Ohne Kinder gibt es keine Zukunft», da ist sich Irina Katz, Vorstandsvorsitzende der Israelitischen Gemeinde Freiburg, sicher. Sie selbst kam vor 19 Jahren nach Deutschland, gemeinsam mit ihrem damals achtjährigen Sohn. Katz stammt aus Donezk, der größten Industriestadt der Ukraine, wo es kein aktives jüdisches Leben gab. So wie ihr geht es vielen jüdischen Zuwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion: Sie sind jüdisch, ohne jüdisch zu leben. Ein Leben, wie Katz es für die Kinder ihrer Gemeinde nicht möchte: «Man muss die Infrastruktur in jüdischen Gemeinden stärken, vor allem Bildungseinrichtungen für den Nachwuchs müssen gefördert werden.»
Der Anfang für diese Zukunftsvision ist gemacht: Am 1. März 2013 soll in Freiburg im Breisgau ein jüdischer Kindergarten eröffnet werden – der erste seit der Nazizeit. Mit 750 Mitgliedern ist die Freiburger Gemeinde die größte in Südbaden und die drittgrößte in ganz Baden-Württemberg. Doch ein Kindergarten schien bisher ein undenkbares Projekt, zu hoch der Kostenaufwand, zu gering die Zahlen des Nachwuchses innerhalb der Gemeinde. Bis vor einem Jahr bei einem Treffen der Mitglieder der Liga der freien Wohlfahrtspflege in der Nähe von Freiburg die Gemeindevorsitzende Irina Katz auf die Freiburger Stadträtin Pia Federer sowie den Freiburger Oberbürgermeister Dieter Salomon traf.
Multikulti «Ich erläuterte noch einmal den Wunsch der Gemeinde, einen jüdischen Kindergarten zu errichten», erzählt Katz. «Nach einem längeren Gespräch konnten wir dem ganzen Projekt einen Rahmen geben: ein multikultureller Kindergarten, für jüdische und nichtjüdische Kinder, mit spielerischer Heranführung an das Judentum», erinnert sich die Gemeindevorsitzende an das Treffen im Sommer 2011. Einige Wochen später organisierte Pia Federer, selbst Vorstandsmitglied im Jugendhilfswerk Freiburg (JHW), ein Treffen mit Carlos Marí, dem Leiter des JHW, welcher bereits einige Kindergärten konzipiert hat. Der Grundstein war gelegt.
Mittlerweile ist ein geeignetes Gebäude gefunden. Auf dem Gelände des alten Güterbahnhofs in Freiburg steht das 725 Quadratmeter große Haus mit 800 Quadratmetern Außenbereich. In der einstigen Kantine der Deutschen Bahn soll ab kommendem Frühjahr gespielt, gelernt und gesungen werden.
Denkmalschutz «Im Moment wird fleißig renoviert, was aufgrund der Auflagen nicht einfach ist. Denn Teile des Gebäudes stehen unter Denkmalschutz», erklärt Irina Katz. «Auf einigen Gebäudeteilen kann man sogar die Jahreszahl lesen: 1907.» Die Vorsitzende lächelt. Sie ist stolz, dass die Gemeinde den Kindern in Zukunft so ein schönes altes Gebäude bieten kann. Pädagogisch verfolgt das Projekt ein einfaches Ziel: Toleranz und Multikulturalität. In diesem kleinen Modell sollen Kinder jeder Religion das Miteinander lernen. Ob Christen, Juden, Muslime oder Nichtreligiöse – alle sind willkommen. Denn das müssten die Kleinen von heute lernen, meint Irina Katz, dass das Leben vielfältig sei und Toleranz erfordere, um in Frieden miteinander zu leben.
Hebräisch Geführt wird die Kita jüdisch, das heißt, der jüdische Jahreskreis mit seinen Festen und Traditionen ist maßgeblich im Rahmen der religiösen Früherziehung. Unterstützung kommt deshalb auch vom Rabbiner der jüdischen Gemeinde in Freiburg, Avraham Yitzhak Radbil, der nicht nur über das koschere Essen des Kindergartens wacht. «Ich hatte die Idee, vielleicht auch einen Praktikanten aus Israel zu holen, um den Kindern Hebräisch beizubringen», erklärt der 28-jährige Rabbiner, selbst Vater von zwei Söhnen. «Was aber wie realisiert wird, steht noch nicht ganz fest. Letztendlich hoffe ich, dass ich im Rahmen von Feiertagen auch aktiv an der Gestaltung des Kindergartens mitwirken kann.»
Eltern Durch den jungen Rabbiner hat die Freiburger Gemeinde wieder verstärkt Zulauf von jüngeren Erwachsenen. In diesem Monat heirateten zwei Paare der Gemeinde in Israel. «Als sie vor ihrer Abreise von unserem Plan mit dem Kindergarten hörten, waren sie begeistert», erzählt Irina Katz. Auch die zukünftigen Eltern möchten die Traditionen gerne weitergeben. Ein guter Anfang, denn von den 50 freien Plätzen werden zu Beginn wohl nur gut 15 mit Kindern aus den jüdischen Gemeinden Freiburg und Emmendingen belegt, der Rest steht unter anderem dem Nachwuchs der Mitarbeiter des Uniklinikums Freiburg zu Verfügung.
Ein nicht unerheblicher Aspekt ist für die kleine Freiburger Gemeinde bei diesem Mammutprojekt die Sicherheit. Besucht man Gemeinden in Berlin, Frankfurt oder Düsseldorf, sind diese schwer bewacht, Polizei und Sicherheitsschleusen warten an den Eingängen. Doch Irina Katz winkt ab: «Wir wollen keinen Hochsicherheitstrakt aus dem Kindergarten machen. Bisher hatten wir eigentlich keine Probleme in Freiburg, die Stadt ist offen und tolerant. Wir sind sehr stolz darauf, hier ohne Probleme zu leben. Deshalb wird unser Sicherheitssystem zurückhaltend und unauffällig, aber dennoch effizient. Wir möchten niemanden verschrecken, weder Kinder noch Eltern.»
Chanukka Hoffnung, dass das Konzept gut ankommt, gibt Katz die Chanukkafeier im vergangenen Jahr. Carlos Marí, der den Kindergarten konzipiert, besuchte die Feier mit seiner fünfjährigen Tochter. Sie zündete gemeinsam mit den anderen Kindern das erste Licht der Chanukkia an. Es war das erste Mal für sie, denn die Familie Marí ist nicht jüdisch. Das Mädchen sei glücklich gewesen und hätte alles wahnsinnig interessant gefunden, erinnert sich Katz.
Das Modell, dass jüdische und nicht-jüdische Kinder zusammen jüdische Feiertage begehen und sich gemeinsam der Religion und der hebräischen Sprache annähern, soll auch im Kindergarten fortgeführt werden. Ein Projekt für die Zeit nach dem Kindergarten gibt es auch schon. «Eine jüdische Schule», sagt Irina Katz und lächelt. «Als wir vor drei Jahren das erste Mal von dem Kindergarten sprachen, schien das nicht realisierbar. Und jetzt? Jetzt eröffnen wir bald! Also können wir das nächste unrealisierbare Projekt in Angriff nehmen.»
Weitere Informationen und Anmeldung:
www.jg-fr.de/index.php/juedische-kita.html