Porträt der Woche

In Papas Fußstapfen

»Ich denke oft darüber nach, was mein Vater heute zu vielem sagen würde«: Leonie Spiegel (43) aus Frankfurt Foto: Rafael Herlich

Ich bin berufstätig und Mutter – mir ist beides wichtig. Ich arbeite täglich bis zum frühen Nachmittag, danach ist die Familie dran. Das Wochenende ist eigentlich nur für die Familie da, aber je nachdem, welche Veranstaltung ich zu organisieren habe, kann es manchmal sein, dass ich dann doch arbeite.

Schön an meinem Beruf finde ich die Vielfalt. Ich erhalte Firmenanfragen für die Vermittlung von Künstlern, für die Organisation eines Events und Anfragen von Privatpersonen für hochwertige Veranstaltungen, speziell für Hochzeiten, Barmizwa-Feiern oder Geburtstage – deutschlandweit.

Gerade bei Privatveranstaltungen ist es einfach schön, den Kunden zu sehen, wie er es genießen kann. Das Lächeln auf den Gesichtern ist die Mühe wert. Das ist bei geschäftlichen Events vielleicht ein bisschen anders. Auch hier bekommt man natürlich Feedback. Es ist dann nur weniger emotional.

adrenalin Grundsätzlich hat mir das Organisieren früher schon viel Spaß gemacht. Absprachen, planen, recherchieren – ich nehme von hier und da und packe es zusammen. Und schließlich das Adrenalin. Klappt alles so, wie ich es mir gedacht habe, auch vor Ort? Wenn man monatelang an einer großen Sache gearbeitet hat, die tatsächlich in dem Moment 100-prozentig funktionieren muss – diese positive Spannung macht den Job für mich aus.

Organisieren und für Qualität zu sorgen, ist das eine. Daneben ist der menschliche Kontakt zu den Künstlern sehr wichtig, vor allem, wenn man einige wirklich kennt. Es ist einfach auch interessant zu sehen, wie sie sich mit den Jahren entwickeln – wie sie angefangen haben und vielleicht sehr viel bekannter werden.

Wen ich zum Beispiel wirklich habe aufsteigen sehen in den letzten zehn Jahren, ist Simon Pierro, der iPad-Magier. Er hat zunehmend Erfolg, tritt mittlerweile weltweit auf und boomt jetzt auch in Amerika. Er verblüfft einfach jeden mit seinen iPad-Künsten.

Dann gibt es andere, die ich noch aus den Zeiten meines Vaters kenne, wie zum Beispiel die Fernsehmoderatoren Ulrich Wickert oder Cherno Jobatey, mit denen mich zum Teil auch freundschaftliche Beziehungen verbinden.

anfänge Nach meinem dreijährigen Aufenthalt in Tel Aviv habe ich für die Universität Haifa deutschlandweit Events organisiert – von Lesungen bis zu Abendveranstaltungen mit Persönlichkeiten wie beispielsweise Helmut Schmidt und Iris Berben.

Anschließend habe ich als Veranstaltungsmanagerin im Düsseldorfer Hotel InterContinental gearbeitet. Drei Jahre nach meinem Eintritt in die »Internationale Künstler- und Medienagentur Paul Spiegel« haben wir die Agentur geschlossen, und ich habe im Anschluss meine eigene Agentur »spiegel events & pr« daraus gegründet. Sie kombiniert Eventorganisation und Künstlervermittlung.

Ich würde schon sagen, dass mein Vater mich geprägt hat – sowohl beruflich als auch privat. Ich bin im selben Berufsfeld gelandet. Schon als Sechsjährige ging ich immer sehr gern mit ihm zu den Veranstaltungen, die er organisiert hat.

Ich wollte immer backstage sein – erfahren, was hinter den Kulissen passiert, was zu tun ist, die Atmosphäre erleben. Das hat mich ziemlich stark geprägt – seine Professionalität, die Pünktlichkeit, die Präzision. Wir waren uns immer einig, dass ich das von ihm geerbt habe.

opi paul Bei Entscheidungen frage ich mich oft: Wie würde er jetzt handeln? Allgemein, im Alltag, denke ich sehr oft an ihn. Umso mehr, seit mein vierjähriger Sohn auf der Welt ist. Mein Vater ist der »Opi Paul«. Es ist unsagbar traurig, dass er das alles nicht mitbekommt. Gerne wäre er Opi Paul gewesen. Aber ich versuche, ihn für meinen Sohn am Leben zu halten, indem ich ihm sehr viel von ihm erzähle.

Je älter er wird, desto mehr werde ich erzählen, weil es mir schon sehr wichtig ist. Immer wieder kommen irgendwelche Witze aus meinem Mund oder aus dem meiner Schwester. Dann sagen alle: Das war Papas Witz. Oder in bestimmten Situationen: Das hätte Papa gesagt. Das ist so in uns.

Vor vier Jahren zog ich nach Frankfurt. Die Stadt war mir nicht ganz fremd, da meine Schwester hier schon einmal gewohnt hatte. Frankfurt hat sehr viele grüne Flächen, viele Parks, die wirklich schön sind.

Wenn man Mutter eines kleinen Kindes ist, dann geht man viel an die Luft. Da habe ich viele Parks ausprobiert, die Spielplätze und Wiesen. Man sieht das Ganze ein bisschen aus einer anderen Perspektive.

gemeinde Düsseldorf, das ist emotional. Da bin ich geboren und aufgewachsen. Meine Mutter wohnt noch dort, und ich habe sehr gute Freunde vor Ort. Ich versuche, so oft es geht hinzufahren und genieße es dann auch sehr.

Als ich nach Frankfurt kam, habe ich mich sehr gefreut, dass zeitgleich auch der Rabbiner von Düsseldorf dorthin gewechselt ist. Den Bezug zur Gemeinde habe ich sehr schnell gesucht – ich bin oft dort. Die Frankfurter Gemeinde bietet sehr viel.

Mir ist das jüdische Leben auf jeden Fall wichtig. Und auch die jüdische Erziehung. Ich bin nicht religiös, eher traditionell. Das heißt für mich unter anderem, dass ich die Hohen Feiertage feiere.

In meiner Freizeit bin ich einfach gerne mit Familie und Freunden zusammen. Wenn die Zeit es zulässt, nutzen wir auch das vielfältige kulturelle Angebot in Frankfurt wie Oper und Theater. Und wenn ich etwas Sportliches unternehme, dann ist das eindeutig Tanzen. Ich tanze sehr, sehr gerne, und zwar sportlichen Tanz, Zumba oder Ähnliches.

öffentlich In der Zeit, als mein Vater Zentralratspräsident war, bekam ich von seinem öffentlichen Leben sehr viel mit. Er fragte mich und meine Schwester oft nach unserer Meinung, oder er las uns vorher seine Rede vor. In diese Fragen integrierte er nicht nur unsere Mutter. Ihm war es immer wichtig, mit beiden Füßen auf dem Boden zu bleiben, und er wollte, dass wir ihn dabei unterstützen.

Ich denke oft darüber nach, was er in der jetzigen gesellschaftlichen Situation sagen würde. Ich weiß gar nicht, ob er glauben könnte, was momentan für eine Stimmung in Deutschland herrscht.

Er hatte die Hoffnung, dass alles ein bisschen besser wird. Er wäre, glaube ich, ganz schön geschockt: Antisemitismus, woher auch immer er kommt – sicher wären seine Antworten heute weniger zuversichtlich.

In diesem Jahr liegt eine sehr emotionale Veranstaltung vor meiner Familie: Im Mai wird der Zentralrat anlässlich des zehnten Todestags meines Vaters ein Zehnjahres-Memorial organisieren.

Ich werde sicher nervös sein an dem Tag. Aber solch eine Gedenkveranstaltung ist eine tolle Sache. Wir sind dem Zentralrat sehr dankbar, dass er meinem Vater dadurch eine solche Ehre zuteilwerden lässt.

Dass es jetzt schon so lange her ist – kaum zu glauben. Ich weiß, dass ich an seinem Todestag, am 30. April, auf einer von mir organisierten Veranstaltung sein muss. Ich habe eine Weile darüber nachgedacht, ob ich das machen soll, aber ich denke, es ist das Beste. Ich möchte nicht zu viele negative Gedanken an diesem Tag haben. Daher tut Ablenkung gut.

humor So haben wir das auch in den letzten Jahren gehandhabt. Wir denken sowieso an ihn. Und an seinem Geburtstag, am 31. Dezember, stoße ich auch gerne mal mit einem Glas Wein auf ihn an.

Für mich war es schon immer ein Riesenwunsch, ein Kind zu haben. Und ich muss sagen, ich bin eine superglückliche Mutter.
Mein Sohn hat viel von meinem Vater. Das ist ein schönes Gefühl. Und er hat in seinen jungen Jahren einen sehr guten Humor, ist nur am Lachen. Genau wie Opi Paul.

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