Sachsen hat es gut. Dort soll nach Recherchen des Kultusministeriums die Versorgung mit Betreuungsplätzen für Kinder ab einem Jahr gesichert sein. Seit dem 1. August haben Eltern einen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz. Wenn die Kommunen nicht genügend Betreuungsplätze anbieten, können die Eltern klagen. Allerdings dürfen Mütter und Väter auch nicht zu wählerisch sein. Anspruch auf einen Platz in einer bestimmten Einrichtung haben sie nämlich nicht. Eine Fahrtzeit von maximal einer halben Stunde müssen sie ebenfalls in Kauf nehmen.
Im Freistaat Sachsen rechnen weder das Land noch die Landeshauptstadt Dresden mit nennenswerten Klagen von frustrierten Eltern. Doch der Bedarf an Betreuung für die Kleinen ist hoch, vor allem in Dresden, das als geburtenstärkste Stadt Deutschlands gilt. Und einer Elternbefragung zufolge wollen in der Elbestadt 86 Prozent der Eltern ihre Ein- bis Dreijährigen einer Betreuung anvertrauen. Dieser Wert liegt deutlich über dem Bundesdurchschnitt.
Engpässe Während der Kita-Bedarf in der Fläche gedeckt ist, kann es in den wachsenden Ballungsräumen Dresden und Leipzig dennoch zu Engpässen kommen. Dort bekommt nicht jeder seinen Wunschplatz. Dresdens Sozialbürgermeister Martin Seidel räumt ein, dass etwa ein Drittel der Eltern Wege bis zu einer halben Stunde in Kauf nehmen muss.
Die Stadt Leipzig empfiehlt in ihrem Elternportal, nicht nur auf die knappen Kita-Plätze zu bauen, sondern sich an Tagesmütter zu wenden. Außerdem brauchen die Knirpse ja nicht nur einen Verwahrplatz, sondern auch Betreuung. In dieser Hinsicht können die ostdeutschen Bundesländer generell nicht glänzen. Laut einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung muss sich eine ostdeutsche Kita-Kraft im Schnitt um sechs Kleinkinder kümmern. Das sind doppelt so viele, wie es im Idealfall sein sollten.
Judentum Kompromissbereitschaft ist gefragt. Das gilt ganz besonders für jüdische Mütter und Väter in Sachsen, wenn sie für ihre Kleinsten bereits eine jüdische Erziehung auch außerhalb des Elternhauses wünschen. Eine Kita oder Tagesmutter, die jüdische Traditionen und Werte vermittelt? »Ein solches Angebot ist mir nicht bekannt«, sagt Annett Helbig. Sie leitet in Chemnitz die jüdische Kindergartengruppe im städtischen Kindergarten Sonnenberg.
Wer in Chemnitz jüdische Vorschul-Erziehung wünscht, ist auf die 2011 gegründete Gruppe angewiesen. Die Zugehörigkeit zur jüdischen Gemeinde ist keine Pflicht, wenn man seinen Nachwuchs hier unterbringen will. Zwei Erzieherinnen haben Deutsch als Muttersprache, eine Russisch. Eine jüdische Köchin sorgt für die Verpflegung der Kinder.
Jüdische und nichtjüdische Kinder sollen in Chemnitz gemeinsam spielen, lernen, Traditionen pflegen und Feste feiern. Die gute Nachricht für alle berufstätigen Eltern, die möglichst früh eine Betreuung für die Kleinen suchen: Hier werden Kinder schon ab zwei Jahren aufgenommen, und die Öffnungszeiten zwischen 7.30 und 16 Uhr lassen sich noch so gerade mit einem Bürojob vereinbaren. Die schlechte Nachricht: Die jüdische Kindergartengruppe ist schon voll.
Leipzig In Leipzig sieht die Israelitische Religionsgemeinde ebenfalls einen großen Bedarf an jüdischer Kinderbetreuung. Seit 2005 gibt es in der Integrativen Kindertageseinrichtung Kitamo eine jüdische Kindergartengruppe. Sie bietet Platz für 14 Kinder ab drei Jahren bis zur Einschulung. »Leider bekommen derzeit nicht alle Eltern einen Platz für ihr Kind«, räumt Josif Beznosow, Geschäftsführer der Leipziger Gemeinde, ein.
Daher soll das Angebot ausgebaut werden. Wenn alles glattläuft, sollen voraussichtlich ab dem nächsten Jahr 20 Kindergartenkinder in der Gruppe Platz finden. Außerdem sollen etwa fünf Krippenplätze für die ganz Kleinen geschaffen werden. Bis das Angebot steht, möchte die jüdische Gemeinde in Leipzig die Betreuung der Kleinsten durch eine Tagesmutter anbieten können. »Wir haben schon eine geeignete Kraft gefunden, die gerade die erforderliche Ausbildung absolviert«, berichtet Beznosow.
Kooperation Der Integrative Kindergarten in Leipzig kooperiert eng mit der Israelitischen Religionsgemeinde. Die Anmeldungen für die jüdische Gruppe laufen über die Gemeinde. Sie wünscht sich, dass die Eltern oder zumindest ein Elternteil oder auch die Großeltern der Kinder der Gemeinde angehören. Die jüdische Kindergartengruppe hat ihren eigenen Raum und eine Köchin, die koscheres Essen zubereitet. Dafür bezahlen die Eltern einen kleinen Obolus, der aber nicht reicht, um die Kosten für den Lohn der Köchin und die Lebensmittel zu decken. Daher schießt die Israelitische Religionsgemeinde Spendengelder zu.
Den Jahresablauf in der Kindergartengruppe bestimmen natürlich die jüdischen Feiertage und Feste. Rabbiner Zsolt Balla schaut regelmäßig vorbei. Ein Mitglied der jüdischen Gemeinde bringt den Kindern jüdische Lieder, Tänze und Bräuche bei. Und jeden Freitag feiern die Vorschüler Kabbalat Schabbat.
Von ihren nichtjüdischen Altersgenossen isoliert sind die Knirpse jedoch nicht. Die verschiedenen Kindergartengruppen feiern und spielen auch zusammen, zum Beispiel beim Gartenfest und anderen Veranstaltungen.
Interkulturell Kinder mit jüdischem Hintergrund sind auch bei der Interkulturellen pädagogischen Gesellschaft Mitra willkommen. Der Verein russischsprachiger Eltern und Pädagogen unterhält seit 2008 in Leipzig die Kindertagesstätte Karussell, in der jüdische Kinder die Traditionen und Rituale ihres Glaubens kennenlernen. Darum kümmert sich Natalja Atlas, die selbst Mitglied der Israelitischen Religionsgemeinde Leipzig ist. Wenn sie Fragen zum Judentum hat, holt sich die Erzieherin jedoch immer wieder Hilfe beim Rabbiner.
Darüber hinaus bestehe aber keine Verbindung zur Kultusgemeinde, sagt Atlas. In der Leipziger Einrichtung werden derzeit 80 Kinder im Vorschulalter betreut, 60 Prozent von ihnen stammen aus jüdischen Familien. Ab dem Sommer 2014 kommen 54 weitere Plätze hinzu. »Wir würden uns freuen, noch mehr Kinder mit jüdischem Hintergrund aufzunehmen«, betont Atlas.
Allerdings hat sie die Erfahrung gemacht, dass längst nicht alle jüdischen Eltern Wert darauf legen, dass ihr Nachwuchs im Kindergarten mit den jüdischen Regeln vertraut gemacht wird. »Die Eltern sind etwas vorsichtig, weil sie denken, wir machen die Kinder hier religiös«, glaubt Natalja Atlas. Doch das sei ganz und gar nicht das Ziel. »Wir denken nur, die Kinder sollten nicht ganz ihre eigene Tradition vergessen. Es ist ja nichts Schlimmes, wenn sie ihre Geschichte und ihre Feste kennen.«
Feiertage Wenn im Karussell Pessach, Sukkot oder Chanukka gefeiert wird, sind die Erwachsenen immer mit eingeladen. »Viele Eltern haben ihre jüdischen Wurzeln während der Sowjetzeit ganz verloren und lernen ihre Tradition jetzt gemeinsam mit den Kindern wieder kennen«, so Atlas. Und auch die nichtjüdischen Kinder aus Kita und Kindergarten werden nicht ausgeschlossen. »Sie singen und feiern gerne mit«, weiß die Leiterin der deutsch-russischen Kita.
In die Gruppe können Kinder ab zweieinhalb Jahren aufgenommen werden. Außerdem gibt es 26 Krippenplätze für die ganz Kleinen, von denen 16 belegt sind. In der Krippe spiele die jüdische Erziehung aber noch keine Rolle, sondern erst bei den über Dreijährigen, erklärt Natalja Atlas. Koscheres Essen gibt es in der Leipziger Kita für alle Kinder, egal ob sie jüdisch oder nichtjüdisch sind.
In der sächsischen Landeshauptstadt Dresden geht die jüdische Außer-Haus-Erziehung ebenfalls mit dem Kindergartenalter los. Ab drei Jahren können die Kleinen zum Kindergarten von Chabad Lubawitsch kommen. Ein morgendliches Gebet, Geschichten aus der Bibel und des jeweiligen Tora-Wochenabschnitts sind Bestandteil des Programms. Das Ziel sei, »jedem Kind ein positives Selbstverständnis sowie jüdisches Wissen, Stolz, Respekt gegenüber sich und anderen, Verantwortungsbewusstsein und die Liebe und Neugier zum Lernen und zur Tradition zu vermitteln«, heißt es in der Broschüre von Chabad Dresden.