Die vom Architekten Manuel Herz entworfene Neue Synagoge in der Mainzer Neustadt gefällt Jan Guggenheim: dieser Bau mit kaum rechten Winkeln, dessen mit glasierten Keramikplatten verkleidete Fassade an sonnigen Tagen in kräftigem Dunkelgrün und Schwarz leuchtet. Auf dem silberfarbenen Eingangsportal, ein Blickfang, steht in großen hebräischen Buchstaben: »Leuchte des Exils«.
Jan Guggenheim, seit Anfang Oktober vergangenen Jahres neuer Rabbiner der Jüdischen Gemeinde, schätzt das Haus, in dem ein Festsaal, eine koschere Küche, ein Klub- und ein Schulraum, Sozialdienst, Gemeindebüros, Bibliothek, Sitzungszimmer und eine Rabbinerwohnung untergebracht sind. Dessen Herz ist der eindrucksvolle Gebetsraum. Er leuchtet, bewerkstelligt durch einen großen Trichter gen Himmel, durch den Licht fällt, beinahe golden. Das elektrische Licht müsse nur bei Dunkelheit oder wolkenverhangenem Himmel eingeschaltet werden, erzählt Guggenheim lächelnd.
Corona Die Zeugnisse der Zeit sind hier deutlich zu spüren, Stühle stehen in coronakonformen Abständen zueinander, an den Eingängen befinden sich Desinfektionsmittelspender. Die 450 Gäste, die der Raum in Vor-Corona-Zeiten bei gemeindeinternen und öffentlichen Veranstaltungen fasst, durften lange nicht mehr kommen. Es seien schwere Zeiten, sagt Guggenheim: »Corona hat einen Schaden hinterlassen, aber wir können glücklich sein, dass das Gebet möglich ist.«
Mit 15 ging Jan Guggenheim nach Israel und machte in einem Ort Nahe Tel Aviv sein Abitur.
Es war kein leichter Start für ihn. Doch der nachdenkliche 35-Jährige mit den wachen Augen bleibt optimistisch. Jan Guggenheim hat einen langen Weg hinter sich. 1986 im nordrhein-westfälischen Duisburg geboren, erlebte er mit 13 Jahren eine Art Initiationsmoment. »Der Wunsch, ganztags mit einer Kippa herumzulaufen und mich vollends dem jüdischen Glauben zu widmen, kam mit meiner Barmizwa«, erzählt Guggenheim. Mit 15 ging er nach Israel und machte dort sein Abitur am Gymnasium nördlich von Tel Aviv, in Kfar Haroeh. Es sei ein religiöses Internat gewesen, in dem morgens religiöse Fächer gelehrt wurden und abends weltliche, erzählt der Rabbiner.
Anschließend lernte er für dreieinhalb Jahre an der Yeshivat Kerem be Yavne, hauptsächlich Talmud, absolvierte dort auch eine Ausbildung zum Sofer und entwickelte nebenher seine Fähigkeiten als Vorbeter und Baal Kore weiter. Nach einem weiteren halben Jahr Studium an der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg kehrte Guggenheim nach Israel zurück, um seinen 16-monatigen Armeedienst abzuleisten.
Rabbinerseminar Ab 2012 lernte er am Rabbinerseminar zu Berlin, in dem er 2016 ordiniert wurde. Parallel zur Rabbinerausbildung studierte er in Erfurt Jüdische Sozialarbeit. »Traditionell hatten Rabbiner einen weiteren Beruf«, erklärt Guggenheim, »und dieser Tradition ist das Rabbinerseminar treu geblieben.« Auch wenn er selbst eine Vollzeitstelle in Mainz hat, liegt dem Rabbiner diese Zweigleisigkeit sehr am Herzen.
Jan Guggenheim sagt, Rabbiner sollten einen weiteren Beruf haben.
Teilzeitmodelle für Rabbiner halte er für äußerst interessant. Zum einen für Gemeinden, die sich vielleicht keinen Rabbiner in Vollzeit leisten können, zum anderen für die Rabbiner selbst, die sich und ihre Erfahrungen anderweitig einbringen können. Jan Guggenheim profitiert von seiner dualen Ausbildung, schließlich gehe es hier wie dort darum, »den Menschen so zu akzeptieren und zu respektieren, wie er ist«.
Hobbys Guggenheim, der in seiner Freizeit gerne Fahrrad fährt, Fußball spielt und schwimmt, ist mit seiner Frau und seinen beiden Kindern aus Fürth nach Mainz gezogen. Nach einem halben Jahr als Gemeinderabbiner der Jüdischen Kultusgemeinde Karlsruhe war er zuletzt mehr als vier Jahre Gemeinderabbiner in Fürth. Und warum Mainz?
Die rheinland-pfälzische Landeshauptstadt, die zu den SchUM-Städten gehört, sei eine der ältesten und traditionsreichsten jüdischen Gemeinden Europas. Und: »Mainz hat uns am besten gefallen, vor allem auch wegen der ausgeprägten jüdischen Alltagskultur«, erzählt er. Seine Frau arbeitet als Erzieherin im Jüdischen Kindergarten in Frankfurt, in dem auch das jüngere der Kinder betreut wird, das ältere besucht die jüdische Schule gleich nebenan.
Rund 1000 Mitglieder hat die Jüdische Gemeinde in Mainz, zu der auch Worms und kleine Städte im Umkreis zählen.
Rund 1000 Mitglieder hat die Jüdische Gemeinde in Mainz, zu der auch Worms und kleine Städte im Umkreis zählen. Guggenheim möchte seiner Gemeinde eine Anlaufstelle sein, außerdem liegt ihm viel daran, das umfangreiche Programm zu gegebener Zeit wiederaufleben zu lassen und zu ergänzen. Auch die guten Verbindungen zur Stadtgesellschaft möchte der Rabbiner weiter ausbauen. »Gemeinde und Stadt sind interessiert an einer Zusammenarbeit«, weiß Guggenheim. Es gebe bereits jetzt mehr Austausch aufgrund der häufigen Führungen durch die Synagoge.
Buch Mit ihrem unlängst von der Jüdischen Gemeinde herausgegebenen Buch Zur neuen Mainzer Synagoge und zu ihren Menschen hat die Mainzer Autorin Irina Wittmer ein knackiges Kompendium als Basis für Führungen durch die Synagoge verfasst. Es sei eine lesenswerte Lektüre geworden und für ihn auch geschichtlich sehr wichtig, »sehr hilfreich, um anzukommen«, sagt Guggenheim.
Angekommen ist Jan Guggenheim in einer Gemeinde, in der der jüdisch-liturgische Begriff Keduscha, Heiligung und Erhöhung, eine wichtige Rolle spielt. Die fünf hebräischen Buchstaben des Wortes sind in die Dachkonstruktion der Neuen Synagoge Mainz eingeschrieben. Unter diesem Dach bringt fortan Jan Guggenheim das Weltliche mit der Religion zusammen.