Fußball

Jagdszenen in Neukölln

Ort des Geschehens: Stadion Britz-Süd in Neukölln Foto: picture alliance / ZB/euroluftbild.de

Es ist fast ein Waldstadion. Idyllischer Baumbestand rundherum, alle Spielstätten gut gepflegt und mit Flutlicht ausgestattet. So treten am Donnerstag vergangener Woche Jugendliche von TuS Makkabi gegen ihre Altersgenossen von Schwarz-Weiß Neukölln im Ortsteil Britz-Süd in der Kreisklasse A der B-Junioren zum Punktspiel gegeneinander an.

Vier Jugendliche und ein Erwachsener sind als Schlachtenbummler für Makkabi dabei. Nicht weit entfernt hat sich mehr als ein Dutzend jugendlicher Fans der Gegner postiert. Jewgeni (Name von der Redaktion geändert), 13, spielt für Makkabi und ist Feuer und Flamme für die Mannschaft. Da ihm noch die Spielberechtigung fehlt, darf er nicht auf den Platz. Der Großvater eines Freundes, der sie brachte, wartet im Auto. Anpfiff.

Schnell geht es zur Sache. »Manyak«, zischen Neuköllner Spieler immer wieder im Gefecht, ein arabisches Schimpfwort. »Ein Spieler hat einem von uns ins Gesicht gespuckt«, sagt Jewgeni, »und seine Familie beleidigt, das Wort mit dem ›H‹ am Anfang. Die ganze Zeit haben sie uns beleidigt.« Auch die Situation am Spielfeld­rand kippt ins Bedrohliche. »Ich wollte filmen, habe mich aber nicht getraut, das Handy herauszuholen. Ich hatte Angst.«

»Haut ab, sofort. Es wird gefährlich!«

Der Schiedsrichter greift nicht ein. Am Ende steht es 7:4 für den Gastgeber. Abpfiff. Die gegnerischen Spieler und ihre Unterstützer jubeln. Und plötzlich heißt es lautstark: »›Scheiß Juden‹ und ›Free Palestine‹, von den Spielern wie den Fans«, sagt Jewgeni. Auf dem Weg zur Umkleide ruft ihm der Kapitän seiner Mannschaft zu: »Haut ab, sofort. Es wird gefährlich!« Jewgeni und sein Freund nehmen die Beine in die Hand und eilen zum wartenden Großvater, der fährt los.

Auf dem Weg nach Hause sieht Jewgeni einen Post auf dem Gruppen-Chat seiner Mannschaft: Als die Jugendlichen die Kabine verlassen wollten, sei es zu einer regelrechten Jagdszene gekommen. Wieder hätten Jungen und zwei Mädchen »Scheiß Juden!« und den Slogan »Free Palestine« gerufen. »Zehn bis 15 arabische Jugendliche« seien auf sie zugerannt, »mit Knüppeln und Messern. Wir rannten schnell zu unseren Autos und fuhren weg. Die hätten uns fast bekommen«, heißt es in dem Post.

Gerade nochmal davongekommen. Zu Hause erzählt Jewgeni seinem Vater von seinen Erlebnissen. Der ist Militärrabbiner und außer sich. »Mein Sohn war völlig geschockt. Wir wollten ihn auch gar nicht nach Neukölln gehen lassen, aber er versicherte uns, die Polizei sei dabei. Sie war aber nicht da, und sie kam auch nicht.« Der Rabbiner postete den Vorfall auf der Plattform »X«, vormals Twitter.

Am Abend desselben Tages verfolgt Jewgeni in den Nachrichten, wie in Amsterdam israelische Fans des Klubs Maccabi Tel Aviv nach dem Europa-League-Spiel gegen Ajax Amsterdam durch die Straßen der Stadt gejagt werden. 57 Menschen wurden vorläufig festgenommen. Im Internet soll in verschiedenen Foren dazu aufgerufen worden sein, »Juden zu jagen«. Die Hatz löste international Entsetzen aus. Israels Staatspräsident Isaac Herzog sprach von einem »antisemitischen Pogrom«. Die Regierung schickte zwei Flugzeuge, um die Maccabi-Fans sicher auszufliegen.

Zehn bis 15 arabische Jugendliche rennen auf sie zu, mit Messern und Knüppeln.

In Berlin ermittelt inzwischen der Staatsschutz wegen »Landfriedensbruch, Volksverhetzung und Beleidigung im Rahmen eines Junioren-Fußballspiels«. Innensenatorin Iris Spranger (SPD) verurteilte den Angriff und sagte: »Diese Taten zeigen, dass antisemitische Gewalt und Diskriminierung auch in unserer Stadt nicht verschwunden sind.« Zudem forderte sie harte Konsequenzen.

Antisemitische Angriffe und Beschimpfungen sind nicht neu

Antisemitische Angriffe und Beschimpfungen gegen Sportler des TuS Makkabi Berlin sind nicht neu. Ende August 2015 war die dritte Herrenmannschaft des jüdischen Vereins von aggressiven Spielern des BFC Meteor 06 während eines Matches körperlich angegriffen und antisemitisch beleidigt worden. Im Oktober darauf war das Team massiven Bedrohungen durch die Spieler des 1. FC Neukölln ausgesetzt.

Im November 2022 verurteilte das Sportgericht des Berliner Fußball-Verbands zwei A-Jugendspieler des Charlottenburger Fußballvereins CFC Hertha 06 zu einer zweijährigen Sperre. Bei einem Bezirksligaspiel am 13. November gegen TuS Makkabi Berlin hatten die beiden Spieler antisemitische Hassparolen losgelassen, Makkabi-Spieler bedroht und den Schiedsrichter beleidigt. Einer hatte den Hitlergruß gezeigt. Der Verein wurde mit einer Geldstrafe in Höhe von 1500 Euro und drei Punktabzügen sanktioniert.

Die Vorfälle häufen sich: Nur wenige Tage vor dem Angriff auf die Jugendlichen von Makkabi in Neukölln war Anfang November ein 50 Jahre alter Fan des Klubs TuS Makkabi von einem Unbekannten in einem Café in Kreuzberg verprügelt und verletzt worden. Das Motiv der Attacke: Judenhass. Das Opfer hatte einen Schal mit dem Makkabi-Logo getragen und war von dem Angreifer zuvor darauf angesprochen und antisemitisch beleidigt worden. Auch hier ermittelt der Staatsschutz.

In Berlin kündigte der Verein Schwarz-Weiß Neukölln an, Spieler sofort ausschließen zu wollen, sollte sich herausstellen, dass sie antisemitische Äußerungen tätigten. »Es ist lobenswert«, sagt Makkabi-Deutschland-Präsident Alon Meyer, »dass der Verein klare Kante zeigen und drastische Maßnahmen ergreifen will. Es ist aus meiner Sicht aber nicht die Lösung, einen oder mehrere Spieler vom Verein auszuschließen. Dann spielen sie bei nächster Gelegenheit bei einem anderen Klub, ohne dass ein Problembewusstsein entwickelt wurde.«

Bildungsangebote und harte Sanktionen

Vielmehr müsse man das Vereinsumfeld stärken und versuchen, die Verantwortlichen »mit unseren Bildungsangeboten zu erreichen«. Sollte das nicht gelingen, müsse man bei antisemitischen Vorfällen durchaus harte Sanktionen verhängen. »Das heißt, Spieler und Zuschauer vom Spiel ausschließen.« Im Falle eines schwebenden Bleiberechts müsse es auch hier harte Konsequenzen geben.

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Am Sonntag war Jewgeni wieder mit seiner Mannschaft zu einem Spiel unterwegs. Diesmal unter Polizeischutz. »Wir hatten eine Besprechung danach. Dabei wurde gesagt, dass wir jetzt immer Polizeischutz haben werden.« Und seine Mannschaftskameraden berichteten: »Es waren diese zehn bis 15 Fans, die uns mit Knüppeln und Messern verfolgt und gejagt haben. Einer schwang auch eine Metallkette über dem Kopf.«

Alon Meyer steckt jetzt in einem Zwiespalt. »Ob sie in Zukunft permanent unter Polizeischutz spielen sollen, ist noch unklar. Unsere jugendlichen Spieler wollen einfach nur Fußball spielen, und das verstehe ich. Aber auch die Eltern machen sich Gedanken.« Dem Verein sind die Hände gebunden. »Dauerhafter Polizeischutz darf nicht unser Ziel sein. Aber wenn die Gefährdungslage weiter so eingeschätzt wird wie jetzt, wird es diesen Polizeischutz geben, das sind wir unseren Spielern schuldig.«

Jewgeni lässt sich nicht abschrecken. Er will die Mannschaft verstärken, spielen. Dafür trainiert er, jeden Tag. Er gibt alles.

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