Anat Kozlov kommt sofort auf den Punkt: »Wir werden gemeinsam kochen und dabei etwas über die jüdische Kultur erfahren. Und wir wollen das Essen gemeinsam genießen.« Im Lehrhaus der Jüdischen Gemeinde Wiesbaden bietet die 61-jährige Israelin pro Semester drei Kurse über koscheres Kochen an. Maximal 20 Teilnehmer können mitmachen, erläutert Steve Landau, Leiter des Jüdischen Lehrhauses.
Auf einem Tisch im Seminarraum neben der Küche hat Anat Kozlov einen kleinen Berg von Tomaten, Gurken, Zucchini, Bohnen, Beeren, Aprikosen, Kirschen und einigem mehr aufgebaut. Es sind die Zutaten für zwei Vorspeisen, zwei Hauptgerichte und zwei Nachtische: für Petersiliensalat, Risotto mit Tomaten, marinierte Möhren-Zucchini-Röllchen, Auberginen-Moussaka, knusprige Nusstarte mit Sommerpflaumen sowie Pfannkuchenstreifen mit Nektarinen-Rosinen-Kompott.
Teams »Wer möchte in welche Gruppe?«, fragt Anat Kozlov. Jedes Grüppchen erhält das Rezept, für das es sich entschieden hat. Die Kochanleitung diene der Orientierung, man müsse sie nicht eins zu eins umsetzen, betont die Kursleiterin. Heute gebe es zu wenig Petersilie, sagt sie, also muss das Team, das sich um die Zubereitung des Salats kümmert, »ein bisschen improvisieren«, meint Kozlov. Zugleich vermittelt sie damit eine Kernbotschaft: »Improvisation ist typisch für die jüdische Küche.« Daher werden heute etwas mehr Cranberrys und Cashewnüsse in kleine Würfel geschnitten, als im Rezept vorgesehen.
Elzbieta und Tobias Hübner kennen und lieben die Kochkünste von Anat Kozlov. Das Ehepaar war vergangenes Jahr in Israel und schwärmt von dem Land und seiner Kultur. »Und das Essen gehört einfach dazu«, erklärt der Bankkaufmann. »Wir lieben die Küche – und die Menschen, denn sie sind sehr herzlich.« Hans-Georg Eder (61) ist mit seiner Ehefrau im vorigen Jahr ebenfalls bei einer Israelreise auf den Geschmack gekommen. »Ich koche privat schon mein Leben lang – und kann hier die koschere Küche direkt ausprobieren. Das ist wunderbar«, erzählt er, während er eine Zwiebel schneidet. Kontakt zur Wiesbadener Gemeinde hatte er bislang nicht.
Einflüsse »Braucht noch jemand Zitronenscheiben?«, ruft Anat Kozlov in die Runde. Die Hobbyköche sind mit ganzem Herzen bei der Sache. Genau das will die 61-Jährige vermitteln. »Kochen ist keine Mathematik«, sagt sie. »Es gehört Leidenschaft dazu.« Judentum ist für sie nicht nur eine Religion, sondern eine Lebenseinstellung. »Ich lebe schon viele Jahre in Deutschland, aber Israel wird immer meine Heimat bleiben.« Daher ist es für sie eine Herzensangelegenheit, auch Menschen aus anderen Ländern Einblicke in israelische Kochtöpfe zu bieten und Appetit zu wecken: »Geprägt von mediterranen und arabischen Einflüssen sowie den neuesten Trends aus New York und London, hat sich in Israel eine moderne und lebendige Kochszene entwickelt.«
Vor vier Jahren hat die Wiesbadener Gemeinde die Tradition des Jüdischen Lehrhauses wiederaufleben lassen. Sie geht auf die Religionsphilosophen Franz Rosenzweig und Martin Buber zurück. Ziel war es, traditionelles jüdisches Wissen auch in die nichtjüdische Umgebung hinauszutragen. Lehrhaus-Leiter Steve Landau und Gemeindevorstand Jacob Gutmark sind sich einig, dass Martin Buber sich wahrscheinlich über einen koscheren Kochkurs gewundert hätte. Doch jetzt muss erst einmal gefastet werden, schließlich steht Jom Kippur vor der Tür. Am 10. Oktober wird wieder im Lehrhaus gekocht.