Es sollte ursprünglich nur eine kleine Projektgruppe am städtischen Gymnasium sein. Mittlerweile sind es nun schon zehn Jahre, in denen sich der evangelische Religionslehrer Holger Losch mit seinen Schülern um das Areal des jüdischen Friedhofs Templin kümmert. Es ist ein stiller Ort unweit der historischen Stadtmauer, den die Religionsschüler über Jahre hinweg gestaltet haben. Sie begannen damit, den Müll aufzusammeln und das verwahrloste und heruntergekommene Areal frei zu räumen. Dabei konnte man nicht einfach anfangen zu buddeln. Jeder Schritt wurde mit der Jüdischen Gemeinde zu Berlin abgestimmt. Die halachischen Regeln der Totenruhe sollten stets eingehalten werden.
»Eindrücklich haben wir gelernt, dass wir nicht tiefer als zehn Zentimeter graben dürfen. Dass der Friedhof eingefriedet sein muss, dass ringsherum ein Zaun existieren muss«, erinnert sich Holger Losch an die ersten Absprachen mit den Beratern.
Heute ist der jüdische Friedhof von Templin ein gepflegter Ort der Einkehr und des Gedenkens. Eine kleine gemauerte Treppe führt auf einen Hügel, eingefriedet durch eine solide Mauer und einem massiven Eisenzaun. Dort steht seit 2008 ein großer schwarzer Gedenkstein. Drei Jahre später wurde im Zusammenwirken mit der Jüdischen Gemeinde Berlin die erste Namenstafel in Bronze aufgestellt.
Namensstein »Als wir im Oktober 2011 hier auf dem Friedhof standen und im Rahmen der Feier zur Aufstellung des Namenssteines das Kaddisch sagten – das erste Mal seit der NS-Zeit –, hatte ich mir nicht vorstellen können, dass wir in wenigen Jahren hier erneut eine ähnliche Feier begehen und einen zweiten Stein übergeben würden«, sagt der Landschaftsarchitekt Joachim Jacobs von der Berliner Gemeinde bei der Einweihungsfeier Ende Mai.
Dabei galt das Schülerprojekt 2011 schon als beendet. Doch die jahrelangen Aktivitäten um die Wiederherstellung des jüdischen Friedhofs blieben nicht unbemerkt. Ein Artikel in der Jüdischen Allgemeinen wurde auch in New York gelesen.
Von dort erreichte 2012 ein Brief des mittlerweile emeritierten Physikprofessors Gerhard Salinger die uckermärkische Stadt. Seit Jahrzehnten widmet er sich der Dokumentation einstiger jüdischer Gemeinden in Europa. »1945 war ich der einzige Überlebende meiner Familie. Es ist sehr schade, dass die Angaben der ersten Namenstafel nur bis 1848 reichen. Meiner Meinung nach sind auf dem Templiner jüdischen Friedhof etwa 70 bis 80 Personen beerdigt worden. Manchmal helfen die Standes- oder Einwohnermeldeämter, wenn noch Akten vorhanden sind.«
Der Brief aus Übersee elektrisierte die Schüler. Sie durchforsteten erneut auch die lokalen Archive und wurden fündig. 20 weitere Namen stehen nun auf der neuen zweiten Namenstafel, etwa »29. 01. 1886 Nathan Salinger gestorben im Alter von 72 Jahren« oder »15. 3. 1886 Greta Pinkus, genannt Schönchen, gestorben im Alter von 18 Tagen«.
Es sei recht mühselig gewesen, die Einträge zusammenzutragen, erinnern sich die bei der Einweihung anwesenden Schüler, denn alles ist handschriftlich in Sütterlin geschrieben und kaum noch zu entziffern. Schließlich aber konnte der Namensstein gestaltet werden – für 4000 Euro, getragen von der Stadt Templin, der evangelischen Kirchengemeinde und dem Kirchenkreis. Auch der örtliche Steinmetz befürwortete das Projekt. Widerstände gab es dieses Mal kaum. Nur ein Lokalpolitiker sprach sich gegen das erneute Engagement aus. Man solle doch der Juden nicht immer nur unter dem Blickwinkel der Schoa gedenken. Aber das war eine Einzelmeinung, zumal eine absurde, da sich die jüdische Gemeinde Templin bereits Ende der 20er-Jahre aufgelöst hatte.
Förderung Mittlerweile ist das Engagement des Religionslehrers über die Stadt hinaus anerkannt. Vor Jahren gab es jedoch noch mehr politische Widerstände. Das engagierte Schülerprojekt drohte daran zu scheitern, dass Förderzusagen immer wieder blockiert wurden. Offensichtlich gab es ein Kompetenzwirrwarr zwischen der Stadt Templin und dem Land Brandenburg. Und es gab inhaltliche Differenzen. Dass die Lage des historischen Friedhofs die Ausgrenzung der Juden seit Jahrhunderten verdeutlichte, wollte nicht jeder auf einer Tafel lesen.
»Meine Schüler hatten im Centrum Judaicum Berlin und im Stadtarchiv recherchiert und Informationstafeln entworfen. Da gab es auch recht kritische Dinge zu schreiben, die die Stadt im Laufe der Jahrhunderte nicht immer im positiven Licht erschienen ließen, zum Beispiel dass der Friedhof auf der mittelalterlichen Wallanlage positioniert ist, ein relativ kleines Areal, 600 Quadratmeter auf einem Hügel, der damals schon recht unattraktiv war. Damit beginnt die Ausgrenzung schon im Jahr 1760«, erinnert sich Losch.
Solch unangenehme Details konnten erst nach langer Diskussion mit den Stadtvätern auf der Infotafel neben dem Friedhof veröffentlicht werden. Zum Beispiel auch, dass der Friedhof zwar von den Nazis zerstört, jedoch erst 1951 in der noch jungen DDR in eine neutrale Grünfläche umgewandelt wurde. Es gab also noch nach 1945 Grabsteine. 1951 dann wurden alle entfernt. Heute liegen auf dem Grundstück der neuen Gedenkstätte nur noch wenige Bruchstücke originaler jüdischer Grabsteine.
Pflege Mit dem zweiten Namensstein ist das Projekt nun endgültig abgeschlossen. Das Gymnasium Templin hat für die Zukunft eine dauerhafte Patenschaft für das kleine Areal übernommen. Zusammen mit der Stadtgärtnerin will man den jüdischen Friedhof Templin künftig hegen und pflegen.
»Jetzt kommen durch die Flüchtlingskrise wieder die neuen Nationalsozialisten zum Vorschein. Es entsteht erneut ein großes Problem. Schließlich hatten wir hier schon Aufkleber auf den Steinen, die wir mühsam abschrubben mussten. Wir Schüler werden uns weiter um diesen Ort kümmern. Wir werden darauf aufpassen, dass hier niemand irgendetwas kaputt macht, dass irgendwelche Schmierereien auch wieder weggemacht werden. Denn wir haben hier auch sehr viel Herzblut reingesteckt«, verspricht Sophie Baron, Schülerin des Templiner Gymnasiums.