Die genaue Zahl der Israelis, die in Berlin leben, weiß keiner so wirklich. Man schätzt sie auf etwa 10.000 bis 30.000. Und darunter sind nicht nur junge Leute, die nach dem Militärdienst ihr Glück in der Hauptstadt suchen. Auch Familien mit Kindern oder frisch Verheiratete lassen sich in der Stadt nieder. Viele von ihnen kommen aus wirtschaftlichen Gründen an die Spree. Denn oftmals sind die Neuberliner gut ausgebildet und stehen mitten im Leben. Es sind vor allem Frauen, die zwischen Beruf, Familie und Gemeinde ihren Alltag gestalten.
Eine von ihnen ist Tal Caspi. Die 33-Jährige, die vor vier Jahren mit ihrem Mann aus Tel Aviv nach Berlin zog, ist eng mit der israelischen Community der Stadt verbunden. Vor einem Jahr, kurz nach der Geburt ihrer Tochter, gründete Caspi das »Forum für junge Familien« – zunächst als Gruppe im sozialen Netzwerk Facebook. »Als meine Tochter zwei Monate alt war, spürte ich, dass mir ein Ort fehlte, an dem ich Information über Kinderaktivitäten, geburtliche Nachsorge, Bürokratie und Familienleben erhalten konnte«, sagt Caspi.
Bevor sie das Forum ins Leben rief, sei sie mit diesen Problemen sehr oft allein gewesen. »Heute kann jeder, der sein Kind im Kindergarten registrieren möchte, seine Fragen an andere Eltern richten. Vorher hat es so etwas nicht gegeben«, sagt die junge Mutter.
Forum Bislang sind rund 450 Familien in ihrem Forum aktiv. Für Caspi ist das nicht überraschend. »Immer mehr israelische Familien kommen jedes Jahr mit ihren Kindern in die Stadt, und alle, die ich auf die Gruppe anspreche, sind davon sehr begeistert. ›So etwas hätte es schon längst geben sollen‹, höre ich immer wieder.«
Die meisten Familien in der Initiative haben einen israelischen oder jüdischen Partner. Allerdings steht die Gruppe auch Familien offen, die weder mit Israel noch mit dem Judentum vertraut sind. »Der gemeinsame Nenner«, sagt Caspi, »ist das Hebräische.« Nicht zu allen Familien könne Caspi ganz persönlichen Kontakt haben, dennoch wisse sie, dass sich die Gruppe hauptsächlich in jene aufteilt, die aus beruflichen Gründen in Berlin leben, jene, die nur für einen kurzen Jobtransfer ihre Zelte aufgeschlagen haben, und jene, die aus völlig freien Stücken nach Berlin gekommen sind.
Momentan steht Caspi vor einer großen persönlichen Herausforderung. Sie möchte den ersten deutsch-hebräischen Kindergarten eröffnen. »Ich hoffe, diese Initiative kann bald umgesetzt werden«, sagt sie. Dass die junge Israelin einmal so viele Dinge gleichzeitig übernehmen würde, hätte sie früher nicht geahnt.
Caspi wirkt bescheiden, aber sie weiß auch, dass das, was sie tut, eine besondere Bedeutung hat: »Wir möchten das jüdische Leben in Berlin wiederbeleben – auf unsere eigene Art.«
Auch Dovrat Meron, die im Norden Israels geboren wurde und aufwuchs, engagiert sich in der deutsch-israelischen Gemeinde in Berlin. Die 41-Jährige verließ ihre Heimat vor zehn Jahren, um ihre Karriere als Performance-Künstlerin in Europa voranzubringen.
Nachdem sie drei Jahre in Italien gelebt hatte, ließ sich Meron 2009 in Berlin nieder. Mittlerweile hat sie sogar einen deutschen Pass. Meron leitet »Todanke« (eine Verknüpfung aus »toda« und »danke«), einen wöchentlichen Treffpunkt für Kinder aus israelischen Familien in Prenzlauer Berg. »Ich gebe den Kindern eine Gelegenheit, sich miteinander zu treffen und dabei spielerisch Hebräisch und jüdische Tradition zu lernen«, erzählt sie.
Abendkreis Für die meisten Kinder sei Hebräisch ihre Muttersprache, jedoch kommen auch Kinder von Familien, die vielleicht nur kurze Zeit in Israel verbracht haben, zu Todanke. »Es gibt heute so viele Israelis in Berlin, dass wir praktisch in jedem Bezirk einen solchen Abendkreis aufziehen könnten. Die Nachfrage wird immer größer.« Der wichtigste Schlüssel zu einer Kultur, das betont Meron, sei die Sprache. Viele der Kinder wüchsen in einer ausschließlich deutschsprachigen Umgebung auf. Wenn sie mit ihren Verwandten in Israel nicht gut kommunizieren könnten, bedeutet dies eine große Belastung für die Eltern.
Doch es geht nicht nur darum, in welcher Sprache diese Kinder nachts träumen. Für viele Paare ist es auch wichtig, das Judentum, das sie selbst vielleicht gar nicht regelmäßig praktizieren, an ihre Kinder weiterzugeben – ohne sie in religiöse Schulen oder Kindergärten zu schicken. »Auch die, die eher selten kommen, sind spätestens zu Feiertagen wie Chanukka oder Purim immer mit dabei«, erzählt Meron. Sie selbst wuchs in einem säkularen Kibbuz auf. »Ich habe jedoch eine starke Affinität zur Religion«, sagt sie. Neben ihren Tanzprojekten und Todanke widmet sich Meron auch der Kunst.
literatur Während Caspi und Meron sich für Sprache und Kinder einsetzen, widmet sich Michal Zamir der Literatur. Die 39-jährige Israelin betreibt schon seit Längerem eine gut besuchte hebräische Bibliothek in ihrer Wohnung.
»Ich konnte nicht damit leben, dass es in dieser Stadt zwar so viele Israelis, aber keine hebräische Bibliothek für sie gibt«, sagt Zamir und blickt auf eines der riesigen Regale mit den rund 2500 Büchern. »Jeden Monat kommen Künstler und Musiker zu mir nach Hause, um Bücher auszutauschen oder einfach eines auszuleihen«, erklärt Zamir. Momentan versucht sie, ihr kulturelles Projekt in einen Verein umzuwandeln. Ihr sei sogar schon angeboten worden, die Bibliothek in einer Synagoge unterzubringen, aber das lehnte sie nach einigem Überlegen ab: »Meine Vorstellung ist, einen eigenen Raum zu haben, wohin jeder, der sich für für hebräische Literatur interessiert, kommen kann.«
Wenn die Bibliothek in einer Synagoge wäre, fürchtet Zamir, würde der Eindruck entstehen, sie sei nur für eine bestimmte Gruppe gedacht. »Ich möchte aber lieber einen offenen, toleranten Ort gründen – ohne Polizei am Eingang.«