Der Intendant der Oberammergauer Passionsspiele, Christian Stückl, ist in diesem Jahr mit dem Abraham-Geiger-Preis ausgezeichnet worden. Am Sonntagvormittag konnte der Theaterintendant, Regisseur und geborene Oberammergauer die Ehrung im Münchner Volkstheater, das er seit 2002 leitet, verspätet entgegennehmen. Wegen der Corona-Pandemie konnte der geplante Festakt im Mai in Oberammergau nicht stattfinden.
Vergeben wird die Auszeichnung vom Abraham Geiger Kolleg, dem Rabbinerseminar in Potsdam, an »Persönlichkeiten, die sich um den Pluralismus verdient gemacht« und sich »für Offenheit, Mut, Toleranz und Gedanken-freiheit« eingesetzt haben.
Reform Er freue sich wirklich sehr über diese Auszeichnung, bekannte Stückl. »Aber eigentlich braucht’s für so was ja gar keinen Preis.« Und damit meint er sein stetes Bemühen, als Theatermacher gegen Antisemitismus vorzugehen, insbesondere gegen den tradierten Antijudaismus in den Passionsspielen von Oberammergau, die er seit 1987 leitet und sehr grundsätzlich reformiert hat. Für ihn sei das eine Selbstverständlichkeit. Er habe sich schon immer gegen Antisemitismus gewehrt.
Und es klingt, als sei dieses Wehren tatsächlich Teil seiner »Natur«. Dabei wirkt Stückl so authentisch, dass man nicht anders kann, als in ihm eine Person zu sehen, die Dinge mit Herz und Hirn angeht, Gewohnheiten hinterfragt, hartnäckig Probleme und Schieflagen unter die Lupe nimmt und keine Mühen scheut, auch die Zuschauer in der hintersten Reihe zumindest zum Nachdenken zu bewegen.
»Man muss sich halt einfach zusammenhocken und reden.« Und so kann man die Bitte von Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, in ihrer Laudatio sehr gut nachvollziehen: »Bewahren Sie sich Ihre Haltung und Ihre Ehrlichkeit. Verbiegen Sie sich nicht, sondern seien Sie weiter der Mensch, der Sie schon immer waren.«
Josef Joffe betonte, dass Christian Stückl die Passionsspiele erneuert habe – weg vom Judenhass hin zur Darstellung innerjüdischer Konflikte.
Rabbiner Walter Homolka, Rektor des Abraham Geiger Kollegs, stellte fest: »Stückl verdanken wir Oberammergauer Passionsspiele ohne christlichen Antijudaismus.« Josef Joffe, Herausgeber der Wochenzeitung »Die Zeit« und Vorsitzender der Jury, legte dem Publikum dar, dass Stückl die Passionsspiele erneuert habe – weg vom christlichen Judenhass und hin zur Darstellung innerjüdischer Konflikte.
Der Preis, der an Abraham Geiger, Vordenker des liberalen Judentums, erinnert und der in den Vorjahren unter anderem an Amos Oz, Angela Merkel, Kardinal Lehmann und Alfred Grosser gegangen ist, ist mit 10.000 Euro dotiert. Gemeinsam mit dem Abraham Geiger Kolleg hat Stückl entschieden, dass er »interreligiösen Begegnungen mit Studierenden des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerks in Oberammergau« zugutekommen soll.
Diskussionskultur Mit den jungen Leuten arbeitet Stückl schon seit Längerem zusammen. »So ungefähr 30 kommen jedes Jahr zu mir nach Oberammergau, und da finden dann richtig gute Diskussionen statt«, erzählt der 58-Jährige.
»Ich glaube, wir haben gar keine andere Chance, als offen über alles zu reden«, wendet sich Stückl an die jüdische Gemeinschaft. »Wir wollen da ja kein Kasperltheater machen. Wir müssen schon wissen, wie man diese oder jene rituelle Handlung durchführt, wie man dieses oder jenes hebräische Wort ausspricht.«
Er reist immer wieder mit seinen Schauspielern und Schauspielerinnen nach Israel. »Einen Koscherstempel werden die Passionsspiele trotzdem nie kriegen«, sagt er, »aber aufhören, dran ’rumzutun, werd’ ich trotzdem nicht«, betont er in seinem nie unterdrückten oberbayerischen Dialekt. Diese Unermüdlichkeit, lobte Charlotte Knobloch, gelinge nur jemandem, »der enzyklopädisches Wissen mit Einfühlungsvermögen, diplomatischem Geschick und einem einzigartigen dramaturgischen Talent verbindet«.