Es ist eine in Norddeutschland einmalige Einrichtung: Der geplante kleine Kindergarten der Jüdischen Gemeinde in Bad Segeberg wird etwas Besonderes. Der Betrieb der Kita mit einer altersgemischten Familiengruppe für 15 Kinder, darunter fünf noch im Krippenalter, soll im August starten. Der Stadtvertretung liegt jetzt der Rahmenvertrag zur Abstimmung vor.
Das Besondere an dem neuen Kindergarten von »Mishkan HaZafon« ist nicht nur, dass er von der jüdischen Gemeinde getragen wird, sondern dass er interreligiös und interkulturell sein soll. Gemeindevorsitzende Walter Blender erklärt: »Wir wollen eine Gruppe mit jüdischen Kindern aus der Gemeinde, aber auch mit einigen muslimischen und christlichen Kindern.« Analog dazu sollen möglichst auch die Erzieher ausgewählt werden, betont Blender.
Unterstützung Und doch ist dieses offene Modell auch aus der Not geboren. Die liberale jüdische Gemeinde hat in Bad Segeberg und Umgebung nicht genügend Kinder im Kita-Alter. »Wir haben Familien aus Norderstedt und aus Lübeck, die würden ihre Kinder hier gerne hinbringen, aber 50 Kilometer Anfahrt – das geht nun einmal nicht«, bedauert Blender. Doch einen rein jüdischen Kindergarten wolle man ohnehin nicht. Dann hätte die Gemeinde für den Bau auch keine Bundesmittel von 62.000 Euro bekommen. Charlotte Knobloch, Präsidentin des Zentralrats der Juden, wurde bei ihrem Besuch in Bad Segeberg das Konzept vorgestellt. Sie habe spontan 30.000 Euro zugesagt, erzählt Blender hocherfreut.
Nicht nur vom Konzept, auch von den Räumen ist das Ganze bedeutsam. Architekt Klaus Eggers öffnet die Tür zum Gemeinschaftsraum. Hier sollen sich die Kinder treffen, singen, beten, spielen und Spaß haben. Die alte Mühle, in der früher die Lohe gewonnen wurde, ein Gerbstoff für Leder, ist im Grundriss noch erkennbar. Die Fensterbänke sind in die dicken Mauern als gemütliche Sitzgelegenheiten eingelassen. Die Wände sind mit Buchenholz verkleidet, der Boden ist mit wüstensandfarbenem Linoleum ausgelegt und die Decke hellblau angestrichen.
Vorbild Der Kindergarten wird aber nicht nach der Mühle benannt – er wird Sidonie-Werner-Kinderhaus heißen. An Sidonie Werner (1860-1932) erinnert heute in Bad Segeberg eine Tafel. Die Hamburger Oberlehrerin war Vorsitzende des Jüdischen Frauenbundes. Die Heime, die sie ab 1908 in Bad Segeberg gegründet hatte, boten bis zu 650 kranken und schwachen Kindern pro Jahr in fünf wöchigen Kuren Erholung und jüdische Erziehung.
Das Sidonie-Werner-Kinderhaus im Jean-Labowsky-Weg soll auch für viele Nichtjuden der Türöffner zum Gemeindezentrum werden. Schon jetzt hat die 180 Mitglieder starke Gemeinde mit dem jüdischen Sportverein eine Institution, in der auch Christen mit von der Partie sind. Vieles im Alten Testament sei doch für alle drei großen Religionen gleich, vom »Turmbau zu Babel« bis zur »Arche Noah«, meint Blender. »Wir können so den Kindern vermitteln, dass wir alle einen gemeinsamen Gott haben.«
öffnung Er musste in der Gemeinde anfangs sehr viel Überzeugungsarbeit leisten, damit alle mitzogen. »Wo wir es können, müssen wir uns auch nach außen hin öffnen«, forderte er. So gebe es ein sehr gutes Verhältnis zu den Muslimen. »Auch von dort werden sicherlich Kinder zu uns kommen«, glaubt Blender. Das sei »sehr praktisch« fürs Mittagessen: Juden und Muslime essen kein Schweinefleisch. Das Essen soll aus einer Großküche kommen. Dort gibt es einen Koch, der auch koschere Speisen zubereiten kann.
Sehr sensibel werde man darauf achten, dass in der Kita alle drei Religionen gleich behandelt werden. Bei der Zusammensetzung der Kindergruppe möchte die jüdische Gemeinde mit der Stadt zusammenarbeiten. Die habe eine lange Warteliste von Eltern, die Plätze für ihre Kinder suchen. Blender ist wichtig, dass der interreligiöse Kindergarten »nicht nur so auf dem Papier steht, sondern auch Wirklichkeit wird«. Dabei solle das Religiöse nicht dominieren, sondern eher »nebenbei laufen«.
Fachkräfte »Der Kindergarten ist uns hier im Gemeindezentrum ganz wichtig«, betont Blender. »Dann ist immer Leben in der Bude.« Schon jetzt haben sich Praktikanten aus ganz Deutschland angemeldet, um das Kita-Modell kennenzulernen. Sogar aus Thüringen gab es schon eine Anfrage. Viele jüdische Gemeinden seien überaltert und trauten sich nicht, einen Kindergarten zu gründen. Deshalb gebe es auch so viele Anfragen aus anderen Bundesländern, zeigt sich Blender überzeugt. Trotz bereits vorliegender Bewerbungen, empfiehlt Blender Fachkräften, sich zu bewerben, wenn sie sich für das interreligiöse Konzept begeistern – gerade wenn sie Muslime oder Christen sind.