Wettbewerb

»Jeder Satz schien uns wichtig«

Fahren sie nach Berlin? Einen Preis beim Geschichtswettbewerb auf Landesebene haben die Lichtigfeld-Schüler bereits gewonnen. Foto: Erhard Blatt

Wieso hast du eine Nummer am Unterarm?», wollte die 17-jährige Celina als Kind von ihrer Großmutter Eva wissen. Das wiederum ist eine Frage, die Anita sich nie getraut hätte, ihrer Mutter zu stellen. Anita Schwarz ist Evas Tochter und Celinas Mutter. Alle drei sitzen im Wohnzimmer am Tisch und tauschen sich über ihre Erinnerungen aus.

«Die dritte Generation traut sich viel mehr», so die Erfahrung von Eva Szepesi. Sie ist 83 Jahre alt und KZ-Überlebende. Dass die Enkeltochter Celina auf ihre Tätowierung am Unterarm zeigte und wissen wollte, was es damit auf sich hat, führt Eva Szepesi darauf zurück, dass die Jüngeren ein unverkrampfteres Verhältnis zur Geschichte haben und deshalb Fragen stellen, die sich die zweite Generation nie getraut hätte.

Das Gespräch zwischen Celina, Anita und Eva ist eine Szene aus dem Film Drei Frauen, drei Generationen. Anders sein –jüdisch sein. Es ist eine Dokumentation, die die Frankfurter Schüler Leroy Schwarz und Noah Aron gedreht haben. Damit haben sich die Neuntklässler der Lichtigfeld-Schule am «Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten» beteiligt und sind mit einem der zwölf Landespreise ausgezeichnet worden.

Erster WEltkrieg Die Körber-Stiftung richtet den Wettbewerb alle zwei Jahre aus; diesmal lief die Ausschreibung unter dem Titel «Anderssein. Außenseiter in der Geschichte». Klassenlehrerin Elke Maiwald fragte gezielt Jugendliche ihrer Klasse und ermunterte sie, sich an dem Geschichtswettbewerb zu beteiligen. Sie schlug ihren Schülern Themen vor und betreute die Gruppen anschließend intensiv.

Leroy und Noah reichten den Film ein; Cori Lott, Yael Hillebrecht und Maximilian Novikov steuerten eine 50 Seiten umfassende Dokumentation über deutsche Soldaten jüdischen Glaubens im Ersten Weltkrieg bei. Und eine dritte Gruppe bewarb sich mit einer App über jüdische Orte in Frankfurt an der Ausschreibung. Der Film und die schriftliche Arbeit überzeugten die Jury.

Dass Klassenlehrerin Maiwald Leroy vorschlug, einen Film über seine Großmutter zu drehen, «war naheliegend», denn der 15-Jährige hatte bereits im Jahr zuvor mit einen Text über seine «Anju», wie er seine Großmutter nennt, einen Preis gewonnen. Mit seinem Freund und Klassenkameraden Noah näherte er sich diesmal mithilfe eines anderen Mediums dem Thema, das ein wesentlicher Teil seiner Familiengeschichte ist. Leroys Großmutter entkam als Kind der Judenverfolgung, überlebte Auschwitz und lebt heute in Frankfurt.

Hintergrund Mehr als 100 Stunden investierten Leroy und Noah in die Produktion der 30 Minuten langen Dokumentation. Es sei ja nicht nur darum gegangen, zu filmen und das Videomaterial zu schneiden, sondern auch darum, den geschichtlichen Hintergrund zu recherchieren, sagen sie. Von einer befreundete Cutterin ließen sie sich in ein Computerprogramm einweisen, mit dem sie dann den Film professionell bearbeiten konnten.

So manches Mal saßen die beiden Freunde bis spät in die Nacht zusammen und arbeiteten an ihrem Film. «Es ist nicht leichtgefallen, die Interviews zu kürzen», sagt Leroy «weil uns jeder Satz wichtig erschien.» Und Noah bilanziert: «Obwohl es anstrengend war, hat es sehr viel Spaß gemacht.»

Bund jüdischer Soldaten Dass Cori, Yael und Maximilian sich mit deutschen Soldaten jüdischen Glaubens im Ersten Weltkrieg befassten, erscheint nur im ersten Moment ungewöhnlich. Lange mussten die drei aber nicht nach diesem Thema suchen. Im Jahr zuvor hatte die gesamte Klasse eine Gedenkfeier für die jüdischen Soldaten besucht und sich im Unterricht damit beschäftigt.

Motiviert hat sie zudem Yaels Vater Gideon Römer-Hillebrecht, der Oberst der Bundeswehr und stellvertretender Vorsitzender des Bundes jüdischer Soldaten ist. Er ist ein Experte auf diesem Gebiet und gab den Jugendlichen nicht nur Literatur- und Recherchetipps, sondern betreute sie auch. Anders als Leroy und Noah hat diese Gruppe nicht notiert, wie viele Stunden sie für Nachforschungen und fürs Schreiben gebraucht haben. Sie sind stolz auf ihre Arbeit, die – wie auch der Film – ab Januar auf der Internetseite der Körber-Stiftung abrufbar sein wird.

Spende Leroy und Noah sind sich noch nicht einig, was sie mit ihrem Preisgeld machen wollen. Noch überlegen sie, ob sie die 250 Euro als Ausgleich für ihre Ausgaben behalten oder spenden sollten – so wie Cori, Yael und Maximilian. «Ich möchte gerne, dass wir das Geld einer wohltätigen Organisation in Israel spenden», sagt Cori.

Der Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten wurde erstmals 1973 ausgeschrieben. Ins Leben gerufen haben ihn der damalige Amtsinhaber Gustav Heinemann und der Hamburger Stifter und Unternehmer Kurt A. Körber – mit dem Ziel, das Interesse junger Menschen für die eigene Geschichte zu wecken, ihre Selbstständigkeit zu fördern und ihr Verantwortungsbewusstsein zu stärken.

An der diesjährigen Ausschreibung nahmen bundesweit rund 5000 und aus Hessen 243 Schüler mit 67 Beiträgen teil. Aus allen Landessiegern werden fünf Bundessieger ermittelt, die Bundespräsident Joachim Gauck am 17. November im Schloss Bellevue auszeichnen wird. In den nächsten Wochen wird sich herausstellen, ob Leroy und Noah, Cori, Yael und Maximilian eine Einladung nach Berlin bekommen werden. Cori wird nicht dabei sein können, sie fliegt demnächst nach Israel und wird das nächste Schuljahr dort verbringen.

Im September und Oktober werden die Landespreisträger für Mecklenburg-Vorpommern, Berlin/Brandenburg, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Bayern bekanntgegeben.

www.koerber-stiftung.de/bildung/geschichtswettbewerb

Interview

»Wir reden mehr als früher«

Rabbiner Yechiel Brukner lebt in Köln, seine Frau Sarah ist im Herbst nach Israel gezogen. Ein Gespräch über ihre Fernbeziehung

von Christine Schmitt  13.03.2025

Bundeswehr

»Jede Soldatin oder jeder Soldat kann zu mir kommen«

Nils Ederberg wurde als Militärrabbiner für Norddeutschland in sein Amt eingeführt

von Heike Linde-Lembke  13.03.2025

Hamburg

Hauptsache kontrovers?

Mit der Verleihung der Buber-Rosenzweig-Medaille wurde die »Christlich-Jüdische Zusammenarbeit 2025 – 5785/5786« eröffnet. Die Preisträger sind in der jüdischen Gemeinschaft umstritten

von Heike Linde-Lembke  13.03.2025

Purim

Schrank auf, Kostüm an

Und was tragen Sie zum fröhlichsten Fest im jüdischen Kalender? Wir haben uns in der Community umgehört, was in diesem Jahr im Trend liegt: gekauft, selbst gemacht oder beides?

von Katrin Richter  13.03.2025

Feiertag

»Das Festessen hilft gegen den Kater«

Eine jüdische Ärztin über Alkoholkonsum an Purim und die Frage, wann zu viel wirklich zu viel ist

von Mascha Malburg  13.03.2025

Berlin

Persien als Projekt

Eigens zu Purim hat das Kunstatelier Omanut ein Wandbild für die Synagoge Pestalozzistraße angefertigt

von Christine Schmitt  13.03.2025

Wilmersdorf

Chabad Berlin lädt zu Purim-Feier ein

Freude sei die beste Antwort auf die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen, sagt Rabbiner Yehuda Teichtal

 12.03.2025

Purim

An Purim wird »We will dance again« wahr

Das Fest zeigt, dass der jüdische Lebenswille ungebrochen ist – trotz der Massaker vom 7. Oktober

von Ruben Gerczikow  12.03.2025

In eigener Sache

Zachor!

Warum es uns besonders wichtig ist, mit einer Sonderausgabe an Kfir, Ariel und Shiri Bibas zu erinnern

von Philipp Peyman Engel  11.03.2025 Aktualisiert