Dürfen in diesen Zeiten, in denen Israelis als Geiseln schutzlos der Hamas ausgeliefert sind, in denen die Terrororganisation über 1400 Jüdinnen und Juden erbarmungslos ermordete und alle Menschlichkeit zerstört scheint, dürfen in diesen Zeiten Kunst und Kultur gefeiert werden?
Die Organisatoren der ersten Jüdischen Kulturtage in Hamburg glauben, dass all das gerade jetzt notwendig ist, und haben deshalb ein umfangreiches wie auch ambitioniertes Programm auf die Beine gestellt. So hat die Jüdische Gemeinde der Hansestadt zusammen mit ihren Kooperationspartnern von Samstag bis zum 10. Dezember mehr als 40 Veranstaltungen an rund 30 verschiedenen Orten in der gesamten Stadt geplant.
Über fünf Wochen hinweg präsentieren Künstlerinnen und Künstler das reichhaltige und diverse jüdische Kulturleben mit Konzerten und Kino sowie Geschichte(n) und Literatur, Tanz und Theater, und bei alledem werden auch das jüdische Alltagsleben und die jüdische Religion thematisiert.
Mehr als 40 Veranstaltungen an 30 verschiedenen Orten sind in der Stadt geplant.
Für das Auftaktkonzert am Samstag konnten die Veranstalter die Elbphilharmonie am Hamburger Hafen buchen. Das Finale bildet dann der Chanukka-Markt auf dem Joseph-Carlebach-Platz mit dem gleichnamigen Bildungszentrum in der Talmud-Tora-Schule.
TRADITION Die ersten Jüdischen Kulturtage sollen Menschen aus der ganzen Stadt zusammenbringen. »Die jüdische Kultur ist voller Weisheit und schöner Traditionen«, bringt es Philipp Stricharz auf den Punkt. »Wir müssen darauf achten, dass angesichts des aktuellen Hasses und des Terrors das alles nicht in Vergessenheit gerät«, so der erste Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Hamburg, zu der auch die Reformsynagoge Hamburg gehört. Stricharz hofft, dass die Jüdischen Kulturtage die Menschen einander ein wenig näherbringen. Die Reformsynagoge lädt auch zu einem Gespräch in ihre Räume ein, den Betty-Heine-Saal im ehemaligen Israelitischen Krankenhaus auf St. Pauli.
STUMMFILM Der größte Programmteil ist den darstellenden Künsten mit Theater-, Tanz- und Filmvorführungen gewidmet und beginnt am Samstag mit dem Stummfilm-Konzert »Jüdisches Glück« in der Elbphilharmonie mit Günter Buchwald am Klavier und dem Klarinettisten Helmut Eisel. Zeitgleich läuft der alte Klassiker aus dem Jahr 1925 auf der Leinwand, der an ukrainischen Originalschauplätzen in Berdytschiw und Odessa entstand. Kameramann war Eduard Tissé, der ebenfalls damals Sergei Eisensteins Panzerkreuzer Potemkin drehte.
Unter dem Titel »Buraya! Oraya! Hierhin! Dorthin!« führt das jüdische Puppentheater »Bubales« zusammen mit der Türkischen Gemeinde Hamburg in den Kammerspielen am Grindel ein Puppentheater eigens für Kinder mit jüdischer und türkischer Musik auf, das auch für Ältere spannend sein dürfte. Mit frechen Puppen und coolen Songs reisen Shlomo und Ayshe durch das alte jüdische Istanbul und begegnen Puppen weiterer Kulturen. Zur Erinnerung: Die Hamburger Kammerspiele sind ein jüdischer Geschichtsort mit langer Tradition. Auch Ida Ehre ist dort früher aufgetreten.
Von einer anderen Ida wird im Dehmelhaus zu hören sein, wo die szenische Lesung »Zu Hause bei Ida Dehmel« mit der Schauspielerin Barbara Nüsse vom Thalia Theater stattfindet. Und im English Theatre ist die Produktion »Ich bin eine Hexe« zu sehen, eine Hommage an die Tänzerin und Schauspielerin Valeska Gert.
SPIELSTÄTTE Heinrich Heine darf bei solchen Kulturtagen ebenfalls nicht fehlen. Die Collage »Leben Sie wohl, und hole Sie der Teufel« wird im Tonali-Saal gespielt. Heines Bewunderin George Sand sagte einmal: »Sein Herz ist so gut, wie seine Zunge schlecht ist. Er ist zärtlich, aufmerksam, aufopfernd, in der Liebe romantisch, ja schwach, und eine Frau kann ihn unbegrenzt beherrschen.« Musikalischer Genuss wird ebenfalls reichlich geboten, und zwar an renommierten Spielstätten wie dem Rolf-Liebermann-Studio des NDR, wo sich vor der NS-Zeit der Tempel von Hamburgs damaliger liberaler Gemeinde befand. Im legendären Jazzclub »Birdland« präsentiert eine Band rund um Kantor Assaf Levitin israelischen Jazz, im Ernst Barlach Haus gibt es ein Konzert mit Liedern, und im Goldbekhaus singt und spielt das Duo »Stellaʼs Morgenstern« mit Frank London »Beautiful Songs«. Schließlich zaubert auch noch Marcia Boom israelische und Ladino-Klänge im »UWE« am Spielbudenplatz, und – last but not least – interpretieren in der Aula der Talmud-Tora-Schule Daniel Kahn und Christian Dawid jiddische Lieder. Wer selbst aktiv werden will, kann sogar an einem Klezmer-Workshop teilnehmen.
GESELLSCHAFT Für das Literarische sind schließlich Barbara Honigmann mit Unverschämt jüdisch, Michel Bergmann mit Mameleben oder das gestohlene Glück, Rafael Cardoso mit Das Leben des Hugo Simon sowie Adriana Altaras mit Besser allein als in schlechter Gesellschaft zuständig.
Man will in Zeiten wie diesen den gegenseitigen Respekt stärken.
Anlässlich des Jahrestages der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November dreht sich dann alles um Erinnerungskultur, weshalb auch die Jüdische Gemeinde und die Stiftung Bornplatzsynagoge zum Gedenken an die Opfer der Schoa auf den Joseph-Carlebach-Platz einladen.
Einen ganz speziellen Einblick in die jüdische Geschichte Hamburgs bieten Stadtspaziergänge durch das jüdische Grindelviertel, ein Besuch des berüchtigten Lagerhauses G auf der Veddel, ein Gespräch über die Erfahrungen von persischen Jüdinnen und Juden in Hamburg in der Nachkriegszeit im Institut für die Geschichte der deutschen Juden sowie die Ausstellung »Durch Kinderaugen gesehen: Schulhefte und Zeichnungen jüdischer Schülerinnen und Schüler vor 1945« in der Gedenk- und Bildungsstätte Israelitische Töchterschule.