Yad Vashem

Kiel erinnert

Am Vorabend des Lichterfestes 1931 machte Rahel Posner diese Aufnahme von ihrer Chanukkia. Foto: Yad Vashem

Ein emblematisches Bild bannte die Rebbetzin Rahel Posner 1931 am Vorabend von Chanukka mit ihrer Kleinbildkamera auf einen Schwarz-Weiß-Film: Aus dem Dunkel des Rabbinerwohnzimmers in der Kieler Innenstadt fotografierte sie im Gegenlicht die Chanukkia im Fenster.

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Im Hintergrund, auf der gegenüberliegenden Seite des Wohnhauses, wehte eine riesige Nazi-Flagge – wie ein böses Omen. Die ikonische Aufnahme von Rahel Posner hat Berühmtheit erlangt. Das Foto und der Leuchter sind heute, 90 Jahre danach, in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem ausgestellt.

Neun Jahrzehnte nach der Aufnahme soll das Foto der Rebbetzin in der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt ein »Signal gegen Hass und Ausgrenzung« setzen und neue Wege im Gedenken an die Schoa öffnen. Mit diesem »sichtbaren Signal gegen Vergessen und Ignoranz« wollen der Freundeskreis Yad Vashem und die Tageszeitung »Kieler Nachrichten« (KN) in diesem Jahr zum Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar mit einem besonderen Zeichen Stellung beziehen.

Das Ziel: »Eine ganze Region bekennt sich symbolisch zum Licht und wendet sich gegen das Dunkel von Ausgrenzung, Gewalt und Vergessen.« Mit der Aktion »Licht zeigen« wollen die Initiatoren »das Erinnern an den Holocaust mitten in die Gesellschaft« tragen. Konzipiert wurde das Gedenkprojekt in Kooperation mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland und der Holocaust-Gedenkstätte Yad Va­shem.

Sophienblatt Die Fremdsprachenkorrespondentin Rosi Anni Würzburg (1900–1982), die später den Namen Rahel annahm, heiratete 1925 Arthur Bernhard Posner (1890–1962). Seit 1926 lebte die Familie in Kiel, wo Posner als Rabbiner an der Kieler Synagoge amtierte und als Religionslehrer an Simultanschulen lehrte. Die Rabbiner-Wohnung befand sich im Haus Sophienblatt 60, schräg gegenüber waren die Büros der Kreisleitung Kiel der NSDAP untergebracht.

Aus dem Wohnzimmer fotografierte die damals 31-jährige Rahel Posner dann mit ihrer Kamera die Chanukkia mit dem Nazi-Emblem im Hintergrund. Auf der Rückseite des Fotos notierte sie: »›Juda verrecke‹ Die Fahne spricht – ›Juda lebt ewig!‹ erwidert das Licht.« Rahel und Arthur Posner flohen im Juni 1933 zuerst nach Antwerpen in Belgien und dann im November 1934 nach Jerusalem.

Damit das ikonische Foto von Rahel Posner in diesem Jahr auch zum Gedenktag, dessen Datum an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch sowjetische Truppen 1945 erinnert, überall in Kiel in den Fenstern gezeigt werden kann, werden fast 70.000 Exemplare dieser Fotografie als Abziehfolie der Druckauflage der »Kieler Nachrichten« und »Segeberger Zeitung« beigelegt.

»An die Stelle von Antisemitismus setzt Kiel Solidarität.«

Kiels Oberbürgermeister Ulf Kämpfer

»Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, neue Formen des Erinnerns zu finden«, betont Ruth Ur, Initiatorin des Projekts »Licht zeigen«, die Geschäftsführerin des Freundeskreises Yad Vashem und zugleich Direktorin von Yad Vashem für die deutschsprachigen Länder und die Schweiz ist, bei der Präsentation der ungewöhnlichen Öffentlichkeitsaktion. Sie sei eine mögliche Antwort auf die Frage nach neuen Wegen der Erinnerung. »Es geht darum, mithilfe von Exponaten aus der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem einzelne Schicksale neu zu betrachten.«

Auch die Redaktionsleitung der »Kieler Nachrichten« musste nicht lange von der Aktion überzeugt werden. Schon in den vergangenen Jahren hatte sie das Thema Gedenken immer wieder aufgegriffen und auch über die Rabbinerfamilie Posner und das Foto von Rahel Posner berichtet. »Für uns war sofort klar, dass wir gerne mitmachen – und für uns als Medienmarke ist es wichtig, uns gegen ausgrenzende Strömungen in unserer Stadt zu positionieren«, sagt KN-Chefredakteurin Stefanie Gollasch.

Sicherheit Recherchen der Redaktion zu jüdischem Leben in Kiel hätten gezeigt, dass diese Strömungen nach wie vor vorhanden und teils so stark seien, dass Jüdinnen und Juden Angst hätten und sich aus Furcht um ihre Sicherheit nicht öffentlich zu ihrem Glauben bekennen würden. Die Beilage-Aktion in der KN wird zudem eingebettet in ein Themenpaket in der Berichterstattung »zu jüdischem Leben in Kiel damals und heute«.

Kiel macht das »Gedenken zum Thema«, sagt Ulf Kämpfer. Für den Oberbürgermeister der Hafenstadt vermittelt der Leuchter mit seiner Geschichte eine »kostbare Botschaft«, nämlich den Sieg des Lichts über die Dunkelheit. »An die Stelle von Antisemitismus und Menschenfeindlichkeit setzt Kiel Solidarität und zeigt gemeinsam Licht.«

Der Vorsitzende des Freundeskreises Yad Vashem, Kai Diekmann, ist begeistert von der Gedenkinitiative aus Schleswig-Holstein: »Das ikonische Foto von Rahel Posner ist atemberaubend, mehr Aussagekraft als einen Chanukkaleuchter im Vordergrund und die Nazi-Flagge dahinter kann ein Bild kaum haben. Ich bin froh, dass ›Licht zeigen‹ dieses Bild mit seiner außergewöhnlichen Geschichte nun zurück nach Kiel bringt und jeder die Möglichkeit bekommt, ein Zeichen gegen Hass und Gewalt zu setzen.«

Symbole Der Vorstandsvorsitzende der Schoa-Gedenkstätte Yad Vashem, Dani Dayan, betont besonders die Bedeutung der persönlichen Gegenstände und Artefakte für das Gedenken an die Schoa, die sich in Yad Vashems umfangreichen Sammlungen befinden. Es sei wichtig, sagt Dayan, »dass diese Gegenstände und die Geschichten der Opfer und Überlebenden, die sie erzählen, wieder Kontakt zu ihren ursprünglichen Gemeinden in Deutschland finden – als Symbol dafür, dass die Erinnerung an den Holocaust nicht vergessen werden darf«. Diese Gedenkinitiative stelle eine persönliche Verbindung zum Leben der sechs Millionen ermordeten jüdischen Männer, Frauen und Kinder dar und erhalte damit die Erinnerung an die Schoa aufrecht, so Dayan.

»In Zeiten zunehmender Geschichtsvergessenheit ist dieses Engagement wertvoller denn je.«

Zentralratspräsident Josef Schuster

In einer Erklärung begrüßte der Botschafter des Staates Israel in Deutschland, Jeremy Issacharoff, der zugleich Schirmherr ist, die Aktion »Licht zeigen«. »Die Verbrechen des Nationalsozialismus dürfen niemals vergessen werden. Ich freue mich, dass sich die Aktion ›Licht zeigen‹ genau diesem Ziel verschrieben hat, und danke allen Beteiligten«, sagte der israelische Botschafter.

Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, lobte den Freundeskreis von Yad Vashem. Mit seiner Kieler Kampagne halte er die Erinnerung wach. »Gegenstände wie der Chanukkaleuchter aus Kiel tragen dazu bei, heutigen Generationen zu veranschaulichen, was damals geschah. Ich hoffe, dass sich viele Menschen in Deutschland der Kampagne anschließen werden. In Zeiten eines wachsenden Antisemitismus und zunehmender Geschichtsvergessenheit ist dieses Engagement wertvoller denn je.«

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