Obwohl wir weniger Mittel haben, ist das Programm in diesem Jahr wieder fantastisch», schwärmt Max Privorozki, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Halle (Saale) und auch Vorsitzender der Jüdischen Landesgemeinde. Privorozki weiß, wie schwer es ist, ein Kulturprogramm zu stemmen, das mit hochkarätigen Gästen aufwartet und dazu noch für jeden Geschmack etwas bietet.
In diesem Jahr wird Lorin Sklamberg aus New York zu Gast sein. Der Grammy-Preisträger wird unter anderem gemeinsam mit Polina und Merlin Shepherd am kommenden Samstag ein Klezmerkonzert geben, das sogar von einem britischen Rundfunksender aufgezeichnet wird.
Das ist aber nicht der einzige Höhepunkt. Bereits zum Auftakt der Kulturtage füllten sich am Sonntag die Reihen im Saal des Stadtmuseums: Die Ausstellung «200 Jahre jüdische Reformbewegung und ihre Architektur» wurde eröffnet. Dass so viele Gäste kamen, lag aber vielleicht auch am Familienkonzert: «Fun griner katshke, broynem ber und flaterl» erzählten die Kinderlieder, die dort zu hören waren. Es war die Premiere der CD Far dem neyem dor! mit jiddischen Kinderliedern.
Schon jetzt ist mancher Veranstaltungsort zu klein, und die Organisatoren um den künstlerischen Leiter Andreas Schmitges mussten neu disponieren. Das Interesse ist groß, sagt auch Max Privorozki. Vor allem der offene Schabbatabend mit Rabbiner Kahanovsky und Kantor Zemsky ist schon seit Wochen ausgebucht.
Dass die Hallenser jüdischen Kulturtage etwas Besonderes sind, wird nicht nur an den Wissenschaftlern, Musikern, Künstlern und vielen Helfern im Hintergrund deutlich, vor allem zeigt es sich in der Programmauswahl: Konzerte, Tanzperformances, Vorträge – und Stadtführungen.
friedhofstour Solche Rundgänge bietet René Zahl an. Der sympathische 27-Jährige erklärt nicht nur das Stadtbild, sondern hat auch stets eine Mappe dabei, aus der er historische Bilder der Stadt Halle holt. Er reicht seinen Gästen alte Stadtpläne und Skizzen von Gebäuden herum, damit sie sich diese ansehen können. «Wir gehen immer mehr in die Vergangenheit bei unserer Tour», erklärt der Student, der sich beruflich mit dem Management natürlicher Ressourcen beschäftigt, seine besondere Art der Stadtführung. Seine Leidenschaft ist die jüdische Geschichte, vor allem die seiner Stadt.
«Wir beginnen jetzt an dem Punkt, wo es um das Erinnern in der DDR geht.» René Zahl zeigt dabei auf ein karges Tor aus Beton und Backsteinen mit einer Eisengitterverzierung in der Mitte. Die Gruppe steht in der Innenstadt, am Jerusalemer Platz. Zwischen DDR-Plattenbauten und Gründerzeitklinkersteinen haben die Laubbäume ihre leuchtend gelben Blätter abgeworfen.
Der Anblick des DDR-Denkmals inmitten dieser Kulisse ist durchaus bizarr. Der nüchterne Gedenkort soll an das einstige Synagogentor erinnern, doch seine Ästhetik verrät, dass er vor allem als antifaschistisches Mahnmal gedacht war. René Zahl zeigt auf einen schmalen Durchgang und das, was hinter den Plattenbauten, also jenseits des Denkmals, heute stehen könnte. «Genau dort war einst die Synagoge.» Doch die ging in der Pogromnacht 1938 in Flammen auf.
Um 1700 war ganz in der Nähe die erste Hallenser Synagoge entstanden – verborgen in einem Wohnhaus gelegen. Es sollte ein unscheinbarer Ort sein, erzählt René Zahl. «Und dennoch: 1724 verwüstete ihn die Stadtbevölkerung.»
ddr-erbe Nebenan isolieren Bauarbeiter die Wände der DDR-Platten, schleppen Eimer und Baugerät, füllen die Container. Fast unbemerkt schlummern unter einer Schicht von Staub mitten im Baugetümmel 14 Messingstolpersteine für die Familien von Leib Herschkowicz und Rosalie Meyerstein. «Wir haben viele Stolpersteine hier in Halle», wird Max Privorozki später erklären. An 101 Adressen wurden bereits 212 Steine verlegt.
Noch ist nicht alles bekannt über die jüdische Geschichte der Stadt. Stadtführer René Zahl will das Auf und Ab recherchieren: Wann lebten wie viele Juden in Halle? Rund um den heutigen Marktplatz steht ein großes Kaufhaus neben dem anderen. Viele davon hatten früher jüdische Besitzer: Brummer & Benjamin, Alex Michel, Julius Lewin. Auch das Kaufhaus Huth gehörte dazu.
Es ist jener charismatisch-schlichte Bau mit auffallender Fassade, die von langen säulenartigen Streben und hohen Fenstern geprägt ist, vor allem aber von den waagerechten goldenen Mosaikstreifen, die ihr Stil und Glanz verleihen. «Hier durften Künstler im ersten Stockwerk früher ihre Werke ausstellen: Bilder, Keramik, Plastiken», sagt René Zahl. «Der Besitzer war dafür offen.» Schon damals gab es die renommierte Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein, wo die Künstler ausgebildet wurden.
Pogromnacht Der Streifzug durch das jüdische Halle geht zur heutigen Synagoge, einem Bau im maurischen Stil aus dem Jahr 1894. Er war ursprünglich die Trauerhalle des jüdischen Friedhofs, erst 1953 wurde er zur Synagoge umgebaut. Aus diesem Grund wurde das Gebäude in der Pogromnacht nicht zerstört.
Für Max Privorozki ist der Ort sehr ungewöhnlich. «Denn selten stehen Synagoge und Friedhof so nahe nebeneinander», sagt er. Man habe sich deshalb in Halle später für eine kleine Mauer entschieden, als optische Abgrenzung. Etwas, das man nicht bei allen jüdischen Kulturtagen zu sehen bekommt.