Nürnberg

Kicken und erinnern

Am vergangenen Sonntagmittag übergab die Holocaust-Überlebende Eva Szepesi bei bestem Fußballwetter den Siegerpokal des »Internationalen Walther-Bensemann-Gedächtnisturniers« auf dem Vereinsgelände des 1. FC Nürnberg an die Sieger vom FC Chelsea. Damit ging ein außergewöhnliches, an Emotionen und spielerischer Klasse reiches Turnier zu Ende, das ganz im Zeichen der Völkerverständigung und Bildungsarbeit gestanden hatte.

Es erinnerte an einen der wichtigsten, jüdischen Pioniere des deutschen Fußballs und den Gründer des in Nürnberg erscheinenden Fußballmagazins »kicker«: den 1873 in Berlin geborenen und 1934 in Montreux verstorbenen Walther Bensemann. Die Auseinandersetzung mit seinem Leben und seiner Vision von einem Fußball, der der Völkerverständigung dient, sollte außerdem die Rolle der Nachwuchsprofis als Botschafter für Demokratie und gegen Diskriminierung stärken.

Bereits am vergangenen Donnerstag waren die U17-Mannschaften sieben international bekannter Vereine angereist, von denen einige sogar Bensemann als ihren Gründer benennen können: FC Chelsea, Maccabi Tel Aviv, Cracovia Krakau, FC Bologna, die auf Platz zwei landen sollten, Eintracht Frankfurt, Karlsruher SC sowie FC Bayern München. Gegen sie alle trat die U17 des Gastgebers 1. FC Nürnberg an.

Erinnerung Insgesamt nahmen rund 200 Jugendliche mit ihren Trainern an dem Turnier teil, das die Initiative »!Nie wieder« und Makkabi Deutschland mit dem 1. FC Nürnberg, dem Fußballmagazin »kicker«, der Evangelischen Jugend Nürnberg und der Stadt selbst als Partner auf die Beine gestellt hatten. Die Idee, die Erinnerung an Walther Bensemann auf diese Weise wieder aufzufrischen, stammte von Eberhard Schul, Sprecher der Initiative »!Nie wieder«.

Im Zentrum des Turniers, das 2020 und 2021 coronabedingt zweimal verschoben werden musste, standen neben den Fußballspielen, die drei Tage lang stattfanden, die 20 Workshops des »Bensemann-Campus«. Jeder Teilnehmer konnte am Freitag- und Samstagmorgen zwei Veranstaltungen zu den Themen Antisemitismus, Diskriminierung und Demokratie und Diversität kombinieren. Auf dem Programm standen Gespräche mit Zeitzeugen wie Walter Frankenstein, Zvi Cohen, Shaul Ladany, Eva Szepesi und Tamar Dreifuss, aktuell oder historisch ausgerichtete Vorträge sowie Exkursionen.

Angeboten wurden beispielsweise Vorträge über das Schicksal jüdischer Fußballpioniere wie Walther Bensemann und Jenö Konrad, dem jüdischen Erfolgstrainer des 1. FC Nürnberg. Dass Fußball auch im Konzentrationslager Theresienstadt gespielt wurde, erfuhren die Nachwuchs­profis von dem Israeli Oded Breda. Der Dokumentarfilmer ging dem Schicksal seines dort ermordeten Onkels auf den Grund und drehte den Dokumentarfilm Lige Terezin. Zu den Nürnberger Exkursionszielen gehörten das Märzfeld und das »Reichsparteitagsgelände«, aber auch die Redaktion des »kicker«.

Workshops In der Pause des Finales berichtete der 15-jährige Torwart Len­nart Pohlmann, der seit 2015 bei dem Klub spielt und eine Profikarriere anstrebt, von seinen Eindrücken: »Was ich in den Workshops und den Gesprächen mit Zeitzeugen erfahren habe, das sind schon krasse Geschichten.«

Angeboten wurden Vorträge über das Schicksal jüdischer Fußballpioniere.

Lennart hat sich für zwei Zeitzeugengespräche entschieden. »Walter Frankenstein musste sich 25 Monate illegal in Deutschland aufhalten, und Zvi Cohen überlebte zwei Jahre im KZ. Er hatte immer Hunger und gerade einmal genug zum Essen, um nicht sofort zu sterben«, berichtet der Nachwuchstorwart. »Das ist schon hart.«

Lennart ist sich bewusst, dass er zu der letzten Generation gehört, der Zeitzeugen ihre Geschichte erzählen können. Denn Walter Frankenstein beispielsweise ist bereits 98 Jahre alt. Von ihnen habe er auch etwas gelernt. »Walter Frankenstein hat immer gesagt, dass sich auf dem Platz durchaus eine gewisse Rivalität entwickeln kann. Nur dürfe diese niemals in Hass gegeneinander umschlagen. Vor und nach dem Spiel sollten wir aber Freunde sein und das, was wir auf dem Platz sind, dann auf unseren Alltag übertragen.«

Wichtig waren für Lennart auch die vielen persönlichen Begegnungen mit den anderen Nachwuchsfußballern in der Nürnberger Jugendherberge. »Gestern Abend saßen wir vor unseren Zimmern und haben mit den Fußballern vom KSC geredet. Das war cool.« Die Fußballer hätten sich alle gut miteinander verstanden.

Talent Beeindruckt hat das Fußballtalent, wie fit das Team von Maccabi Tel Aviv war. »Wir haben gegen sie gespielt und bald festgestellt, dass die Spieler aus Israel körperlich etwas weiter waren als wir.« Seine Mannschaft könne da noch etwas zulegen. »Es ist schon klasse, gegen ausländische Teams zu spielen. Das ist etwas ganz anderes, als gegen Bayern München oder Unterhaching zu spielen«, sagt Lennart. Die ausländischen Spieler seien manchmal deutlich agiler als die deutschen Teams: »Die sind so hart. Manchmal sind die schneller und einfach kämpferischer.«

Dazugelernt hat der junge Nürnberger auch in Sachen Geschichte. »Die Vergangenheit kann man nicht ignorieren«, betont er. Das Gespräch mit den Zeitzeugen wirkte auf ihn ganz anders, als wenn jemand nur einen Vortrag halte. »Vor allem, wenn jemand erzählt, dass er zwei Jahre lang hungern musste. Ich persönlich musste in meinem Leben allerhöchstens einige Stunden Hunger verspüren.«

Lennart kann sich gut vorstellen, nach seiner Karriere als zukünftiger Fußballprofi auch einen Event wie das »Internationale-Walther-Bensemann-Gedächtnisturnier« zu organisieren. »Es ist ultrawichtig, dass darüber aufgeklärt wird, was damals geschehen ist.« Dann aber werden wohl keine Zeitzeugen mehr am Leben sein. »Deswegen ist es umso wichtiger, dass wir jetzt noch die Möglichkeit zu solchen Begegnungen haben und unsere Eindrücke und Erfahrungen eines Tages weitergeben können.«

Programm Drei Veranstaltungen ergänzten die Workshops: am Donnerstag­abend eine Eröffnungsfeier in der Jugendherberge, am Freitagabend ein traditioneller Kabbalat Schabbat und schließlich am Samstagabend eine Abendveranstaltung im Alten Rathaus mit Nürnbergs Oberbürgermeister Marcus König (CSU), den Nachwuchsfußballern Jan Krupa von Crakovia Krakau, Lennart Pohlmann vom 1. FC Nürnberg und dem Fußballprofi Ilay Elmkies sowie den Zeitzeugen Shaul Ladany, Tamara Dreifuss und Eva Szepesi. Der Abend endete freudig-beschwingt: mit Beethovens Vertonung von Schillers Ode »An die Freude« aus der 9. Symphonie.

Die Teilnahme am »Bensemann-Campus« war für die Schoa-Überlebende Eva Szepesi ein Herzensanliegen.

Die Teilnahme am »Bensemann-Campus« war für Szepesi ein Herzensanliegen. 80 Jahre nach Kriegsende sei es für sie ein trauriger Anblick, dass jüdische Kindergärten heute wieder Polizeischutz bräuchten, erklärte sie nach dem Empfang. »Es ist sehr wichtig, dass die Jugend weiß, was damals passiert ist. Die ermordeten Menschen wurden mundtot gemacht.«

Deswegen lautet ihr Appell: »Man muss immer wieder seine Stimme erheben, damit so etwas nie wieder passiert. Als ich klein war, hat kaum einer dagegen gesprochen.« Die Nachwuchsfußballer hätten ihr gut zugehört. »Sie waren sehr aufmerksam und haben viele Fragen gestellt.«

Fest Nach dem Finale auf dem Vereinsgelände des »Klubs« waren Nürnbergs Oberbürgermeister Marcus König, der FCN-Aufsichtsratsvorsitzende Thomas Grethlein und Anatoli Djanatliev, 1. Vorsitzender des TSV Maccabi Nürnberg und Vizepräsident von Makkabi Deutschland, vom Turnier begeistert. »Das war ein voller Erfolg«, freute sich Djanatliev. »Wir haben ein tolles Fußballfest gefeiert und all das mitgenommen, was die Workshops angeboten hatten. Ich denke, alle sind als Sieger vom Platz gegangen.«

Überzeugt vom technischen Niveau der beteiligten Teams war auch Guy Zukerman, der Trainer von Maccabi Tel Aviv. »Das Bildungsprogramm war für uns Juden sehr wichtig.« Die Beziehungen zwischen Deutschland und Israel seien zwar ausgezeichnet. »Aber ich denke, diese Art von Turnier kann das Verhältnis weiter intensivieren«, so Zukerman.

Und Nachwuchsfußballer Lior Ma­shan­sky ergänzte: »Wir kamen, um Fußball zu spielen, und haben neue Freundschaften geschlossen.« Vielleicht wird es ja eine Fortsetzung geben. Denn Oberbürgermeister Marcus König hat bereits eine Einladung für das nächste Mal ausgesprochen: »Kommt wieder! Das Walther-Bensemann-Gedächtnisturnier wartet auf euch.«

Interview

»Wir reden mehr als früher«

Rabbiner Yechiel Brukner lebt in Köln, seine Frau Sarah ist im Herbst nach Israel gezogen. Ein Gespräch über ihre Fernbeziehung

von Christine Schmitt  13.03.2025

Bundeswehr

»Jede Soldatin oder jeder Soldat kann zu mir kommen«

Nils Ederberg wurde als Militärrabbiner für Norddeutschland in sein Amt eingeführt

von Heike Linde-Lembke  13.03.2025

Hamburg

Hauptsache kontrovers?

Mit der Verleihung der Buber-Rosenzweig-Medaille wurde die »Christlich-Jüdische Zusammenarbeit 2025 – 5785/5786« eröffnet. Die Preisträger sind in der jüdischen Gemeinschaft umstritten

von Heike Linde-Lembke  13.03.2025

Purim

Schrank auf, Kostüm an

Und was tragen Sie zum fröhlichsten Fest im jüdischen Kalender? Wir haben uns in der Community umgehört, was in diesem Jahr im Trend liegt: gekauft, selbst gemacht oder beides?

von Katrin Richter  13.03.2025

Feiertag

»Das Festessen hilft gegen den Kater«

Eine jüdische Ärztin über Alkoholkonsum an Purim und die Frage, wann zu viel wirklich zu viel ist

von Mascha Malburg  13.03.2025

Berlin

Persien als Projekt

Eigens zu Purim hat das Kunstatelier Omanut ein Wandbild für die Synagoge Pestalozzistraße angefertigt

von Christine Schmitt  13.03.2025

Wilmersdorf

Chabad Berlin lädt zu Purim-Feier ein

Freude sei die beste Antwort auf die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen, sagt Rabbiner Yehuda Teichtal

 12.03.2025

Purim

An Purim wird »We will dance again« wahr

Das Fest zeigt, dass der jüdische Lebenswille ungebrochen ist – trotz der Massaker vom 7. Oktober

von Ruben Gerczikow  12.03.2025

In eigener Sache

Zachor!

Warum es uns besonders wichtig ist, mit einer Sonderausgabe an Kfir, Ariel und Shiri Bibas zu erinnern

von Philipp Peyman Engel  11.03.2025 Aktualisiert