Die Geschichte begann an einem Freitagabend im Herbst 2003. Der Religionslehrer Albrecht Hoppe vom Gymnasium zum Grauen Kloster in Berlin-Wilmersdorf besuchte im benachbarten Charlottenburg mit einer 8. Klasse die Synagoge in der Pestalozzistraße. Die pubertierenden Gymnasiasten sahen sich noch ein wenig unsicher in dem fremden Gotteshaus um, als ein jüdischer Herr im fortgeschrittenen Alter auf sie aufmerksam wurde und sie ansprach.
Seit Jahrzehnten schon hatte jener Herr an allen Schabbatot seinen Stammplatz am Mittelgang in der 9. Reihe. Er, der als Untergetauchter in Berlin die Schoa überlebte, mit seinem Bruder von einer einfachen Frau versteckt worden war, dann von der Gestapo entdeckt wurde und schließlich aus dem Deportationszug floh – oft schon hatte Rolf Joseph seine Geschichte an Berliner Schulen erzählt, ehe er die Gymnasiasten vom Grauen Kloster kennenlernte. Bald war er auch bei ihnen zu Gast, und sie kamen auf die Idee, seine Geschichte aufzuschreiben und in Buchform zu veröffentlichen.
Heute, anderthalb Jahrzehnte später, sind die Schüler von damals Juristen, Ärzte, Physiker oder Journalisten. Ein harter Kern dieser »Joseph-Gruppe« sitzt Jahr für Jahr zusammen und wertet Schülerprojekte aus.
Zur Erinnerung an den vor sieben Jahren verstorbenen Zeitzeugen bewerben sich Schulen aus dem gesamten Bundesgebiet um den nach ihm benannten Preis.
Zur Erinnerung an den vor sieben Jahren verstorbenen Zeitzeugen Rolf Joseph bewerben sich Schulen aus dem gesamten Bundesgebiet um den nach ihm benannten Preis, der aufgesplittet an verschiedene Preisträger vergeben wird. Gleich mit zwei Preisen war am vergangenen Donnerstag in der W. Michael Blumenthal-Akademie des Jüdischen Museums Berlin das Potsdamer Humboldt-Gymnasium vertreten.
FILM Unter dem Titel »Potsdams verlorene Nachbarn – die Geschichte der Familie Wohl« war ein kleiner Film entstanden, der jener nach Riga deportierten Familie Gesichter gibt. Tochter Hannelore konnte damals nach Palästina entkommen, und eine der Schülerinnen hat nun eine Nachfahrin in London besucht. So war man in den Besitz von Fotos und anderen Dokumenten gekommen, die für den Film verwendet werden konnten.
Eine andere Klasse hat sich jüdischen Orten in Potsdam zugewandt. Die Historikerin Anke Geißler-Grünberg stand ihnen dabei beratend zur Seite, und gemeinsam entstand ein interaktiver Stadtplan, der via Internet jedermann zugänglich ist.
Am Abend der Preisverleihung wurde ein »Geschichtsort« am Beispiel der einstigen Lokomotivenfabrik von Orenstein&Koppel vorgeführt. Deren jüdische Firmengründer konnten das Werk noch an die nächste Generation übergeben, ehe diese 1935 von den Nazis enteignet wurde.
In Karlsruhe versuchten drei Schülerinnen, sich in einen jüdischen Jugendlichen in Deutschland vor 80 Jahren hineinzuversetzen und schrieben darüber.
An der Tulla-Realschule in Karlsruhe unternahmen drei Schülerinnen mit dem Verfassen einer Kurzgeschichte den Versuch, sich in einen jüdischen Jugendlichen während der Verfolgung in Deutschland vor 80 Jahren hineinzuversetzen. In einer teils szenisch dargestellten Erzählung gelang es den jungen Autorinnen, die Empfindungen ihres Protagonisten zwischen Angst, Verzweiflung und Hoffnung auszudrücken.
LOKALGESCHICHTE Auch am Goethe-Gymnasium in Bad Ems haben sich die Schüler der Klasse 10c auf die Spuren jüdischen Lebens in ihrer Heimatgemeinde begeben. Zunächst wurden sie in der Bibliothek der rheinland-pfälzischen Gemeinde unter den Büchern mit Lokalgeschichte fündig. Sie fanden auch historische Fotografien jüdischer Familien und im Rundfunk-Archiv des SWR Interviews mit Zeitzeugen.
Ziel war es, aus all dem eine filmische Dokumentation zu erstellen, mit der künftig Unterrichtsstunden in den 8. Klassen gestaltet werden können. Ganz im Sinne von Rolf Joseph also, um dessen Preis man sich letztlich erfolgreich bewarb, auch wenn zunächst einige technische Schwierigkeiten zu überwinden waren, wie eine der Preisträgerinnen erzählte.
Die Zeremonie der Preisverleihung wurde musikalisch von dem Gitarristen und Sänger Boris Messing begleitet, der ansonsten in der Folkmusic-Szene unterwegs ist. Diesmal aber interpretierte er Klassik von Matteo Carcassi bis Johann Sebastian Bach und beendete die Veranstaltung mit dem jiddischen Song »Dos Kelbl«. Niemand unter den Preisträgern ahnte, dass der Mann mit der Gitarre der Enkel von Holocaust-Überlebenden ist.