Düsseldorf

Kinder über 60, Eltern 80 plus

Alexander Gubenko (l.) und Igor Ikhilis leben in der neuen WG. Foto: Jochen Linz

Der Fernseher läuft, Igor Ikhilis sitzt auf der großen Couch und schaut Sport. Sein Mitbewohner Alexander Gubenko kommt gerade von der Arbeit und geht in sein Zimmer, um sich umzuziehen. Alltag in einer Wohngemeinschaft, hier scheint nichts Besonderes zu passieren. Und gerade das macht es so besonders: Im Düsseldorfer Stadtteil Stockum wurde das erste Angebot für jüdisches Betreutes Wohnen in Nordrhein-Westfalen geschaffen. Drei Menschen werden hier dabei unterstützt, ein möglichst selbstständiges und selbstbestimmtes Leben zu führen.

»In unserer Gemeinde hat sich schon vor vielen Jahren die Gruppe Hatikwa, eine Selbsthilfegruppe für Menschen mit geistigen, körperlichen und seelischen Behinderungen, gegründet«, sagt Olga Rosow, Leiterin der Sozialabteilung der Düsseldorfer Gemeinde. »Aus dieser Gruppe heraus wurde der Wunsch geäußert, eine betreute Wohnform einzurichten.«

Da viele Eltern bis ins hohe Alter mit ihren Kindern unter einem Dach lebten, seien auch die Kinder oft 60 Jahre alt – oder noch älter. »Die Eltern sind dann schon 80 plus«, sagt Rosow. Für sie gibt es das Elternheim der Gemeinde, das Nelly-Sachs-Haus. »Dann können sie ihre Kinder aber nicht mehr betreuen.«

Nelly-Sachs-Haus Unterstützung für das gemeinsame Projekt der Sozialabteilung und des Nelly-Sachs-Hauses fanden die Düsseldorfer in Frankfurt, wo jüdisches Betreutes Wohnen bereits seit einer Weile angeboten wird. Als eine Wohnung, die der Gemeinde gehört, in unmittelbarer Nähe des Nelly-Sachs-Hauses frei wurde, musste sie renoviert werden. Hierfür konnte auf Mittel aus einer Erbschaft zurückgegriffen werden, die Liselotte Meyer, langjährige Bewohnerin des »Nelly«, für die Einrichtung eines solchen Projekts hinterlassen hatte.

»Man kann von der Wohnung aus sogar das Nelly-Sachs-Haus sehen. Die Bewohner können im Notfall, falls kein Betreuer vor Ort ist, hinübergehen, oder es kommt jemand vom Personal des Nelly-Sachs-Hauses«, erläutert Rosow. Dort können sie auch an Festen und Gottesdiensten teilnehmen, »die Türen stehen immer offen.« Ein anderer wichtiger, für viele Eltern vielleicht der wichtigste Punkt: Wenn sie ins »Nelly« ziehen, sind ihre Kinder nur wenige Meter entfernt.

Wochenenden Igor Ikhilis’ Mutter lebt noch in einer eigenen Wohnung in Garath, einem entfernten Stadtteil. »Es ist schwer, so weit weg von ihr zu sein«, sagt der 60-Jährige. In den ersten Wochen nach seinem Einzug ist er deshalb stets nach Hause gefahren, um die Wochenenden gemeinsam mit ihr zu verbringen. Doch inzwischen bleibt er in seiner WG und genießt es.

Melita Neumann von der Sozialabteilung holt Igor Ikhilis morgens ab und bringt ihn zu seinem Arbeitsplatz in einer Werkstatt für angepasstes Arbeiten. »Wenn ich morgens komme, hat er zum Beispiel schon die Küche gewischt. Alexander räumt die Spülmaschine ein und bügelt. Die beiden sind schon ein eingespieltes Team«, sagt Neumann.

gutes gewissen »Früher war es normal, dass die Kinder zu Hause bleiben, denn so eine Betreuung gab es in der ehemaligen Sowjetunion nicht. Wenn die Eltern sie jetzt loslassen, sollen sie sie mit einem guten Gewissen in andere Hände übergeben«, sagt Rosow. Nach rund 100 Tagen läuft das Pilotprojekt so gut, dass in der Gemeinde darüber nachgedacht wird, wie man weitere Angebote schaffen könne – auch für Frauen.

Igor Ikhilis ist froh, dass er einen Platz in der WG gefunden hat. Aber im Sommer fährt er wieder mit seiner Mutter in den Urlaub. »Darauf freue ich mich«, sagt er und lächelt.

Hamburg

»Our Turn«: Zentralrat und ZWST veranstalten Jugendkongress 2025

Den Teilnehmern sollen »Methoden, Chancen und Vorbilder« gezeigt werden, mit denen sie sich selbst verwirklichen können sollen

von Imanuel Marcus  11.12.2024

Magdeburg

Sachsen-Anhalt setzt Förderung jüdischer Einrichtungen fort

Die Projektauswahl wird vom Beirat für jüdisches Leben begleitet

 11.12.2024

Interview

»Damit ihr Schicksal nicht vergessen wird«

Die Schauspielerin Uschi Glas setzt sich für die Befreiung der israelischen Geiseln ein. Ein Gespräch über Menschlichkeit, Solidarität und Gegenwind

von Louis Lewitan  11.12.2024

Stuttgart

Opfer eines Schauprozesses

Nach fast drei Jahrzehnten Stillstand wurde nun ein Platz eingeweiht, der Joseph Süß Oppenheimer gewidmet ist

von Brigitte Jähnigen  10.12.2024

Esslingen

Antike Graffiti

Der Künstler Tuvia ben Avraham beschreibt das Judentum anhand uralter Buchstaben – und jeder darf mitmachen

von Valentin Schmid  09.12.2024

Berlin

Campus mit Kita und Café

Noch bis zum 10. Dezember können Architekten ihre Entwürfe für den Neubau an der Synagoge Fraenkelufer einreichen

von Christine Schmitt  09.12.2024

München

Mit Erfahrung zum Erfolg

Die Spieler des Schachklubs der IKG gehören zu den stärksten in Bayern – allen voran Leonid Volshanik

von Vivian Rosen  09.12.2024

Bundestag

Zentralrat der Juden schlägt Maßnahmen für Schutz jüdischen Lebens vor

Was der jüdische Dachverband von den Parteien mit Blick auf die Neuwahlen erwartet

 09.12.2024

Frankfurt

»Voll akzeptiert in der Gemeinde«

Rabbinerin Elisa Klapheck über das Jubiläum des Egalitären Minjans und das Konzept »Alle unter einem Dach«

von Ralf Balke  07.12.2024