Benjamin Vamosi hat alle Hände voll zu tun. Für den 25 Jahre alten Leiter des Jugendzentrums »Jachad« in Köln wird der Februar aller Wahrscheinlichkeit nach der stressigste Monat des Jahres. Am 20. Februar wird Köln den Jewrovisions Contest ausrichten. »Das will erst mal organisiert sein«, sagt Vamosi, in dessen Stimme eine Mischung aus Vorfreude und Nervosität mitschwingt. »Da kommen einige hundert Jugendliche aus dem ganzen Bundesgebiet.«
Jedes Jugendzentrum wird zu diesem Datum mit Unterstützung anreisen, einem eigenen Betreuerstab und Fans. Alle kommen in Köln zusammen, eine riesige Ansammlung jüdischer Jugendlicher und junger Erwachsener, im Alter zwischen 14 und 25. »Eine gute Gelegenheit sich kennenzulernen«, glaubt Vamosi. Die Bands und Tanzgruppen werden wieder mal ihr Bestes geben. Auf der Bühne wird wohl oft von Liebe die Rede sein. Im Publikum wahrscheinlich auch.
Traumvorstellung Für jüdische Jugendliche alles andere als ein einfaches Thema, nicht nur weil in einem bestimmten Alter eben die Hormone verrückt spielen. Die Idealvorstellung ist überall die gleiche. »Irgendwann, irgendwo, läuft mir der Traummann/die Traumfrau ganz unverhofft über den Weg.« Das mit dem »über-den-Weg-Laufen« aber ist für jüdische Jugendliche nicht ganz so einfach, zumindest nicht, wenn sie darauf Wert legen, dass auch ihr Partner jüdisch ist. Fisch und Fahrrad, Topf und Deckel, das Zueinanderfinden gestaltet sich oft schwer. Vor allem in kleinen Gemeinden, in denen die Auswahl nicht so groß ist. Insbesondere für junge Männer, denn an denen herrscht meistens ein wenig Überschuss. Entsprechend großer Beliebtheit erfreuen sich alle Veranstaltungen, bei denen Jugendliche aus der ganzen Republik zusammenkommen.
heiratsmarkt Der Jugendkongress der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWSt), Ferienfreizeiten (Machanot) in den Sommermonaten oder eben die Jewrovision. »Heiratsmärkte«, seien das zwar nicht, glaubt Vamosi. »Aber hier sieht man sich zum ersten Mal, lernt sich kennen und später trifft man sich vielleicht wieder.«
»One machane can change everything – Eine Machane kann alles ändern«, heißt es auf den Internetseiten der ZWSt. Die Sommerfreizeiten in Israel und Italien erfreuen sich nach wie vor großer Beliebtheit. Auch wenn der Werbespruch nicht unbedingt auf die Partnersuche gemünzt ist, kommen sich nicht wenige Jugendliche hier zum ersten Mal näher. Auch Vamosi hat seine Freundin hier kennengelernt – mit 15. Fünf Jahre später trafen sie sich bei einer anderen Veranstaltung wieder und es funkte. Für Vamosi damals ein echter Glücksfall. »Ich lege angesichts der jüdischen Tradition sehr viel Wert darauf, dass meine Partnerin Jüdin ist.«
identität Matrilinearität ist das Stichwort. Da das Judentum nur über die Mutter an die Kinder weitergegeben wird, scheinen vor allem die jungen Männer besonderen Wert auf eine jüdische Partnerin zu legen. Der Druck wächst. Allenthalben ist vom »Verlust der jüdischen Identität« die Rede. Die Hauptschuldigen sind ausgemacht: Mischehen und zunehmende Anpassung an die Mehrheitsgesellschaft. »Insofern glaube ich nicht, dass Frauen die Partnerwahl viel entspannter sehen«, betont Shaul Friberg, Rabbiner an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg.
Als Seelsorger betreut er dort seit fast zwei Jahren rund 200 Studenten, ist Ansprechpartner bei religiösen und emotionalen Konflikten. »Das Thema Partnerschaft wird aber so gut wie nie an mich herangetragen«, und das obwohl sich auch an der Hochschule, das eine oder andere Pärchen zusammenfindet. »Ich bekomme natürlich mit, dass das ein großes Thema ist.«
»Heirat?«, fragt Uli Ettinger. »Wenn man älter wird, wird man sich damit natürlich auseinandersetzen müssen.« Der 19-Jährige, der als Betreuer im Düsseldorfer Siegfried-Klein-Jugendzentrum arbeitet, kann das Thema Liebe nach eigener Aussage »relativ entspannt angehen«, seine Freundin ist Jüdin. Vor zweieinhalb Jahren haben sie sich kennengelernt – auf einem Machane, wie könnte es anders sein. »Das wir beide jüdisch sind, erleichtert vieles«, meint Ettinger, »aber wäre sie Nichtjüdin und wir hätten uns verliebt, wäre eine Beziehung für mich trotzdem vorstellbar gewesen.«
Ein Weg, der für seinen älteren Kollegen aus Köln, Benjamin Vamosi, wohl nicht gangbar wäre, selbst wenn seine Partnerin konvertieren würde. »Ich sehe Übertritte, die durch den Partner motiviert sind, kritisch. Spätestens bei den religiösen Inhalten stößt man auf Probleme. Das sehen viele im Vorfeld nicht.«
netzwerke Natürlich sei das bei den 14- bis 17-Jährigen, die er im Moment betreut, noch kein Thema. »Die haben das noch nicht mal im Hinterkopf. Für uns Studenten ist das ganz anders.« Auch im Studium bieten sich wieder Möglichkeiten, andere Menschen kennenzulernen. Jüdische Studiengruppen, Hochschulgemeinden, Feten mit Freunden. Allerdings mit einem zunehmend ernsten Hintergrund: Heirat. »Im Freundeskreis spekulieren wir schon drüber, wer wohl der erste sein wird.«
Für die Jugendlichen geht es am 20. Februar erst einmal um die beste Performance, den besten Song und ums Kennenlernen »Daher ist es wichtig, dass wir solche bundesweiten Treffen anbieten«, bekräftigt Benjamin Vamosi. »Jüdische Liebe ist zu einem großen Teil Networking.«