Von Lampenfieber ist nichts zu spüren. In Köln und anderen nordrhein-westfälischen Jugendzentren werden Pirouetten gedreht, Tanzschritte einstudiert, mit dem Singen der Tonleiter die Stimmbänder geschmeidig gemacht und die Siegeschancen diskutiert. Noch eine gute Woche bis die Jugendlichen der Gemeinden gen Süden zur Jewrovision 2017 aufbrechen.
Harte Beats sind im Keller der Kölner Synagogen-Gemeinde zu hören. Knapp 20 Jungen und Mädchen haben sich zur Probe getroffen, um für ihren Beitrag bei der Jewrovision am 18. Februar in Karlsruhe zu üben. »Noch einmal!«, ruft die Madricha. Mia lässt wie die anderen die Hüften wieder kreisen. Zwei Schritte rechts, zwei links, Drehung. »Tanzen ist mein Hobby«, erzählt die Zehnjährige eifrig.
Leonard hat den Rhythmus ebenfalls drauf. Sein Hüftschwung wird von Wellenbewegungen der Arme begleitet, Drehung rechts, Drehung links. Im vorigen Jahr stand der 14-Jährige schon einmal auf der Jewrovision-Bühne. In diesem Jahr möchte Leonard aufs Siegertreppchen.
Erfolge Die Choreografie des Kölner Beitrags hat eine Jachad-Madricha entwickelt, erzählt Vitali Sumov. Der 29-Jährige weiß, wie Jewrovision geht. 2009 gehörte er zu denen, die sich in Düsseldorf gegen zehn Teilnehmergruppen durchsetzten. Und Vitali stand auf der Bühne, als ein Jahr später die Kölner vor heimischem Publikum den zweiten Platz eroberten. Ein Omen?
Im Nebenraum wird derweil am Sound gefeilt. »Wir sind bunt, unterschiedlich und jüdisch. Das wollen wir rüberbringen«, sagt Vitali. Arianna (14), Diana (15), Sarah (15), Daniel (13) und Naomi (13) grooven sich ein. Die Musik kommt noch aus dem Smartphone, auch für die Textsicherheit hilft ein Blick auf den Bildschirm, Einsätze müssen abgestimmt werden.
Hemmungen, sich tänzerisch und gesanglich darzustellen? Fehlanzeige im Düsseldorfer Jugendzentrum Kadima. Ein Patzer bringt keinen der Kadima-Jugendlichen zwischen elf und 17 Jahren aus der Ruhe. »Alle wollen auf die Bühne, zeigen, was wir drauf haben«, sagt Raissa Manachirowa. »Lampenfieber hat keiner – das kommt erst kurz vor dem Auftritt«, weiß die 20 Jahre alte Jugendzentrumsleiterin.
Seit November treffen sich die Jugendlichen, die Mitte Februar mit Tanz und Gesang aufs Treppchen springen wollen. Jeder Teilnehmer musste beim Casting einen Tanz präsentieren, und wer ans Mikrofon wollte, musste vorsingen. Für die Choreografie holten sich die Düsseldorfer professionelle Unterstützung. Ein Tanzlehrer hilft bei der rhythmischen Abstimmung. Daniela ist für den gesanglichen Teil der Vorstellung verantwortlich. Sie hat schon dreimal die Gemeinde in der NRW-Landeshauptstadt bei der Jewrovision repräsentiert.
Motivation »Wir sind hoch motiviert«, erzählt Raissa. Zweimal in der Woche treffen sich die Tänzerinnen und Tänzer, um Körperdrehungen und Schrittfolgen einzustudieren. »Noch einmal, ganz von vorne«, das hört die Tanztruppe genauso wie die Gesangscombo, die die Stimmlage nach der zweiten Strophe noch einmal aufnehmen muss. »Aber trotzdem ist alles sehr chillig«, versichert Raissa Manachirowa.
Auch die Proben bei den Düsseldorfern sollen schon das Positive des Lebens in den Mittelpunkt stellen. »Wir wollen Spaß haben« – und natürlich siegen. Die Konkurrenz ist stark, »wenn wir nicht gewinnen sollten, dann wollen wir wenigstens unter die Top Fünf kommen«, wünscht sich Madricha Raissa.
Gelsenkirchen übt derweil den Ernstfall. Zum Tag der offenen Tür in der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen präsentierten die Chesed-Jugendlichen der Ruhrgebietsgemeinschaft eine Generalprobe ihres Jewrovision-Beitrags. Gelsenkirchens Gemeindevorsitzende Judith Neuwald-Tasbach ist begeistert. »Tolle Präsentation, fantastische Choreografie«, bricht es aus ihr heraus.
Anstrengung »Die Proben waren lustig«, sagt Steven etwas kurzatmig, »aber auch anstrengend. Ich freue mich schon sehr, unsere Tanzperformance auf der Jewro vorzuführen.« Dass die Bewegungsabläufe sitzen, verdankt die Truppe Leslie Ann Tomas Roldan. Die 19 Jahre alte Tanzlehrerin hat die Schrittfolgen entwickelt. Die Songs haben die Jugendlichen gemeinsam ausgesucht und dazu eigene Texte geschrieben. »Die wollten frischen Wind reinbringen und es selbst machen.«
Neuwald-Tasbach ist hörbar stolz auf ihre Jewro-Truppe. Vor dem Event wird es noch ein Trainingswochenende mit gemeinsamer Übernachtung geben. »Bei den Proben haben wir ein neues Gemeinschaftslevel erreicht. Wir sind noch mehr zusammengewachsen«, findet Valeria. Platz eins? »Das würde unsere kleine Gemeinde an unsere Kapazitätsgrenzen bringen«, sagt die Gemeindechefin. Aber toll wäre es. »Wir haben schon andere Sachen gestemmt.«
Ein musikalisches Medley soll den Sieg für die Jugendlichen des Jugendzentrums Agada in Recklinghausen bringen. Die miteinander verwobenen vier Lieder präsentieren »die unterschiedlichen Kulturen der Länder, aus denen wir kommen«, verrät Darya Bondarenko. »Wir sind eine kleine Gemeinde.« Seit November haben das Gesangsduo und die Tanztruppe getrennt trainiert. Stück für Stück haben sie sich die Bewegungsabläufe erarbeitet, die auf einer Idee von Madricha Darya basieren. Die Texte stammen aus der Feder der 15 Agada-Jugendlichen. »Wir haben alles selbst gemacht.«
Zusammenhalt Seit Mitte Januar wird dreimal die Woche trainiert. »Jede Probe ist jetzt eine Generalprobe«, betont die 25-jährige Chemiestudentin aus der Ruhrgebietsstadt, die selbst schon auf der Jewrovision-Bühne stand. »Seit 2007 sind wir dabei«, erzählt sie. »2010 waren wir Fünfte. Seitdem haben wir es geschafft, jedes Jahr eine Gruppe für die Teilnahme zu motivieren«, versichert Darya. Agada werde zeigen, was »wir Recklinghäuser können«, aber auch in der Vorbereitung den Zusammenhalt in der Gruppe stärken. »Das ist uns schon gelungen.«
Aber die Konkurrenz ist groß, dieses Mal haben sich so viele Jugendgruppen wie noch nie angemeldet. »Da machen wir uns keine Illusionen«, sagt Darya. Dennoch sei ein guter Platz »das Mindeste«.
Auch im Jugendzentrum Emuna Dortmund wird nichts dem Zufall überlassen. Der zweimalige Jewrovision-Sieger aus der westfälischen Ruhrgebietsstadt will wieder nach ganz oben. Es gilt schließlich, nach 15 Jahren an den ersten Sieg bei der ersten Jewrovision 2002 in Bad Sobernheim anzuknüpfen. Seitdem gelang den Emuna-Jugendlichen nur ein weiteres Mal die Spitzenposition: im Jahr 2006.
Professionalität Die Leiter des JuZes haben sich bereits im vergangenen Herbst frühzeitig mit einer Profichoreografin und einer Musiklehrerin zusammengesetzt. »Danach haben wir uns auf die tänzerische und musikalische Umsetzung in Zusammenarbeit mit der Gruppe verständigt«, erzählt Mark Weinschenker, der sich für die Dortmunder um die Organisation des Events kümmert. Auch für das Präsentationsvideo und die Kostümbeschaffung war der Jugendzentrumsleiter zuständig.
Jeder Schritt wurde entwickelt, geprobt, verändert, wiederholt. »Alles wurde detailliert aufeinander abgestimmt, jede Bewegung mit der nächsten verglichen. Das muss sitzen, jeder muss die Choreografie im Schlaf beherrschen«, berichtet Weinschenker von den Proben. »Und es stimmt alles perfekt überein, auch die gesangliche Präsentation«, versichert Weinschenker. Emuna will zeigen, dass gegenseitige Hilfe und das Gemeinschaftsgefühl wesentlich für die Jugendgruppe sind. Und auch, wenn dieses Mal nichts dem Zufall überlassen wurde, »wesentlich war und ist für uns der Spaß«. Und nach den anstrengenden Vorbereitungen träumen wohl viele vom Sieg. »Wir freuen uns auf die Jewrovision.«