Klimaschock beim »Hundertjahrestrip«: Mehrere Dutzend Frauen der »Women of Reform Judaism« (WRJ) aus den USA und Kanada haben am Wochenende ihre fast zweiwöchige Reise im eisigen Berlin beendet – nachdem sie zuvor bei für die Jahreszeit ungewöhnlich heißem Wetter durch Israel gereist waren. Anlass für die »Centennial Celebration Tour« der Reform-Frauen war das 100-jährige Gründungsjubiläum der WRJ, die sich im Jahr 1913 in den USA konstituiert hatten.
Für viele Teilnehmerinnen war es die erste Reise nach Deutschland – so etwa für die Ärztin Lynne Merriam, die in Tampa (Florida) lebt. Ihr Vater war Offizier der US-Armee und gehörte zu den Befreiern des Konzentrationslagers Buchenwald. Er habe sich stets geweigert, deutschen Boden zu betreten, sagte Merriam.
Schon als Kind hatte ihr der Vater die Fotos gezeigt, die er nach der Befreiung des KZ aufgenommen hatte. Sie selbst sei jedoch froh, gemeinsam mit ihren Mitstreiterinnen Berlin zu besuchen: »Ich gehöre einer anderen Generation an, ich fahre sogar ein deutsches Auto.« Beeindruckt zeigte sich Lynne Merriam von ihrem Besuch im Haus der Wannsee-Konferenz: »Das Wissen über die Schoa wird Schülern hier sehr intensiv vermittelt.«
Rosenstraße Gleich nach ihrer Ankunft am vergangenen Donnerstag legten die Aktivistinnen der WRJ einen Kranz in der Rosenstraße in Berlin-Mitte nieder, um des Protestes nichtjüdischer Frauen Ende Februar/Anfang März 1943 gegen die Deportation ihrer jüdischen Männer zu gedenken. Am Freitag besuchten die Reform-Frauen die Synagoge Pestalozzistraße, am Wochenende das Abraham Geiger Kolleg. Einige der Rabbiner- und Kantorenstudenten des Geiger-Kollegs werden von der WRJ durch Stipendien des »YES Fund« in Höhe von etwa 750 Euro im Monat gefördert.
In Jerusalem hatten sich die Frauen der jüdischen Reformbewegung am 12. März am »Rosch-Chodesch-Gebet« des Monats Nissan der »Women of the Wall« an der Klagemauer beteiligt – gemeinsam mit den Knesset-Abgeordneten Stav Shafir (Arbeitspartei), Tamar Zandberg (Meretz) und Michal Rozin (Meretz).
gebetsschals »Mein Sohn, der in Tel Aviv lebt, hat die Gebetsschals auf die Frauenseite der Klagemauer eingeschmuggelt«, erzählte Sara Charney, Vizepräsidentin der WRJ und Mitglied der Gemeinde Holy Blossom Temple im kanadischen Toronto, bei einem Abendessen in Berlin. »Anfangs hatten wir Angst, verhaftet zu werden, doch uns ist nichts passiert«. Es war das erste Mal seit vielen Monaten, dass keine Frauen bei einem »Women of the Wall«-Event an der Kotel verhaftet wurden.
Die israelische Polizei habe die Frauen beim Gebet an der Klagemauer vom Rest des Publikums abgeschirmt, berichtete Charney. Gestört worden seien die Frauen allerdings durch einen ultra-orthodoxen Beter auf der Männerseite, der absichtlich laut ein Schofar geblasen habe, um den Gesang der Frauen zu übertönen: »Das war surreal – aber wir haben einfach umso lauter gesungen«, sagte Sharon Benoff, ebenfalls Vizepräsidentin der WRJ von der Reformgemeinde Ben Ami in Newtown, Pennsylvania.