Wer hat bloß den Tipp gegeben? Bella Zchwiraschwili zuckt mit den Schultern und lacht. »Ich habe keine Ahnung, obwohl ich überall nachgefragt habe. Keiner verrät es mir«, sagt die 46-Jährige bei einem Treffen in einem Café.
Nun muss sie bis zum 26. August warten. Denn an dem Tag wird sie beim Bürgerfest vom Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier für ihr ehrenamtliches Engagement ausgezeichnet und endlich erfahren, wer sie empfohlen hat. »Was soll ich sagen? Ich freue mich wahnsinnig.«
Kurz vor ihrem Urlaub hatte sie die Post mit der Einladung zum Bürgerfest erreicht. An diesem Freitag wird der Bundespräsident ihr sowie rund 1500 weiteren Engagierten, die gesellschaftliche Herausforderungen angehen und sich für andere Menschen einsetzen, seinen Dank aussprechen. Sie alle werden seine geladenen Gäste im Schloss Bellevue sein, also auch Bella.
Bella hat viele Aktionen ehrenamtlich organisiert, um jüdisches Leben sichtbar zu machen.
Ihr Wecker holt sie morgens um 5.30 Uhr aus dem Schlaf. Dann beginnt nach einem starken Kaffee – »der ist wichtig«, wie sie betont – ihr Arbeitstag, der meistens rund 15 Stunden andauert.
Netzwerke Die frühere Büroleiterin des Gemeindevorsitzenden, jetzige Eventmanagerin und zukünftige Leiterin des Pears Jüdischen Campus von Rabbiner Yehuda Teichtal kennt (fast) jeden in der jüdischen Gemeinschaft. Kein Wunder – schließlich hat sie viele Aktionen ehrenamtlich organisiert, um jüdisches Leben sichtbar zu machen.
Beispielsweise die Chanukkafestivitäten am Brandenburger Tor, den Koschermarkt, Eröffnungsfeiern, jahrelang den Gedenktag zu Jom Haschoa oder eine Hochzeit für ukrainische Flüchtlinge. Bella ist es auch, die mit den nach Berlin geflohenen Menschen aufs Amt geht, um Aufenthaltstitel zu bekommen oder sich um die Vormundschaften für die Waisenkinder aus Odessa zu kümmern.
Flüchtlingshilfe Für etwa 400 Menschen hat Bella Zchwiraschwili das geschafft. Ebenso konnte sie Rabbiner Teichtal tatkräftig bei seinem Einsatz für die Ukrainer unter die Arme greifen und arbeitete mit daran, dass es möglich wurde, so viele Flüchtlinge in Berlin aufzunehmen und zu versorgen. Netzwerke aufbauen – das ist für sie ein Kinderspiel.
Und ihr Wissen und ihre Erfahrungen über professionelles Veranstaltungsmanagement, schließlich hat sie auch jahrelang in den Konferenzen und Seminaren der Bildungsabteilung beim Zentralrat der Juden in Deutschland organisiert. »Das Wichtigste ist, die Scheu, jemanden anzusprechen, abzulegen.« Es gebe kein Nein. Aber man müsse sich trauen.
Basis Was ihr aber ebenfalls sehr am Herzen liegt, ist ihre Kampagne »#WeRemember«, für welche sie vor zwei Jahren die Leitung innerhalb des Jüdischen Weltkongresses (WJC) in Deutschland übernommen hat. »Die Schoa darf nicht in Vergessenheit geraten, sie soll in den Köpfen der Menschen präsent bleiben, damit einem erneuten Völkermord keine Basis durch allgemeines Schweigen geboten wird.«
Auch der Deutsche Bundestag beteiligte sich in diesem Jahr am internationalen Holocaust-Gedenktag an dieser Kampagne. Und was Bella besonders freut, ist, dass viele Unternehmen ebenfalls mit an Bord sind und die unterschiedlichsten Menschen ein Schild hochhalten, auf dem »#WeRemember« steht.
Erst kürzlich fragte die Berliner Stadtreinigung an, ob sie auch dabei sein könne und ein Zeitzeugengespräch für die neuen Auszubildenden möglich wäre. »Das finde ich natürlich super.« Mittlerweile hat Bella auch zu spüren bekommen, dass sie eine wichtige Anlaufstelle für offizielle Stellen ist. Wenn es darum geht, Zeitzeugen zu vermitteln oder Informationen zu bekommen – bitte schön.
Respekt Aber auch die menschlichen Kontakte sind ihr wichtig, sie ist neugierig und möchte von jedem möglichst viel erfahren. Dabei ist sie immer freundlich und offen. »Ich lege Wert auf einen respektvollen Umgang.« Gerne betreut sie auch Kinder von Freunden. »Jeden Tag eine Mizwa muss schon sein«, sagt sie, auch wenn sie sich als nicht besonders religiös, sondern traditionell bezeichnen würde.
Ihre Begeisterung für Organisation und Schreibtischarbeit fing eigentlich schon früh an. Bereits ihr Kinderzimmer hatte sie als Büro eingerichtet. Als Dreijährige war sie mit ihrer Familie aus Israel nach Berlin gekommen. Ihr Vater stammt ursprünglich aus Georgien, ihre Mutter aus der Ukraine, ihr Bruder Schlomi ist in Berlin geboren. Als Kind habe sie keine Machane ausgelassen. »Ich bin mit Freunden hingefahren und fuhr mit noch mehr Freunden zurück.« Nach der Schule absolvierte sie eine Ausbildung als Bürokauffrau in der Gemeinde.
Leidenschaft Dann kam der Test, ob sie »aufsteigen« könnte. Für den Regisseur Steven Spielberg sollte ein Besuch in der Gedenkstätte Sachsenhausen organisiert werden. Damals war der Historiker und Rabbiner Andreas Nachama Vorsitzender der Gemeinde. Für Bella alles kein Problem, weshalb sie zu seiner Büroleiterin befördert wurde.
15 Jahre saß sie da am Schreibtisch. In der ganzen Zeit war sie gerade mal zwei Wochen krank. Andreas Nachama, Alexander Brenner, Albrecht Meyer, Gideon Joffe – Bella hatte sie alle täglich gesehen. Aber dann wollte sie sich beruflich verändern, einer anderen Leidenschaft nachgehen und eröffnete ein Büro für Eventmangement. Doch demnächst lockt eine neue Herausforderung: Sie wird die Leitung des Pears Jüdischen Campus übernehmen.
Sie hatte täglich Kontakt mit allen Berliner Gemeindevorsitzenden.
Vor ein paar Stunden war sie noch vor Ort in der Münsterschen Straße, um bei der Baustelle nach dem Stand zu schauen. »Auf den Moment, wenn alles losgeht, freue ich mich natürlich.« Im Laufe des nächsten Jahres soll der Campus eröffnet werden. Da es ein offenes Haus werden soll, das auf den drei Säulen Kultur, Bildung und Sport basieren wird, möchte sie ein Expertengremium einrichten. »80 Prozent der Mitglieder sollen nicht jüdisch sein.«
Zionismus Sie hat schon einige Interessenten von der Universität der Künste, Sportvereinen und aus der Politik gefunden. »Zusammen werden wir die Projekte entwickeln.« »Ich bin eine kleine Zionistin«, sagt sie. Alles, was mit Israel zu tun hat, liebt sie. Aber wenn sie verreist war, ganz gleich wo, sei sie immer wieder glücklich, in Berlin zurück zu sein.
Das Gespräch ist zu Ende, Bellas Tag noch lange nicht. Sie steht auf und sagt zum Abschied: »Ich habe noch etwas Zeit und rufe noch einmal bei meinem Bruder im Hotel an, in dem die Flüchtlinge untergebracht sind, vielleicht brauchen die noch Hilfe« – und macht sich prompt auf den Weg.