Herr Khurgin, seit etwa zwei Jahren gibt es wieder ein Jugendzentrum in Chemnitz. Wie sind Sie im Alter von 16 Jahren auf die Idee gekommen, das JuZe zu reaktivieren?
Meine Familie kommt aus der ehemaligen Sowjetunion. Bei uns hat die Religion nicht immer so eine große Rolle gespielt, aber dennoch habe ich sehr viel vom Judentum mitbekommen. Schon als kleiner Junge feierten wir Feste in der Gemeinde und zu Hause. Früher gab es auch ein JuZe in Chemnitz, das ich manchmal besuchte. Das hieß »Kivunim«. Meine Eltern erzogen mich nach jüdischen Werten und Traditionen.
Was passierte dann?
Mit etwa zwölf Jahren geriet ich in einen Identifikationskonflikt. Ich bin in Deutschland geboren, spreche zu Hause Russisch, dann bin ich Ukrainer, aber irgendwie eben nicht. Meine Eltern kommen aus dem Land. Ich bin Jude, und es war schwer für mich, das alles richtig zu verstehen. Ich verlor das Interesse, was dazu führte, dass mich meine Eltern erst einmal nicht mehr zu Veranstaltungen anmeldeten. Das JuZe war 2012 wiedergegründet worden. Doch da viele Jugendliche zum Studieren und Arbeiten weggezogen waren, lief es nicht, und der Raum blieb verschlossen.
Wann kam der Wendepunkt?
2018 war ich zum ersten Mal mit meiner Familie in Israel, und kurze Zeit darauf feierte ein sehr guter Freund, Daniel, seine Barmizwa. Seit Langem besuchte ich wieder die Synagoge. Aus anderen Städten waren viele Jugendliche angereist, und mir fiel auf, dass aus Chemnitz größtenteils ältere Menschen kamen. Daniel und ich fanden das ziemlich schade, denn wir kannten sehr viele, die jüdisch sind oder einen jüdischen Background haben. Aber die meisten waren nicht da. Das war der Punkt, an dem wir beschlossen, etwas zu unternehmen. Der richtige Anstoß kam, als ich zum ersten Mal zum Schabbaton gefahren bin. Da realisierte ich, was ich in den letzten Jahren verpasst hatte und welche überwältigenden Möglichkeiten es gibt.
Wie sah die Situation für Jugendliche in Chemnitz vorher aus?
Es gab damals Religionsunterricht, jedoch kein JuZe. Der Vorstand der Jüdischen Gemeinde schlug uns vor, dass wir uns doch engagieren könnten.
Wie viele kamen zum ersten Termin 2019?
Keiner, denn in der Kommunikation war etwas schiefgelaufen. Beim nächsten Mal kam eine Person – und da haben wir verstanden, dass wir eine andere Strategie brauchen, um mehr Leute zu gewinnen. In Chemnitz gab es prinzipiell viele jüdische Kontingentflüchtlinge. Wir fingen an, sie direkt anzusprechen, ob sie Lust hätten, in die Gemeinde zum JuZe zu kommen. Wenn man als Außenstehender die Gemeinde sieht, erscheint sie aufgrund des Altersdurchschnitts erst einmal nicht attraktiv für Jugendliche.
Ihr Plan ging auf: Es kamen immer mehr.
Ja, denn es gab auch Jugendliche, die auf Machanot gefahren waren und nun Lust auf das JuZe hatten. Teilweise kannten wir sie vom Sehen her, und es waren viele Bekannte darunter. Auch Freunde, mit denen wir zusammen beim Religionsunterricht waren. Langsam sprach es sich herum, und die Leute kamen von selbst.
Wer unterstützte Sie?
Allen voran die Gemeindevorsitzende Ruth Röcher, die selbst Religionslehrerin ist und der die Jugendarbeit sehr am Herzen liegt. Sie war damals als Religionslehrerin für alle drei sächsischen Gemeinde im Einsatz.
Nun gibt es ein Team mit einer neuen Leitung und Madrichim?
Richtig. Wir hatten es lange zu zweit geleitet. Im Oktober 2021 ging Daniel nach Israel, sodass ich es eine Zeit lang alleine machte, bis Ben seine Stelle einnahm. Für das Jahr 2022 wurde ein Projekt vom Kommunalen Sozialverband Sachsen bewilligt, das eine studierte Leitungsposition mit einschloss. Diese Stelle wurde ausgeschrieben, und schließlich erhielt Esther, die sich schon seit ihrer Kindheit für das JuZe engagierte, die Zusage. Bis dahin hatten Ben und ich fast alles gemacht – die Leute angeschrieben, alles organisiert und für gute Laune gesorgt. Auf Dauer wurde das jedoch zu viel, zumal ich parallel im Abitur steckte.
War es schwer, die Leitung abzugeben?
Ja und nein. Ich habe Kraft und Liebe hineingesteckt und es gerne gemacht. Natürlich habe ich dadurch auch sehr viel gelernt. Nun ist es aber mit einer vollen Stelle besser organisiert. Worauf ich unter anderem stolz bin, ist, dass wir das erste JuZe waren, das privat einen Schabbaton im Am-Echad-Zentrum in Berlin organisiert und durchgeführt hat.
Wie viele Teilnehmer kommen ins JuZe?
Es gibt einen festen Pool von etwa 15 Leuten, aber zu besonderen Veranstaltungen kommen mehr. Seit einigen Monaten expandieren wir auch in der Kinderarbeit, was unter Marias und Michaels Arbeit sehr gut läuft. Teilweise haben wir auch gemeinsame Veranstaltungen, so waren wir beispielsweise zusammen im Freizeitpark mit 51 Teilnehmern inklusive Eltern. Für Sachsen ist das sportlich. In Anbetracht dieser Entwicklung kann ich mit voller Überzeugung sagen, dass sich jede Minute mehr als gelohnt hat.
Mit dem Studierenden sprach Christine Schmitt.