Engagement

Jazz im Keller

Gibt seit 15 Jahren den Takt vor: Stas Varshavsky am Keyboard Foto: Stephan Pramme

Am liebsten würde sich Stas Varshavsky jeden Tag auf den Weg machen. Nur fünf Minuten braucht er zu Fuß von seiner Wohnung in Schöneberg bis zur Musikschule im ehemaligen Studentenkeller in der Joachimstaler Straße, die er selbst gegründet hat und leitet. »Wenn es keinen Schabbat geben würde, dann würde er täglich dort sein«, sagt sein Sohn Maxim schmunzelnd über ihn. Denn die Musikschule, die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen und Kollegen und schließlich die Musik – das alles sei seine Welt.

»Meine Sprache ist die Musik«, betont Stas Varshavsky. Als er vor 15 Jahren die Ukraine verließ, um nach Berlin zu kommen, brauchte er nur wenige Monate, um das zu tun, was er am besten kann: Kinder für Musik zu begeistern. Er habe sich damals schnell eingelebt und keine Probleme mit dem Start in ein neues Leben gehabt. Geholfen hätte ihm, dass er über drei Ausbildungen verfüge.

So sei er Querflötist, Dirigent und Musiklehrer. Er könne nicht anders, sein ganzes Leben sei mit Musik ausgefüllt, und das schon seit seiner Kindheit, denn sein Vater ist Trompeter. Mit seiner Kids Groove Band startete er vor 14 Jahren im Jugendzentrum Olam, mittlerweile sei die vierte Generation an den Tasten, den Saiten und am Mikro.

Pop Sonntagmorgen im Studentenkeller. Ein Mädchen singt und bewegt sich zur Musik, ein Junge bläst die Trompete, mehrere Jungs und Mädchen stehen an den Keyboards und am Bass. Ein weiteres Mädchen wirbelt am Schlagzeug. Zusammen lassen sie Popmusik und israelische Songs erklingen, während die Eltern es sich auf Sofas gemütlich machen, zuhören und Beifall spenden. Stas Varshavsky beobachtet seine Schüler und hört ebenfalls zu, mitunter geht er von Kind zu Kind und sagt ihm, was es noch verbessern könne.

Der nächste Song wird angestimmt, den nutzt Stas Varshavsky, um sich selbst ans Schlagzeug zu setzen und einen raschen Rhythmus vorzugeben. Sonntags ist immer Tag, an dem die Bands angeleitet werden. Während der Woche haben die Kinder Einzelunterrichtet und werden in diesen Stunden auf die Songs vorbereitet. Stas Varshavsky selbst unterrichtet Flöte, Saxofon, Bassgitarre, Klavier und Schlagzeug, seine Kollegen darüber hinaus Sologitarre, Trompete und Gesang.

»Ich denke, dass alle Kinder über musikalisches Talent verfügen«, sagt der 54-Jährige. Die Lehrer müssen eine gute Beziehung zu ihnen aufbauen, sodass sie von ihnen lernen können. Schwierig sei es eher, sie zu motivieren, wenn sie größer werden. Deshalb müssen alle seine Schüler, unabhängig davon, wie lange sie spielen und was sie können, auf die Bühne und zeigen, was sie drauf haben. »Dort ist eine gute Atmosphäre, sie bekommen viel Applaus – und das steigert die Lust am Üben«, meint er. Gespielt wird Jazz, Pop, Soul und Rock. Etliche Stücke hat er selbst arrangiert.

Plakate und Urkunden hängen an den Wänden. »Dank der Jüdischen Gemeinde zu Berlin für den erstklassigen und schillernden Auftritt der Band Kids Groove unter Leitung von Stas Varshavsky« steht auf einem. Mit dem Integrationspreis der Berliner Gemeinde wurde er 2010 ausgezeichnet. »Als Dank und Anerkennung für interessante und erfolgreiche langjährige künstlerisch-schöpferische Tätigkeit mit Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund«, heißt es auf der Urkunde.

Jury Der Schlussakkord erklingt im Studentenkeller. Die Kinder sind fertig, einige Jugendliche sind bereits da und warten, dass sie nun an die Instrumente können. »Ich finde es toll, dass ich mit einer Band singen kann«, sagt die 17-jährige Michelle. Sie hat einen Song von Amy Winehouse mit ihrer Gesangslehrerin vorbereitet und ist erst seit einem Jahr dabei. »Vier Kinder sind für die Castingshow ›The Voice Kids‹ ausgewählt worden«, sagt Stas Varshavsky stolz. Ein Juryteam sei bereits dagewesen, denn die Sendung wird im Sommer produziert und soll wahrscheinlich auf Sat.1 ausgestrahlt werden. Etwa 55 Schüler sind bei der Musikschule angemeldet.

Stas Varshavsky ist in Dnepropetrowsk in der Ukraine aufgewachsen. Als er elf Jahre alt war, brachte sein Vater ihm eine Querflöte mit. Vier Jahre später ging er bereits ins Militärorchester, wo er einige Jahre mitspielte. Anschließend studierte er an der Musikhochschule in Smolensk in Russland. Später wurde er Mitglied einer Band, mit der er überwiegend Tanzmusik und russische Lieder spielte und mit deren Auftritten er den Lebensunterhalt für sich, seine Frau und seinen Sohn verdienen konnte.

»Clubs gab es ja damals keine in Russland, und Jazz war nicht erlaubt, aber wir hörten heimlich verbotene Sender im Radio«, sagt Stas Varshavsky. Diese Musikrichtung zog und zieht ihn immer noch sehr an. Bis 1991 trat er mit einer Band auf, dann änderte sich durch die Perestroika Etliches. Er ging mit seiner Frau, einer Krankenpflegerin, und seinem Sohn in die Ukraine zurück und leitete an der Musikschule die Jazz-Abteilung.

Band Seine Eltern waren bereits in Deutschland, als er vor 15 Jahren beschloss, ebenfalls mit seiner Familie zu emigrieren. »Die sind fast alle Musiker geworden«, sagt Stas Varshavsky und zeigt auf ein 14 Jahre altes Plakat, das ein Foto mit allen Bandmitgliedern abbildet. Das war die erste Gruppe , die er in Berlin gegründet und ausgebildet hat. Mit dabei ist auch sein Sohn, der Saxofon lernte.

Vor Kurzem hatte er in einem Jazzorchester in Kiew ein Jahresengagement und besuchte auch seine Heimat und die alte Musikschule seines Vaters. »Viele fragten nach ihm und ich sollte Grüße ausrichten«, sagt Maxim. Stas Varshavsky ist kein einziges Mal mehr in die Ukraine gefahren. »Was soll ich da? Mein Zuhause ist hier in meiner Musikschule.« Zumindest eine Leidenschaft außerhalb der Musikschule hat er noch: Karten spielen. Aber wahrscheinlich hört er dabei Jazz.

KZ-Befreiungen

Schüler schreibt über einzige Überlebende einer jüdischen Familie

Der 18-jährige Luke Schaaf schreibt ein Buch über das Schicksal einer Jüdin aus seiner Heimatregion unter dem NS-Terrorregime. Der Schüler will zeigen, »was Hass und Hetze anrichten können«

von Stefanie Walter  29.04.2025

Schweiz

Junger Mann wegen geplanten Anschlags auf Synagoge Halle verhaftet

Die Anschlagspläne soll er laut Staatsanwaltschaft zwischen Juli 2024 und Februar 2025 wiederholt in einer Telegram-Chatgruppe angekündigt haben

 29.04.2025

Berlin

Bebelplatz wird wieder zum »Platz der Hamas-Geiseln«

Das Gedenkprojekt »Platz der Hamas-Geiseln« soll laut DIG die Erinnerung an die 40 in Geiselhaft getöteten Israelis und an die 59 noch verschleppten Geiseln wachhalten

 28.04.2025

Berlin

Jüdische Gemeinde erinnert an Warschauer Ghetto-Aufstand

Zum Abschluss der Namenslesung vor dem Jüdischen Gemeindehaus in der Berliner Fasanenstraße ist für den Abend ein Gedenken mit Totengebet und Kranzniederlegung geplant

 28.04.2025

Düsseldorf

Erinnerungen auf der Theaterbühne

»Blindekuh mit dem Tod« am Schauspielhaus stellt auch das Schicksal des Zeitzeugen Herbert Rubinstein vor

von Annette Kanis  27.04.2025

Hanau

Jüdische Gemeinde feiert Jubiläum

»Im Grunde genommen ist es mit das Größte und Schönste, was eine Gemeinde machen kann: eine neue Torarolle nach Hause zu bringen«, sagt Gemeinde-Geschäftsführer Oliver Dainow

 25.04.2025

Begegnung

Raum für das Unvergessene

Jede Woche treffen sich Schoa-Überlebende im Münchner »Café Zelig«, um Gemeinschaft zu finden im Schatten der Geschichte. Ein Ortsbesuch

von Katrin Diehl  23.04.2025

Interview

»Das Gedenken für Jugendliche greifbar machen«

Kurator Pascal Johanssen zur neuen Ausstellung im ehemaligen Jüdischen Waisenhaus in Pankow

von Gerhard Haase-Hindenberg  21.04.2025

Porträt der Woche

Austausch mit Gleichen

Maria Schubert ist Gemeindesekretärin in Magdeburg und tanzt gern

von Alicia Rust  18.04.2025