Diesen Tag hatte sich Anja Siegemund ganz anders vorgestellt. Ur-
sprünglich waren für den 7. Juni eine Feierstunde und ein Tag der Offenen Tür in der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum mit einem umfangreichen Programm für die Berliner geplant. Stattdessen wird nun das Jubiläum der Eröffnung des Hauses vor 25 Jahren mit verschiedenen virtuellen Angeboten begangen.
Lange hatte die Stiftungsdirektorin darauf gehofft, das Jubiläum der weltbekannten Berliner jüdischen Institution vielleicht doch noch wie geplant feiern zu können – mit Ehrengästen, Kollegen und vor allem Besuchern.
HERZSTÜCK Denn sie sind es, für die das Herzstück des Museums – die Ausstellungen, Führungen und Veranstaltungen – bestimmt ist. »Als Ort des Lernens und des Austauschs leben wir vom direkten Kontakt«, sagt Anja Siegemund, »und natürlich auch von der Nähe zu den Objekten.«
Doch wann der reguläre Museumsbetrieb wiederaufgenommen werden kann, ist zurzeit noch ungewiss. Wegen der fehlenden Einnahmen ist die finanzielle Situation schwierig. Und Hygienemaßnahmen kosten Geld. Man arbeite aber im Moment an umfangreichen Konzepten, um »corona-fit« zu werden, sagt Anja Siegemund, die die Einrichtung seit 2015 leitet.
So soll der Museumsbetrieb etwa unter Einlassbeschränkungen wieder ermöglicht werden. Dann könne man hoffentlich bald zumindest für einzelne Besuchergruppen wieder öffnen. »Wir gehen im Augenblick viele Dinge an, für die sonst zu wenig Zeit ist – wie zum Beispiel den Ausbau unserer Öffentlichkeitsarbeit«, sagt Anja Siegemund. Das habe wiederum etwas Gutes.
POTENZIAL So ist etwa die neue Webseite gerade online gegangen – pünktlich zum 25. Jubiläum der Wiedereröffnung. Neu ist auch eine Vielzahl von Angeboten im Bereich Bildung und Vermittlung, die seit 2018 mittels einer Projektstelle stetig ausgebaut werden.
Es gebe nun bereits thematische Führungen und Seminare, die das Potenzial des Hauses nutzen und jeweils an die Zielgruppen angepasst würden. »Wir sind dabei, uns als Institution auf den gelegten Grundlagen weiterzuentwickeln«, sagt die Stiftungsdirektorin.
Der Museumsbetrieb soll unter Einlassbeschränkungen wieder ermöglicht werden.
Ein wichtiger Schritt in diese Richtung war vor zwei Jahren die Überarbeitung der ständigen Ausstellung im Haus, die sich seit Juli 2018 in neuem Gewand zeigt. Zudem haben Anja Siegemund und ihr Team attraktive Publikumsformate entwickelt wie etwa das »Jüdisch-Literarische Rondeel« im Repräsentantensaal der Neuen Synagoge – prominent besetzte und gut besuchte Veranstaltungen, die das Repertoire des Museums erweitern.
Wiederkehrende Formate und inhaltliche Schwerpunktsetzungen auch für das Veranstaltungsprogramm seien wichtig, meint die Stiftungsdirektorin. Auch Überlegungen hierzu sollen in das überarbeitete Hygienekonzept miteinfließen.
»Wir bauen unsere digitalen Möglichkeiten als Institution gerade aus, gleichzeitig wollen wir als Museum die Menschen nicht mit virtuellen Angeboten überfrachten«, sagt Anja Siegemund.
GRÜNDUNGSDIREKTOR Auch wenn die Jubiläumsfeier nun coronabedingt ausfallen muss, wird aus diesem Anlass vor allem noch einmal das Lebenswerk von Hermann Simon gewürdigt, der 1988 Gründungsdirektor der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum wurde. In der vom Team eigens für das Jubiläum umgesetzten virtuellen Reihe »25 Jahre in 25 Posts« werden Hermann Simons Lebenswerk und seine Verdienste um die Institution daher auf besondere Weise gewürdigt – mit einem Interview in mehreren Teilen sowie eigenen Texten.
Der 7. Mai ist ein Tag, an dem Hermann Simon immer ein bisschen emotional wird. »Wenn ich auf dem Kalenderblatt dieses Datum stehen sehe, komme ich gar nicht darum herum, mich an diesen einen, für mich zeitlebens besonderen Maitag zu erinnern«, sagt der Gründungsdirektor. Die Gedanken des 71-Jährigen schweifen zurück zum Jahr 1995.
An jenem Maitag wurde das Centrum Judaicum in der Oranienburger Straße nach langwierigen Bauarbeiten mit dem Ziel eröffnet, die in Teilen rekonstruierte Neue Synagoge zu erhalten und die Pflege und Bewahrung jüdischer Kultur sicherzustellen. »Am Abend war es unglaublich schwül und warm«, erinnert sich der gebürtige Berliner. »Während der feierlichen Eröffnungszeremonie goss es plötzlich im historischen Zentrum Berlins sprichwörtlich wie aus Kannen – es war, als ob der Himmel weinen würde.«
Zur feierlichen Eröffnung des Museums mit seiner Dauerausstellung über die Geschichte der Synagoge und der jüdischen Gemeinde waren alle gekommen: der damalige Bundespräsident Roman Herzog, Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl, Berlins früherer Bürgermeister Eberhard Diepgen, der damalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, Mitglieder der Jüdischen Gemeinde zu Berlin sowie zahlreiche Würdenträger aus dem In- und Ausland.
»25 Posts in 25 Jahren« würdigen insbesondere das Lebenswerk von Hermann Simon.
»Es war 50 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine würdige Zeremonie mit vielen bewegenden Reden«, sagt Simon. Die Eröffnung habe sich ein bisschen wie eine Wiederholung des historischen Einweihungsaktes vom 5. September 1866 angefühlt.
Damals war die Neue Synagoge mit ihrer weithin sichtbaren goldenen Kuppel als neues Zentrum eines selbstbewussten liberalen Berliner Judentums im Beisein von Preußens Ministerpräsident Otto von Bismarck eingeweiht worden. Das Centrum Judaicum habe sich seit seiner Eröffnung vor 25 Jahren als Begegnungs- und Lernstätte in der Bundeshauptstadt und »jüdische Erfolgsgeschichte« etabliert, sagt Simon.
ARCHIV Auch die wissenschaftliche Bedeutung der Institution hebt er hervor: mit dem im Haus integrierten Gesamtarchiv der deutschen Juden, das Akten von mehr als 400 jüdischen Gemeinden und Organisationen aus ganz Deutschland sowie zahlreiche Familiennachlässe Berliner jüdischer Familien enthält. »Über die Jahre hatten wir neben unserer immer gut besuchten Dauerausstellung auch viele bedeutende Wechselausstellungen im Haus, die weltweit für Aufsehen sorgten«, erzählt er.
Eine der Ausstellungen, an die Simon besonders gern zurückdenkt, ist eine Schau aus dem Jahr 2011 mit dem Titel Auf der Suche nach einer verlorenen Sammlung – das Berliner Jüdische Museum 1933–1938. »Als Historiker lag mir die Geschichte des ersten, von den Nationalsozialisten zerschlagenen Jüdischen Museum Berlins in der Oranienburger Straße immer besonders am Herzen«, sagt Simon.
Das Museum will die jüdische Gegenwart Berlins stärker einbeziehen und eine Brückenfunktion zwischen der Stadtgesellschaft und jüdischen Communities einnehmen.
Zum Jubiläum in schwierigen Corona-Zeiten wünscht der ehemalige Direktor seiner alten Wirkungsstätte eine noch stärkere öffentliche Wahrnehmung in der Stadt und mehr Teilnahme am wissenschaftlichen Diskurs. »Es war auch in der Vergangenheit nicht immer einfach«, meint er rückblickend.
MOMENTE »Die Stiftung ist durch Hermann Simon als eine in unserer Stadt und weit darüber hinaus etablierte Institution deutsch-jüdischer Geschichte bekannt geworden«, sagt Anja Siegemund. So sei es nur folgerichtig, dass etwa die »Goldenen Momente« auf der neuen Webseite vor allem ihn zeigen – neben Bill Clinton, Shimon Peres und Kofi Annan.
Die Webseite wird ständig weiter aktualisiert. Neben den virtuellen Vorhaben und Plänen zur Wiederaufnahme des Publikumsbetriebs nach den pandemiebedingten Einschränkungen widmet sich die Stiftungsdirektorin weiteren inhaltlichen Planungen. Zu diesen Überlegungen gehört auch, als Museum die jüdische Gegenwart Berlins stärker einzubeziehen und eine Brückenfunktion zwischen der Stadtgesellschaft und jüdischen Communities einzunehmen.
Ein wichtiges Projekt ist dabei aktuell – auch unabhängig von Corona – die Digitalisierung des Archivs. So arbeitet das Team daran, die »Findbücher« für das Archiv online einsehbar zu machen. Mehr als 24.000 Auskünfte wurden bereits erteilt und rund 6000 Nutzer persönlich beraten. »Unser Ziel ist es, die Schätze im Archiv des Museums auch virtuell sichtbarer und zugänglicher zu machen«, sagt Anja Siegemund. Auch für die Zeit, wenn die Besucher wieder Schlange stehen dürfen.