Wenn Gesa Ederberg versucht, die Arbeit ihres neuen Kooperationspartners, der israelischen Katastrophenhilfe IsraAid, zu erklären, dann zitiert die Berliner Rabbinerin am liebsten einen Satz von deren Chef-Krisenmanager Yotam Polizer: Sein Job sei es, in leeren Flugzeugen zu fliegen, weil er »immer dann an einen bestimmten Ort fliege, wenn alle anderen von dort weg wollen«.
Die israelische Organisation ist an Brennpunkten auf der ganzen Welt aktiv und versucht natürlich auch, in der aktuellen Flüchtlingskrise einen Beitrag zu leisten. So zum Beispiel auf der griechischen Insel Lesbos, wo das Team aus jüdischen und arabischen Israelis dabei hilft, in Seenot geratene Flüchtlinge sicher an Land zu bringen. Für viele der mehrheitlich aus arabischen Ländern Geflüchteten ist dieser Kontakt mit einem der Retter der erste mit Israelis in ihrem Leben überhaupt. »Dieses Momentum auch nach Deutschland zu bringen, war der Anlass für die Kooperation«, erzählt Rabbinerin Ederberg sichtlich beeindruckt.
israaid Die Gemeinderabbinerin der Synagoge in der Oranienburger Straße will zusammen mit ihrer Beterschaft dazu beitragen, den Kontakt zwischen den zumeist muslimischen Neuankömmlingen in Deutschland und den hier lebenden Juden von Anfang an so selbstverständlich wie möglich zu gestalten.
Aus diesem Grund hat sie Ende Februar einen deutschen Ableger von IsraAid mitgegründet, dessen Vorsitz sie übernahm. Unterstützt wurde sie dabei von den beiden Trägern des Projektes, der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) sowie dem American Jewish Committee (AJC). Ziel des Vereins ist es, die Expertise aus der Arbeit von IsraAid für die Flüchtlingsarbeit in Deutschland zu nutzen und unter anderem jüdisches Personal für die psychosoziale Betreuung von Flüchtlingen auszubilden.
Eine erste gemeinsame Veranstaltung gab es im Februar in einer Spandauer Unterkunft, in der die Synagogengemeinde der Oranienburger Straße bereits seit dem Mitzvah Day im vergangenen November aktiv ist. Schon jetzt ist das Feedback positiv: Die palästinensischen Mitarbeiter vom Sicherheitspersonal des Flüchtlingslagers schätzten den Einsatz der Beter so sehr, dass sie Hebräisch mit ihnen sprachen, erzählt Gesa Ederberg. Es seien diese Momente, die der Rabbinerin zeigen, dass sie mit dem Engagement ihrer Gemeinde auf dem richtigen Weg ist.
benefiz Am Sonntag startete die Gemeinde in der Oranienburger Straße dann gleich mit einem zweiten beherzten »Kick-off« in ihre wohltätige Arbeit für dieses Jahr: Gemeinsam mit dem der Gemeinde verbundenen brasilianischen Komponisten und Musikwissenschaftler Jean Goldenbaum organisierten die Beter ein Benefizkonzert.
Der junge Musiker, auf dessen Initiative das Konzert zustande gekommen war, greift in seiner Musik immer wieder Themen wie Frieden, Freiheit, Toleranz und Respekt auf – oder wie Goldenbaum es selbst kurz und knapp ausdrückt: »das Gute«. So war es kein Wunder, dass der Abend unter dem Motto »New Sounds for the Good – Neue Töne für das Gute« stand. Goldenbaum ist überzeugt davon, dass Musik dabei helfen kann, die Welt zu verbessern.
Der Erlös des Abends kam zwei wohltätigen Projekten zugute: zum einem der Flüchtlingsarbeit der Oranienburger Straße, zum anderen dem Projekt einer »Drei-Religionen-Kita«, an dem Gesa Ederberg in Zusammenarbeit mit anderen jüdischen, muslimischen und evangelischen Partnern beteiligt ist. Das gemischte Haus soll Platz bieten für Gruppen aus allen drei Religionsgemeinschaften, die von frühester Kindheit an in guter Nachbarschaft und gegenseitiger Akzeptanz miteinander unterrichtet werden.
Die Projektträger aus dem Bildungswerk Masorti Deutschland, dem Evangelischen Kirchenkreisverband und dem Deutschsprachigen Muslimkreis verfolgen nicht den Anspruch, Judentum, Christentum oder Islam vollständig zu repräsentieren. Vielmehr handelt es sich, beschreibt Rabbinerin Ederberg die Idee, »um eine Kooperation von Partnern aus diesen drei Bereichen, die aus unterschiedlichen Gründen gut miteinander können«.
glauben Wohltätige Arbeit gehört für die Beter der Oranienburger Straße zum Glauben dazu. Nur eine Gemeinschaft, die sich nach außen hin engagiere – diese Überzeugung teilen hier alle –, kann auch nach innen als stabile Gemeinschaft funktionieren.
In der aktuellen Flüchtlingskrise allerdings kommt zu diesem Engagement noch eine andere Problematik hinzu: Viele der arabischen Geflüchteten kommen aus Gesellschaften, in denen staatlich verordneter Antisemitismus und Verschwörungstheorien über Israel zum gesellschaftlichen Grundkonsens gehören.
Auch Gesa Ederberg will diese Gefahr nicht kleinreden, doch wehrt sie sich auch dagegen, ganze Gruppen von Anfang an zu stigmatisieren. Stattdessen setzt sie auf Normalität im Umgang miteinander, denn der erste Eindruck, den die arabischen Flüchtlinge von Deutschland bekommen, »wird auch die Norm, auf die sie sich einstellen«, meint die Rabbinerin. So schließt sich der Kreis zur Kooperation mit IsraAid.
identität »Ich kenne viele Menschen, die in der Flüchtlingshilfe aktiv sind und nicht sagen, dass sie jüdisch sind. Ich kann das vollkommen nachvollziehen«, sagt Ederberg. »Aber die Message, die wir dabei vermitteln wollen, funktioniert eben nur, wenn wir keine Angst haben, unsere jüdische Identität so selbstverständlich wie möglich zu thematisieren.«
Viele Beter in der Oranienburger Straße tun es ihrer Gemeinderabbinerin gleich und engagieren sich in der Flüchtlingsunterkunft in Spandau – negative Vorfälle gab es glücklicherweise bis jetzt noch nicht.
Einer der Helfer ist Gerhard Baader. Der Medizinhistoriker und Schoa-Überlebende fährt trotz seiner 88 Jahre einmal pro Woche dorthin und gibt Deutschunterricht. Kürzlich berichtete sogar die englischsprachige israelische Tageszeitung »Jerusalem Post« über sein Engagement. Auch Jean Goldenbaum, der brasilianische Komponist, setzt sein musikalisches Streben nach »dem Guten« ohne viele Worte weiter in die Tat um: Mit den Flüchtlingskindern der Spandauer Unterkunft studiert er deutsche Kinderlieder ein.