Angesichts des Al-Quds-Tags, den Israelhasser am Freitag begehen, hat Josef Schuster, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, die Polizei zu einem konsequenten Eingreifen bei antisemitischen Parolen aufgefordert.
Sprüche wie »Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein«, die in den vergangenen Tagen zu hören waren, dürften nicht geduldet werden, sagte Schuster der Jüdischen Allgemeinen: »Ich glaube, dass man bei der Polizei überrascht war über das Ausmaß, die Heftigkeit und den Inhalt dieser Demonstrationszüge, und dass man darauf nicht vorbereitet war.« Er gehe davon aus, dass die Polizei künftig das Demonstrationsrecht sichern werde, aber auch darauf achten werde, »was unter den Begriff der Volksverhetzung fällt«.
Meinungsfreiheit Im Rahmen der Meinungsfreiheit habe er Verständnis für pro-palästinensische Demonstrationen, sagte Schuster: »Ich kann das akzeptieren und habe überhaupt kein Problem damit, dass es sie gibt.« Mit den Inhalten der Demonstrationen, »so wie wir sie erlebt haben«, habe er allerdings große Probleme. Er beobachte eine »ganz seltsame Allianz« aus Palästinensern, extremen Linken und Rechtsradikalen.
»Offensichtlich traut man sich, Dinge zu sagen, die man sich früher nicht getraut hat, die aber vermutlich in diesen Kreisen schon immer im Kopf herumgeschwirrt sind«, so Schuster. Bisher hätten die Polizeibehörden auf solche Sprüche in keiner Weise reagiert, sondern »teilnahmslos am Wegrand gestanden«, kritisierte der Zentralratsvize. Er habe aber den Eindruck, dass die Polizei nach den jüngsten Vorfällen deutlich sensibilisiert sei.
opposition Viele Demonstranten machten keinen Unterschied zwischen dem Judentum und Israel, kritisierte Schuster. Doch nicht jeder Jude auf der Welt heiße die Politik Israels in allen Details für gut: »In Israel selbst gibt es ebenso nicht immer nur eine Meinung, sondern auch eine Opposition.« Dass Juden in aller Welt eine Affinität zu Israel haben, »wundert nicht und liegt auch in der Natur der Sache, gerade in Deutschland«, unterstrich Schuster. Hätte es den Staat Israel schon in den 30er-Jahren gegeben, wäre die Geschichte des Judentums anders verlaufen, sagte er.
Viele Gemeindemitglieder seien angesichts der aktuellen Situation sehr besorgt. »Es gibt auch die Frage: Kann man wirklich als Jude in Deutschland leben?« Sein Eindruck sei, dass sich vor allem Menschen diese Frage stellten, die nicht in Deutschland aufgewachsen sind, so Schuster.
Auf der anderen Seite »sind wir sicher nicht in der Situation, dass von jüdischer Seite die Meinung vertreten wird, dass man als Jude nicht in Deutschland leben kann oder nicht leben sollte, denn dann hätte der Zentralrat und die Landesverbände die vordringlichste Aufgabe, die jüdischen Bewohner Deutschlands genau in diese Richtung aufzufordern. Das ist, denke ich, nicht der Fall.«
Beruhigung Beruhigend für die jüdische Gemeinschaft hätten sich die zahlreichen Solidaritätsbekundungen vonseiten der Politik ausgewirkt. »Ich denke, dass es auch für die Gemeinden ganz wichtig war, dass die Kanzlerin, der Vizekanzler, der Bundespräsident sich geäußert haben – dass es aber auch vonseiten der Kirchen klare Signale in Richtung der jüdischen Gemeinden gab, dass sie für die Existenz und Sicherheit jüdischer Menschen in Deutschland einstehen.«
Unabhängig von der aktuellen Situation habe er das Gefühl, dass Polizei und Sicherheitsbehörden sehr sensibel für die Sicherheit jüdischer Gemeinden und Einrichtungen seien, versicherte Schuster.
Zur Frage einer wachsenden Judenfeindschaft sagte der Zentralratsvize, dass nicht die Zahl der Antisemiten in Deutschland insgesamt größer geworden sei, sondern dass der Antisemitismus heute offener zutage träte. »Die Zahl, dass jeder vierte Deutsche keinen jüdischen Nachbarn haben will, ist immerhin in einer Zeit entstanden, in der es keinen Krieg in Gaza gab – und auch nicht die Beschneidungsdebatte.« Dass etwa 20 bis 25 Prozent der Bevölkerung Ressentiments gegen Juden hegten, sei seit Langem bekannt, so Schuster.