Michael Rimmel ist ein ernsthafter junger Mann. Der Israeli arbeitet im deutschen Bundestag. Er ist wissenschaftlicher Assistent des Parlamentspräsidenten Norbert Lammert (CDU). Er hat Politik in Berlin und Haifa studiert. Er beschäftigt sich mit Friedens- und Konfliktforschung. Er war Ausbilder der Fallschirmspringer im israelischen Militär.
Michael Rimmels kahler Kopf unterstreicht diese Ernsthaftigkeit. Er ist mittelgroß und kräftig. Zum Vortrag in der Jüdischen Gemeinde auf Einladung der Jüdischen Volkhochschule (JVHS) und der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) erscheint er noch in »Arbeitshose«, aber schon in Freizeitjacke – er hat wohl unterwegs den dunklen Blazer rasch mit einer Sportjoppe getauscht. Damit scheint er sich ein bisschen wohler zu fühlen.
ohne skizzen Strahlend ist sein Lächeln, gewinnend sein Lachen. Und dann wird dieses Gesicht plötzlich sehr jugendlich. Der Mann kann unterhalten. Ja begeistern. Bescheiden ist er, wie er so von sich und seinem Leben erzählt, völlig ohne Skizzengerüst. Und immer wieder dieses beinahe unbeschwerte, fröhliche Lachen.
Nicht alles in seiner Militärzeit sei »so glücklich« gewesen, sagt er, die ansonsten für ihn so selbstverständlich gewesen sei »wie für jede israelische Frau und jeden israelischen Mann«. Man ahnt, auch in seinem Leben ist nicht nur eitel Sonnenschein. Aber das lässt er die Zuhörer nur selten spüren. Er möchte ein gutes Bild abgeben. Von Israel, vom deutschen Bundestag, seinen beiden Welten. Seine Augen glänzen, wenn er von einer dritten Welt spricht, von seinen Großeltern in Polen und jenen aus Leipzig erzählt.
Der Großvater betrieb einen Buchladen in Krakau. »Bücher waren sein Leben.« Bis die Deutschen kamen. Seinen Sohn versteckte er in einem kirchlichen Internat. Erst nach dem Krieg fanden die beiden einander wieder, die Großmutter war schon gestorben. »Aber nicht im KZ«, sagt Rimmel. Erst 1947 emigrierte die Familie nach Israel.
leidenschaft Seine Mutter stammt aus Leipzig. Auch sie sammelte leidenschaftlich Bücher. Die deutschen Großeltern und Geschwister emigrierten 1934 »noch rechtzeitig« nach Israel. »Es gibt einen Witz: Die Deutschen bleiben dort, wo sie ankommen«, erzählt Rimmel. Für seine Vorfahren war es die Hafenstadt Haifa, in der sich nicht nur eine große Gruppe deutscher Flüchtlinge, sondern auch der polnische Teil der Familie niedergelassen hatte. Der Krakauer Großvater betrieb dort wieder einen kleinen Buchladen. Darin lernten sich seine Eltern kennen.
Eigentlich ist Michael Rimmel waschechter Münchner. Dort ist er geboren. Erst nach der Trennung der Eltern kehrte die Mutter nach Haifa zurück – der Junge war zwei Jahre alt. Deutsch sprachen nur noch die Großeltern manchmal mit ihm. Er hat die Sprache erst später in Berlin erlernt.
reisen »Ich kann Haifa jedem nur empfehlen«, sagt der 32-Jährige und lacht. Nach Schule und Militärzeit ging er ein halbes Jahr nach San Francisco, ein halbes Jahr nach Südamerika. »Dort habe ich mich wieder gefunden«, sagt er – nicht mehr und nicht weniger. 2004 folgte eine Reise nach Berlin mit dem Rucksack. Er blieb. Studierte und kellnerte. Arbeitete bei der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Beendete das Studium aber in Haifa. »Dort ist das Wetter einfach besser.«
Die Professorin und Autorin Angelika Timm eröffnete ihm schließlich die Möglichkeit, nach Deutschland zurückzukehren. Er zögerte anfangs. »Ich wusste, wenn ich diese Tür aufmache, weiß ich nicht, wann ich sie wieder schließen kann.« Er nahm das ihm offerierte Interparlamentarische Stipendium des deutschen Bundestages an, das erst seit 2009 auch jungen Israelis offensteht – und landete im Büro von Norbert Lammert. Nach Ablauf der fünf Monate fragte ihn der Bundestagspräsident, ob er nicht bleiben wolle.
kulturen Im Rahmen dieser Arbeit hat er viel Grundlegendes über die beiden Kulturen erfahren. »Im Bundestag geht alles seinen geordneten Gang. In der Knesset nimmt man mal eine Abkürzung oder eine Abzweigung. Das mache ich auch gern« – obwohl ein deutscher Kollege neulich schon gescherzt habe, man könne ihn eigentlich auch Horst nennen, weil er seine Arbeit so akkurat verrichte.
Oft, sagt Michael Rimmel, frage man ihn nach seiner Identität. Das beantwortet er gern mit einer Begebenheit: Während eines israelischen Regierungsbesuches saß er eines Abends in einem Restaurant an Lammerts Seite Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Außenminister Avigdor Lieberman gegenüber. »So skeptisch wie die israelische Regierung hat mich noch nie jemand angeschaut. Was machte der Israeli da auf der anderen Seite?«
herausforderung Diese Frage habe ihn lange beschäftigt. »Es ist weder eine Mission noch eine Rolle«, sagt er. »Vielmehr eine Zusatzaufgabe, eine besondere Herausforderung. Ich versuche, in vielen Gesprächen zu erklären, was die Menschen über Israel nicht wissen.« Freunde, Kollegen, Bekannte. Natürlich auch Politikern. Aber das sei mehr eine Arbeit im Hintergrund als ein offizieller Lobbyismus.
»Eher im Hintergrund denn im Vordergrund« – so sieht er auch seine Zukunft. Eher in deutsch-israelischen Beziehungen denn in einer Botschaft. Ob in Israel oder in Berlin? Das steht noch in den Sternen. Aber Israel fehle ihm sehr, betont er. Vielleicht klappt es ja noch zu Sukkot mit einem Last-Minute-Ticket – »wenn es der Job zulässt. Sonst sehe ich mir mit meiner Freundin die Ausstellung im Jüdischen Museum an.« Sagt’s und lacht wieder ganz unbeschwert.