Der Anfang ist bescheiden, aber gemacht: In diesem Jahr haben erstmals zwei Schüler der Jüdischen Oberschule Berlin (JOS) Hebräisch als Prüfungsfach im Abitur gehabt. Eine Schülerin machte die schriftliche Prüfung als drittes und ein Schüler die mündliche als viertes Prüfungsfach. Hebräisch feiert damit Premiere als ordentliches Abiturfach – ein Novum in der Bundesrepublik und kaum zu wiederholen.
Denn Gymnasiasten der Frankfurter I. E. Lichtigfeld-Schule müssen nach dem Ende der neunten Klasse auf ein »normales« Gymnasium oder eine herkömmliche Gesamtschule wechseln. »In Hessen könnte Iwrit allenfalls als dritte Fremdsprache unterrichtet werden, das heißt, ab der 8. Klasse oder der Orientierungsklasse in der Oberstufe«, erklärt Alexa Brum, Schulleiterin der Lichtigfeld-Schule. Allerdings »gibt es noch kein staatliches Gymnasium, das Iwrit in der Oberstufe weiterführen kann. Es gibt auch noch kein vom Hessischen Kultusministerium genehmigtes Iwrit-Curriculum.«
Notendurchschnitt So gehört Hebräisch-Unterricht, sobald die Schüler von einer der jüdischen Schulen abgehen, nicht mehr zum Schulalltag, sondern wird Privatvergnügen. Und wird deshalb oft ad acta gelegt. Allen voran Schüler, die die verkürzte Gymnasialzeit (G 8) durchstehen müssen, haben neben dem offiziellen Schulpensum meist nicht mehr ausreichend Zeit und Lust, um sich zusätzliche Lernstoffe aufzuladen.
Und: »Mir sind im Französisch- oder im Englischunterricht oft die hebräischen Vokabeln eingefallen – aber nicht die, nach denen ich mir eigentlich mein Gehirn zermartert habe«, sagt eine Frankfurter Zehntklässlerin. »Deshalb habe ich es dann mit Hebräisch sein lassen. Schließlich haben diese Noten für mein Abizeugnis keine Rolle gespielt.«
Allerdings hatte die junge Frau schon so viel gelernt, dass sie den Gottesdiensten gut folgen kann und auch bei den Israel-Urlauben mit ihrer Familie meist nicht aufs Englische zurückgreifen muss. Denn in den Schulen beginnen schon die Jüngsten mit dem Iwrit-Unterricht.
Während die Berliner Schüler noch ein paar Tage ihre Freizeit genießen dürfen, hat in Hessen am vergangenen Montag das Schuljahr wieder begonnen. Respektive am Mittwoch – denn wegen Tischa be Aw wurde die Einschulungsfeier an der Lichtigfeld-Schule erstmals vom hessenweiten traditionellen Dienstag auf den Mittwoch verschoben. Wenn die – meist fünfjährigen – Eingangsstufenkinder ihren ersten Stundenplan bekommen, finden sie darauf drei Wochenstunden Iwrit, das mit dem Programm Chalav u d’wasch gelehrt wird.
»Wir beginnen spielerisch«, sagt Iwrit-Lehrerin Riki Zaltzman. Wenn sie mit den Kindern kleine Texte übt, zeigt sie ihnen dabei auch die hebräischen Buchstaben – so entsteht eine erste Verbindung zwischen Laut und Schriftbild. Vom zweiten Schuljahr an wird mit dem in Kanada entwickelten Programm Tal Am unterrichtet. Die Schüler lernen dann auch zu schreiben. Die passenden Computerspiele mit dem Löwen gibt’s auch für zu Hause. Sie entbinden die Eltern, die selbst kein Iwrit können, von dem schlechten Gewissen, dass sie ihren Kindern in diesem Unterrichtsfach nicht beistehen können.
muttersprachler Wie die Kinder sich in der Sprache zurechtfinden, hängt aber letztlich nicht nur vom Elternhaus ab. Auch wenn sich Israel-Urlaube oder -Aufenthalte natürlich positiv auf das Erlernen der Fremdsprache auswirken. Letztlich sind die Erfahrungen aber so verschieden wie die Persönlichkeiten der Kinder. Muttersprachler müssen nicht automatisch die Klassenbesten sein – so wie ja auch Deutsche im Unterrichtsfach »Deutsch« nicht immer eine Eins haben.
Es gibt christliche Kinder, die den Unterricht so lieben, dass sie in den höheren Klassen in den Muttersprachler-Unterricht wechseln können. Und es gibt jüdische Kinder, die Iwrit schon in der ersten Klasse abwählen würden – wenn es diese Möglichkeit denn überhaupt gäbe. Ein Trost: »Welche Noten versetzungsrelevant sind, steht im Schulgesetz. Iwrit gehört nicht dazu«, sagt Brum.
Trotz dieser für den Leistungswillen bei einigen Schülern sicher relevanten Einschränkung bleibt der Iwrit-Unterricht für Brum »sehr wichtig und unverzichtbar«. Deshalb hofft sie darauf, dass »die Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg in Verbindung mit der Universität einen Studiengang ›Iwrit als Frühfremdsprache‹ entwickelt und als Studienfach für das Lehramt anbietet«. Sie würde das sehr begrüßen.
»Das wäre ein Segen, denn die Programme, die in Deutschland genutzt werden, sind nicht auf das deutsche Schulsystem zugeschnitten und die Lehrkräfte nicht für diesen Unterricht ausgebildet.« Dies schließe allerdings nicht aus, dass es »besonders engagierte und kompetente und damit erfolgreiche Lehrkräfte« gäbe.
Wenn dies nicht auch in der Vergangenheit so gewesen wäre, würden die Schüler es jetzt nicht bis zum Hebräisch-Abi schaffen. Im Schuljahr 2011/2012 könnten es schon mehr als zwei Abi-Prüflinge sein, denn im nächsten Jahrgang werden 16 Schüler die Hebräischkurse der Oberstufe belegen. »Für mich und die Hebräischlehrer markiert diese Prüfung einen entscheidenden Meilenstein der Entwicklung der JOS, denn nach fast 17 Jahren sind wir auch mit dem Hebräischunterricht in der Berliner Schullandschaft angekommen«, wird Rina Otterbach, Fachleiterin Hebräisch an der JOS, auf der Webseite der Gemeinde zitiert.
Wie viel von dem, was sich die Einzelnen fürs Abi ins Gehirn getrimmt haben, einmal übrig sein wird, ist wie in allen Fächern in erster Linie eine Frage der Praxis. Sicherlich trägt ein Hebräisch-Abitur aber ein weiteres Stück dazu bei, den Exoten-Status des Judentums abzubauen.