Check«, sagte er.
Bilder über Juden seien in der Gesellschaft tief verankert, sagte Hannah Dannel. »Wir haben es mit keiner leeren weißen Leinwand zu tun. Auch wenn in Deutschland viele noch nie bewusst einen Juden gesehen haben, haben sie trotzdem schon Bilder im Kopf.«
Kontinuität Die jüdischen Gemeinden seien ein wichtiger Kulturmittler in der Frage, was jüdisch ist. Doch auch dort beobachte sie eine gewisse Bildunsicherheit. In den unterschiedlichen Gemeinden gebe es aufgrund der Schoa, des Sozialismus und der Migration eine »gebrochene Kontinuität«. »Es gibt nicht das eine Bild vom Juden, es ist ein Kaleidoskop«, sagte Hannah Dannel. Diese Vielfalt zu vermitteln, sei wichtig. »Wir müssen uns auch fragen: Ist es immer authentisch, was wir machen? Ist zum Beispiel, nur, weil jemand jüdisch ist, Klezmer-Musik authentisch?«
Nach einer Einführung und Vorstellungsrunde am Sonntagvormittag wurde das Seminarthema in zwei Workshops vertieft. Daniel Wildmann, Direktor des Leo-Baeck-Instituts London, behandelte in seinem Kurs das Thema Juden in deutschen TV-Krimis. Dabei stellte er den Teilnehmenden die Frage, was sich über die deutsche Gesellschaft erfahren ließe, wenn Juden in populären Krimis zu Verdächtigen erklärt würden.
Woher hat die nichtjüdische Öffentlichkeit ihre Vorstellung von Juden?
Der zweite Workshop, geleitet von dem Pädagogen Manfred Levy, befasste sich mit der Frage, woher die nichtjüdische Öffentlichkeit ihre Vorstellung von Juden beziehe. Fehlende Erfahrungen mit Juden und jüdischem Leben würden bei vielen Menschen dazu führen, dass sie die Wissenslücke mit Bildern aus Filmen, Büchern und anderen Medien füllten. Doch etliche Karikaturen, Schulbücher und Spielfilme würden stereotype Darstellungen zeigen, die oft massive Vorurteile widerspiegelten.
Anhand ausgewählter Bilder und Filmausschnitte diskutierten und hinterfragten die Teilnehmer diese Darstellungen von Juden und ihre Wirkung auf die Rezipienten.