Mitte Dezember in einer Schulkantine im Berliner Wedding. »Ihr seid Kindermörder«, muss sich F. (Name ist der Redaktion bekannt) anhören. »Euch sollte man die Köpfe abschneiden.« Einige Mitschüler, alle sind arabischer Herkunft, umringen den 18-Jährigen. »Wallah, Hitler war gut!«, ruft ein Mädchen. »Denn er hat die Juden umgebracht! Er war ein guter Mann!«
»Ein schlimmer Fall«, heißt es bei der Bildungsverwaltung. »Wir sind entsetzt, und das gilt auch für die Schulleitung.« Im Senat fühlt man sich an das Mobbing in einer Friedenauer Schule erinnert, das dazu führte, dass ein jüdischer Schüler sein Gymnasium verließ. »Ich erwarte eine transparente Aufarbeitung des Falles«, sagt Schulsenatorin Sandra Scheeres (SPD).
gymnasium F. ist seit zweieinhalb Jahren Schüler des Gymnasiums, gerade macht er sein Abitur. Angefeindet wird er, seit er da ist. Doch es wird schlimmer. Der junge Mann legt Wert darauf, dass er selbst nicht provoziert. »Ich bin bei allem ruhig, ich lächle, ich bringe Fakten.« Nur als die Schülerin Hitler lobte, konnte er nicht leise bleiben. »Aber ich bin auf niemanden losgegangen.«
F. wendet sich an die Schulleitung. »Die lobt mein Engagement«, sagt er, aber es habe keinen Sinn, es sei ein »Kampf gegen Windmühlen«. Der junge Mann erwähnt, dass er überlegt, sich an die Presse zu wenden. Da »garantiert« ihm der Direktor Sicherheit. »Wie er das machen will, weiß ich nicht«, sagt F.
Ein paar Sonderrechte erhält er: etwa, dass er zu Pausen nicht auf den Hof muss, weil man ihn da angreifen könnte. Beim Schulsenat heißt es: »Die Schule wird in den nächsten Wochen in allen Klassen und Kursen das Thema Antisemitismus in Deutschland behandeln.« Und Senatorin Scheeres sagt: »Aufklärungs- und Präventionsarbeit ist kontinuierlich notwendig, um Antisemitismus an Berliner Schulen keinen Raum zu lassen.«
senat Der Senat hat auch Saraya Gomis eingeschaltet, Antidiskriminierungsbeauftragte für Berliner Schulen. »Antisemitismus ist nie und unter keinen Umständen in Ordnung«, sagt Gomis, die auch in Friedenau um pädagogische Hilfe gebeten wurde. »Ich arbeite in Vernetzung«, beschreibt sie ihr Vorgehen, »das heißt im konkreten Fall: mit dem Antisemitismusbeauftragten der Jüdischen Gemeinde und mit der ZWST.«
Die nächsten Schritte skizziert sie so: »Ich begleite die Schule auf ihrem Weg, den Fall zu bewältigen. Das heißt: den Schüler schützen, mit denen, die die antisemitischen Dinge gesagt haben, sprechen, Schulentwicklungsaufgaben erarbeiten und anderes.«
gemeinde Sigmount Königsberg, Antisemitismusbeauftragter der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, unterstützt F. »Der Junge ist nicht allein«, sagt Königsberg. Anzeige wird F. wohl nicht erstatten. Zunächst hatten er und seine Mutter den Eindruck, dass von der Schule keine Reaktion kommt. Das hat sich mittlerweile geändert. »Es gibt dort derzeit kein anderes Thema«, erzählt F.
Seine Mutter glaubt, dass man den Pädagogen moralisch den Rücken stärken muss. Rabbiner Boris Ronis, der den jungen Mann kennt, meint: »Totschweigen ist kein gutes pädagogisches Mittel.« Zumal, wie Gomis sagt, »in Diskriminierungsfällen die Dunkelziffer immer wesentlich höher« ist. Fälle wie in Friedenau und im Wedding sind häufiger, als man vermutet. Gomis dazu: »So etwas zu melden, muss man sich erst einmal trauen.«