Als vor rund 20 Jahren die Zuwanderung von Juden aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion begann, erlebten die jüdischen Gemeinden Deutschlands einen regelrechten Mitgliederboom. Mittlerweile ist die Zahl der sogenannten Kontingentflüchtlinge aufgrund neuer Zuwanderungsvorschriften spürbar zurückgegangen.
Wer in seiner Gemeinde Juden, die aus Berufsgründen umgezogen sind, Studenten von außerhalb oder Senioren, die näher bei ihren Kindern leben möchten, als neue Mitglieder begrüßen möchte, muss schon aktiv auf die Menschen zugehen. Das ist jedoch nicht immer so einfach, wie es klingt.
»Es gibt kaum neue Mitglieder«, sagt Alexander Drehmann von der Jüdischen Gemeinde Aachen. Entsprechend bietet man auch keine speziellen Informationsveranstaltungen an, sondern »individuelle kurze Überblicke über das, was wir bieten können sowie über Veranstaltungen und Aktivitäten«.
Keine Infos Obwohl die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule (RWTH) Aachen, immerhin drittgrößte Universität Deutschlands, besonders in Ingenieurwissenschaften und mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern auch international einen guten Ruf hat, finden nur selten jüdische Studenten ihren Weg in die Gemeinde. »Aus datenschutzrechtlichen Gründen können wir die jüdischen Studenten nicht direkt ansprechen, denn die RWTH darf uns keine Informationen geben«, erklärt Drehmann.
Mit der geplanten Zweitwohnungssteuer könnte sich das ändern, hofft er. Deren Umsetzung ist Sache der Städte und Gemeinden, wann sie in Aachen genau beschlossen wird, steht zwar noch nicht ganz fest, aber »viele Studenten werden sich dann ummelden, weil es ansonsten teuer wird«. Überhaupt werde sich Einiges tun, freut sich Drehmann. »Die Universität Haifa hat kürzlich ein Abkommen mit der RWTH Aachen geschlosssen. Wir werden dann hoffentlich israelische Studenten und Dozenten begrüßen können.«
Datenschutz Auch in Marburg kennt man das Problem mit dem Datenschutz. »Wir haben zwar im Ausländerreferat der Uni Infoblätter ausgelegt, um jüdische Studierende anzusprechen, aber sehr erfolgreich war das nicht, in der Flut von Informationen hat man keine große Chance, es kommen nur gelegentlich Studenten zu uns«, sagt Monika Bunk.
Generell habe man nicht viele neue Mitglieder in letzter Zeit begrüßen können. »Die meisten waren Zuwanderer, die wurden dann gleich mit einbezogen und zum Beispiel zu unserer Mittwochsrunde eingeladen, wo sie mit allem bekannt gemacht werden.« Jüngere jüdische Studenten anzusprechen, sei gleichwohl ein gutes Ziel.
»Jetzt gerade haben wir ein russischstämmiges neues Mitglied, das hier zunächst studiert hatte. Mittlerweile hat er geheiratet und möchte sich gern in der Gemeinde engagieren.« Die jüngere und die ältere Generation würden am besten über Gleichaltrige angesprochen, weiß Bunk, die kleine Gemeinde könne dabei unterstützen.
Familiennachzug »Nach Recklinghausen kommt keiner«, sagt die Sozialarbeiterin der Gemeinde des Kreises Recklinghausen, Jana Stachevski, ein bisschen resigniert. Vor sieben Jahren konnte man zum letzten Mal »ganz neue Mitglieder« begrüßen, »nun sind es meistens solche, die aus der ehemaligen Sowjetunion hierhergezogen sind, weil sie bereits Familienmitglieder vor Ort haben.«
Entsprechend übernehme dann auch in aller Regel die Verwandtschaft die Einführung in die Gemeinde. »Morgen stellen sich zum Beispiel neue Mitglieder vor, die als Familiennachzug kamen.« Dadurch, dass die Verwandten bereit seien, bei der Eingewöhnung tatkräftig zu helfen, sei dann für die Neulinge Vieles einfacher: »Vorab hatte man sich zum Beispiel schon erkundigt, wie es mit einem Sprachkurs aussieht.«
Zusammenarbeit Für kleine Gemeinden sind die Probleme, die sich aus der geringen Zahl neu hinzugezogener Juden ergeben, groß. »Die jungen Menschen gehen weg, weil sie in den großen Städten studieren, und dann bleiben sie meist dort«, weiß Stachevski. »In manchen Bereichen, wie zum Beispiel in der Jugendarbeit oder der Selbsthilfegruppe für russischstämmige geistig Behinderte, arbeiten wir jetzt schon mit den Nachbargemeinden zusammen, weil es anders gar nicht gehen würde.«
In Hamburg könnten dagegen die neuen Mitglieder die alten sein – gerade hat der neue Vorstand damit begonnen, denjenigen, die aus Frust über die Querelen der vergangenen Jahre der Gemeinde den Rücken kehrten, anzuschreiben. Die Resonanz auf die Briefe sei sehr gut, freut sich Roy Naor, zuständig für Kultus, Jugend und Öffentlichkeitsarbeit: »Die ersten ehemaligen Mitglieder sind wieder beigetreten.«
Neue Medien Aber das schriftliche Angebot, die Gemeinde neu kennenzulernen, soll noch nicht alles sein: »Wir werden nun verstärkt auf das Internet setzen, denn junge Leute erreicht man vor allem über persönliche Kontakte bei Facebook. Deswegen wird die Gemeinde dort auch mit einer eigenen Seite aktiv werden.« Zusätzlich soll es bald auch möglich sein, den Mitgliedsantrag in elektronischer Form zu stellen.
»Es ist nämlich nicht so, dass die Leute etwa Schwellenangst hätten und sich scheuten, in der Gemeinde vorbeizukommen«, weiß Naor. »Der Aufwand, vorstellig zu werden, und das noch an einem Vormittag, ist vor allem für Berufstätige einfach sehr groß. Und da ist ein downloadbares Formular doch ein guter Service.«