Mir eröffnet sich gerade eine neue Welt, die ich entdecken möchte: Ich habe mein Abitur gemacht und tendiere jetzt dazu, Jura zu studieren. Ich habe auch schon erste Bewerbungen abgeschickt. Für das Studium würde ich gerne aus Köln wegziehen, denn es ist ja immer cool, eine andere Stadt kennenzulernen. Mich zieht es in Großstädte. Wenn ich in Deutschland studieren sollte, würde ich wohl nach Berlin gehen. Da wohnen auch meine beiden älteren Brüder. Aber Paris wäre auch interessant – meine Mutter ist Belgierin, und ich bin bilingual aufgewachsen, mit Deutsch und Französisch. Deshalb sollte es gar kein Problem sein, neue Leute kennenzulernen, auch jüdische.
Paris ist nicht das einfachste Pflaster und Frankreich wahrscheinlich auch nicht das Land, in dem ich später leben oder eine Familie gründen möchte. Aber es geht hier ja erst einmal um zwei Jahre. Woanders leben, neue Leute kennenlernen – das dürfte eine sehr interessante Erfahrung sein.
Was den Antisemitismus dort angeht, glaube ich nicht, dass man damit im Alltag ständig konfrontiert ist. Der Anschlag auf Charlie Hebdo hätte überall passieren können – auch in Köln! Ich bin mir natürlich bewusst, dass es in Frankreich deutlich mehr Antisemitismus gibt als hier. Aber wenn man die Orte nur danach auswählen würde, wo man sicher leben oder studieren kann, dann kommt eigentlich nur Israel infrage. Als Jude wird man überall Menschen begegnen, die einen nicht unbedingt lieben und vielleicht nicht einmal tolerieren.
identität In Frankreich ist Antisemitismus präsenter, auch wegen der vielen Migranten aus arabischen Ländern. Aber es gibt ebenso ein Problem in der übrigen Gesellschaft. In Deutschland wäre es doch undenkbar, dass eine rechte Partei wie der Front National so stark wird und vielleicht in der nächsten Legislaturperiode den Bundeskanzler stellt.
Aber auch hier sind Vorurteile in der Gesellschaft weit verbreitet. Es gibt kein Patentrezept dafür, wie man dagegen vorgehen kann. Dem Problem aus dem Weg zu gehen, ist aber auch keine Lösung: Man muss die Konfrontation suchen und so zu einem Dialog kommen, sich austauschen und kennenlernen.
Ich fühle mich selbstverständlich als Jude. Erst kam die Krabbelgruppe, dann der Kindergarten und die Grundschule: Ich wurde einfach in die Gemeinde hineingeboren. Mit zunehmendem Alter begann ich, mich zu engagieren und am Gemeindeleben teilzunehmen: Mit 15 bin ich Madrich im Jugendzentrum geworden. Das macht mir viel Spaß.
Wir sprechen über Dinge, die Jugendliche beschäftigen, aber auch über jüdische Themen und Israel. Das Jugendzentrum ist für viele die einzige Möglichkeit, etwas über ihre Identität zu erfahren.
gemeinde Ich würde mich selbst nicht als religiös bezeichnen, aber auch nicht als säkular. Je älter ich werde und je mehr Entscheidungen ich selbst treffe, desto gläubiger werde ich. In jedem Ereignis, das geschieht, sehe ich Gott als Ursache.
Koscher esse ich aber nicht, ich lebe das Judentum so aus, wie ich es für richtig halte. Und damit bin ich wahrscheinlich schon religiöser als die meisten Juden in Deutschland. Außerdem bin ich gut in die Gemeinde integriert.
Leider habe ich das Gefühl, dass sich das Gemeindeleben in vielen Städten nur um die älteren Mitglieder dreht. Es gibt in ganz Deutschland mehr als 100.000 Gemeindemitglieder, aber so richtig merkt man das nicht. Ich befürchte, dass kaum neue Mitglieder nachkommen, während die Menschen aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion immer älter werden. Dadurch werden die Gemeinden schrumpfen.
emg Deshalb sind die Europäischen Makkabispiele in Berlin ein super Ereignis für uns in Deutschland. Abgesehen von den Sportlern, die daran teilnehmen, sind sich die meisten Kinder und Jugendlichen wohl gar nicht bewusst, worum es sich da handelt. Ihnen muss man deutlich vor Augen führen, dass in der deutschen Hauptstadt Tausende jüdische Sportler und Zuschauer zusammenkommen, um auch ihr Jüdischsein zu feiern. Deshalb sollten so viele wie möglich die Chance nutzen und daran teilhaben, wenigstens bei der Eröffnungsfeier.
Aber noch wichtiger als für uns oder die Sportler ist es, dass auch nichtjüdische Zuschauer zu den EMG kommen, denn dadurch können wieder Vorurteile abgebaut werden. Es gibt bestimmt viele, die sich für das Judentum interessieren. Doch man kann nicht einfach in einen Laden gehen und einen Juden kaufen, um dann einen Dialog zu führen.
Da ist der Austausch bei einer Großveranstaltung wie den EMG schon eher möglich, und wenn auch nur für eine Stunde. Wenigstens würde die Bevölkerung sehen: Hey, die laufen ja gar nicht alle mit Kippa herum und tragen einen Bart. Deshalb sollten auch Nichtjuden die EMG besuchen und ruhig die Sportler oder andere Leute ansprechen. Dann werden sie merken, dass Vorurteile völlig unbegründet sind.
Überhaupt sollten die EMG stark in der Öffentlichkeit präsentiert werden. Denn wenn die Medien sonst über Juden in Deutschland berichten, geht es vorrangig um Themen wie die Gefährdung, wenn man auf der Straße eine Kippa trägt. Solche Debatten sind oft der einzige Anlass, um über uns zu berichten. Dadurch entsteht aber ein falsches Bild von Juden, die nicht nur Opfer sind! Es ist klar, dass der Zentralrat in solchen Diskussionen seine Stimme erheben muss, aber Judentum ist doch viel mehr als das: Wir führen ein normales Leben wie andere auch – die EMG sind die perfekte Möglichkeit, das zu zeigen.
chance Wir leben gut in Deutschland und sind größtenteils sicher. Ja, es gibt gewisse Viertel, durch die man vielleicht nicht unbedingt mit Kippa laufen sollte. Aber ich war jetzt auf zwei deutschen Schulen – eine schlimme Konfrontation, nach der ich Angst gehabt hätte, am nächsten Tag wieder zum Unterricht zu gehen, gab es nicht.
Also, ich freue mich auf die EMG, und das eben nicht nur wegen des Sports. Ich könnte nicht von mir behaupten, ein besonders großartiger Sportler zu sein. Bei Makkabi Köln habe ich eine Zeit lang Fußball gespielt, aber während des Abiturs wurde das zu stressig. Früher habe ich auch American Football, Tennis und Basketball gespielt – ich habe mit allem angefangen, dann aber schnell wieder aufgehört. Denn das Jugendzentrum nimmt viel Zeit in Anspruch. Außerdem sind wir Madrichim auch Freunde geworden, und wir unternehmen viel zusammen.
Diesen Zusammenhalt können wir beim EMG-Machane den Jüngeren vorleben, weil in Berlin zwar Sportler aus der ganzen Welt miteinander konkurrieren, aber nach den Spielen wissen, dass sie gemeinsam feiern können – ohne Rivalitäten zwischen den Nationen. »Competing in Sports – United at Heart« – dieses Motto passt perfekt zu den EMG.
machane Wegen der EMG wurde das Machane extra an den Rand von Berlin verlegt. Die ZWST hat die Bedeutung und Chance erkannt, die sich uns bietet. Die EMG werden im Mittelpunkt stehen, und wir können vermitteln, dass wir trotz der verschiedenen Länder, Sprachen und Kulturen ein jüdisches Volk sind. Es wird niemanden überraschen, dass zum Beispiel die amerikanischen Sportler besser abschneiden werden als wir, aber darum geht es nicht. Die Teilnehmer, die ich kenne, freuen sich trotzdem darauf.
Als ich hörte, dass die EMG in Berlin stattfinden, war für mich sofort klar, dass ich in irgendeiner Form dabei sein möchte. Da dachte ich sogar noch, ich würde deshalb das Machane verpassen. Jetzt kann ich beides miteinander verbinden. Das ist für mich perfekt.