Köln

Kapelle wird Synagoge

Die Umnutzung von Kirchen ist in Deutschland nichts Besonderes mehr: Kleiner werdende Gemeinden brauchen weniger Gotteshäuser und sparen am Gebäudebestand. Dass eine Kirche nicht zu einem Café oder Kulturzentrum umgebaut wird, sondern zur Synagoge, kommt aber selten vor. In Köln-Riehl ist am vergangenen Sonntag erstmals auf dem Gebiet der rheinischen Kirche eine Kapelle entwidmet worden, um als jüdisches Gotteshaus zu dienen.

Für die liberale jüdische Gemeinde Gescher LaMassoret (Brücke zur Tradition) soll das denkmalgeschützte Haus, in dem sich die Kapelle befindet, spätestens im Herbst zu einer eigenen Heimat werden: Der Landesverband der Union progressiver Juden (UpJ) will eine Stiftung gründen, um das Gebäude zu kaufen. In den Räumen soll dann auch ein Gemeindezentrum entstehen.

»Überwältigend« sei die Stimmung am vergangenen Sonntag bei dem evangelischen Gottesdienst gewesen, bei dem die Kapelle umgewidmet wurde, sagt Günther Bernd Ginzel von Gescher LaMassoret, der die Verhandlungen über den Verkauf führt. »Wohl noch nie zuvor ist die Entwidmung einer Kirche in eine solch ausgelassene Fröhlichkeit gemündet.«

hAVA nAGILA Gesa Biffio, Vorsitzende von Gescher LaMassoret, berichtet, besonders gerührt seien die Protestanten von den Kindern der jüdischen Gemeinde gewesen, die Lieder wie »Hava Nagila« sangen und Blumen verteilten. Im Keller der Kreuzkapelle feiert die jüdische Gemeinde, die etwa 100 Familien zählt, bereits seit 2001 ihre Gottesdienste – auf Einladung der evangelischen Kirchengemeinde.

In seiner Predigt sagte Präses Manfred Rekowski, die Umwidmung der Kreuzkapelle sei »ein wichtiger Schritt in unserem Prozess der Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden«. Er bezog sich auf einen Bibeltext über die Fußwaschung und sagte, die Christen sollten »den Juden dienend entgegentreten und nicht hochmütig«. Die ehemalige Kapelle bleibe ein Gotteshaus: »Gottes Dienst an den Menschen wird auch weiter hier gefeiert.« Dass die christliche und die jüdische Gemeinde in Riehl seit 15 Jahren freundschaftlich verbunden sind, ist alles andere als selbstverständlich.

jUDENCHRISTEN Erst Ende der 90er-Jahre begann die Aufarbeitung eines schwarzen Kapitels in der Geschichte der Kapelle, das sich in die jahrhundertelange Unterdrückung und Verfolgung der Juden in Köln einreiht. Etwa 900 Protestanten jüdischer Herkunft lebten Mitte der 30er-Jahre im Raum Köln. Die sogenannten Judenchristen hätten damals zwischen den Stühlen gesessen, sagt der Kirchenhistoriker Hans Prolingheuer: »Von den Juden als Abtrünnige gehasst, von den Christen als ›Nichtarier‹ verachtet.« Nach den Nürnberger Rassegesetzen von 1935 galten sie trotz ihrer Taufe als Juden. Ihre Kirchenzugehörigkeit bot kaum Schutz vor dem NS-Regime.

In der Riehler Kreuzkapelle erhielten sie zeitweise Unterstützung: Dort wurde ein regionaler Abzweig des 1936 gegründeten »Büros Grüber« eingerichtet, das mit Ge-nehmigung der Gestapo unter anderem bei der Emigration half – »Hilfsstelle für Nichtarier« hieß die Einrichtung im Nazi-Jargon. Zumindest einem kleinen Teil der Betroffenen wurde auf diese Weise das Leben gerettet. Doch spätestens, als 1942 die massenhafte Deportation von Juden in die Vernichtungslager begann, wurden nur noch »Schlussgottesdienste« für die »nichtarischen« Christen gefeiert.

Deportationen Mit Sakrament und Segen der evangelischen Kirche seien »ganze jüdische Familien, die zu ebendieser Kirche durch Taufe und Lebensgeschichte gehörten, zur endgültigen Vernichtung gottesdienstlich verabschiedet« worden, stellt der Kölner Theologe Marten Marquardt bitter fest. Die Züge in das Ghetto Theresienstadt und schließlich in die Vernichtungslager der Nazis standen schon bereit, als noch Kinder getauft und bibelkundige Männer ordiniert wurden, um in den Lagern Gottesdienste halten und das Abendmahl austeilen zu können.

Marquardt sieht im bevorstehenden Verkauf der Kapelle an die liberalen Juden ein historisches Ereignis. Nachdem vor knapp 600 Jahren »mit pietätloser Brutalität die Kölner jüdische Gemeinde auseinandergetrieben« und ihre Synagoge zwangschristianisiert worden sei, schlage die jüdische Gemeinde nun eine neue Brücke über die Gräben der Geschichte.

Auch Ginzel wählt symbolträchtige Worte, um die Bedeutung der Umwidmung auszudrücken: Er spricht von einer »steingewordenen Dokumentation des neuen Verhältnisses zwischen Christen und Juden«. Mit einem Umzug seiner Gemeinde in das denkmalgeschützte Haus rechnet der Publizist »vielleicht zu Rosch Haschana«.

Leo-Baeck-Preis

»Die größte Ehre«

BVB-Chef Hans-Joachim Watzke erhält die höchste Auszeichnung des Zentralrats der Juden

von Detlef David Kauschke  21.11.2024

Düsseldorf

Für Ausgleich und Verständnis

Der ehemalige NRW-Ministerpräsident Armin Laschet erhielt die Josef-Neuberger-Medaille

von Stefan Laurin  21.11.2024

Jubiläum

Religionen im Gespräch

Vor 75 Jahren wurde der Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit gegründet

von Claudia Irle-Utsch  21.11.2024

Uni Würzburg

Außergewöhnlicher Beitrag

Die Hochschule hat dem Zentralratspräsidenten die Ehrendoktorwürde verliehen

von Michel Mayr  20.11.2024

Engagement

Helfen macht glücklich

150 Aktionen, 3000 Freiwillige und jede Menge positive Erlebnisse. So war der Mitzvah Day

von Christine Schmitt  20.11.2024

Volkstrauertag

Verantwortung für die Menschlichkeit

Die Gemeinde gedachte in München der gefallenen jüdischen Soldaten des Ersten Weltkriegs

von Vivian Rosen  20.11.2024

München

»Lebt euer Leben. Feiert es!«

Michel Friedman sprach in der IKG über sein neues Buch – und den unbeugsamen Willen, den Herausforderungen seit dem 7. Oktober 2023 zu trotzen

von Luis Gruhler  20.11.2024

Aus einem Dutzend Ländern kamen über 100 Teilnehmer zum Shabbaton nach Frankfurt.

Frankfurt

Ein Jahr wie kein anderes

Was beschäftigt junge Jüdinnen und Juden in Europa 13 Monate nach dem 7. Oktober? Beim internationalen Schabbaton sprachen sie darüber. Wir waren mit dabei

von Joshua Schultheis  20.11.2024

Porträt

»Da gibt es kein ›Ja, aber‹«

Der Urgroßvater von Clara von Nathusius wurde hingerichtet, weil er am Attentat gegen Hitler beteiligt war. 80 Jahre später hat nun seine Urenkelin einen Preis für Zivilcourage und gegen Judenhass erhalten. Eine Begegnung

von Nina Schmedding  19.11.2024