Es war der 14. Mai 1948 (5. Ijar 5708). Der Radiosender Kol Israel brachte die Nachricht in die Häuser der Menschen: »Israel ist ein unabhängiger Staat.« Kein Mandatsgebiet mehr, keine jüdische Siedlung, kein bloßes Kapitel im Geschichtsbuch. Es war Realität im Hier und Heute: ein eigener jüdischer Staat, von seinen Nachbarn getrennt durch eine internationale Grenze. Die Stimme David Ben Gurions tönte aus den Lautsprechern und veränderte das Leben der Juden nicht nur innerhalb dieser Grenzen, sondern auch im Ausland.
Diese weltbewegende Nachricht drang an jenem Tag auch ins Haus der Mendelsons. Auch dort war das Radiogerät an diesem Nachmittag der Hauptakteur. Die Familie ging später mit Tausenden anderen auf die Straßen von Tel Aviv, um zu feiern, zu tanzen und zu jubeln. Es war der Beginn von etwas ganz Neuem, ein Geschenk an alle Juden, die in der Vergangenheit zu viel Grauen erlebt hatten.
Familienerbe Smadi Mendelson war damals noch nicht auf der Welt, kennt aber die Geschichten über jene Zeit durch ihre Eltern sehr gut. Sie sind wie ein Familienerbe, das seitdem an die nächsten Generationen weitergegeben wird. Heute lebt sie in Düsseldorf und unterrichtet Hebräisch. Vor über 20 Jahren hat sie Tel Aviv verlassen – der Liebe wegen.
Ihre andere Liebe, nämlich die zu Israel, ist dennoch nicht verblasst. Wenn sie über ihre Heimat spricht, spürt man ihre Verbundenheit, die Wärme, die Begeisterung für ihr Vaterland. Smadi Mendelson ist Patriotin Israels – das gibt sie offen zu. Sie klingt stolz: »Viele wollen uns da unten nicht – aber Israel gibt’s trotzdem. Das muss man erst einmal schaffen.«
Stolz auf Israel – das ist man auch in der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen. Inna Maschinski arbeitet hier in der Verwaltung. Sie übersetzt viel aus dem Russischen ins Deutsche und muss den Gemeindemitgliedern täglich mit Rat und Tat zur Seite stehen. Israel hat sie nur einmal besucht. Doch diese eine Reise hat ihr gereicht, um sich in das Land zu verlieben.
Zugehörigkeit »Obwohl ich nicht dort lebe und meine ganze Familie hier in Deutschland ist, verbindet mich sehr viel mit Israel«, sagt Maschinski. »Es ist eine Art innerer Zugehörigkeit zu dem Land. Wegen meiner jüdischen Natur berührt mich alles, was mit Israel zu tun hat, sehr.«
Auch Israels Politik. Nationale und internationale Konflikte seien in den Gesprächen der Gemeindemitglieder immer präsent. »Wenn es da unten Schwierigkeiten gibt, dann leiden wir hier in Deutschland immer ein Stück weit mit und stehen auf Israels Seite«, sagt die gebürtige Ukrainerin. »Position für Israel beziehen – das ist meine Pflicht als Jüdin.« Inzwischen lebt Inna Maschinski seit 18 Jahren in Deutschland. Jetzt nach Israel zu ziehen, kommt für sie nicht infrage. »Das Leben ist sehr hart drüben«, weiß sie aus Erzählungen. »Und ich bin sehr gern in Deutschland, genieße das jüdische Leben in unserer Stadt und in der Gemeinde.«
Zionismus »Neben Milch und Honig fließen in Israel auch viel Schweiß und Ärger – das Leben ist oft sehr hart«, sagt Michael Naor. Trotzdem schlägt sein Herz für seine Heimat. Im Alter von 36 Jahren ist der deutsch-israelische Psychologe aus Israel weggezogen und lebt bereits seit zwei Jahrzehnten in Deutschland, dem Geburtsland seiner Frau. Neben seinem eigentlichen Beruf engagiert sich Michael Naor in Deutschland für den Zionismus und setzt sich für das Verbreiten guter Nachrichten aus Israel ein.
»Ich führe hier in Deutschland ein relativ bequemes Leben«, gibt er zu, »aber in Israel – da bin ich zu Hause.« Er schätzt die Offenheit der Israelis und ihr gesellschaftliches Engagement. »Dort geht jeder demonstrieren, weil er etwas zu sagen hat«, erzählt er, »und es vergeht keine Taxifahrt ohne ein politisches Gespräch.« Ob das mit der Geschichte Israels zu tun hat? Ja, findet Michael Naor, das Volk habe in den vergangenen Jahrzehnten gelernt, sich zu wehren und die Probleme selbst anzupacken.
In seiner Kindheitserinnerungen, erzählt Naor, seien die Einschusslöcher im Mauerwerk seines Elternhauses in Tel Aviv. Ob er deswegen Israel verlassen hat? Nein. Das Sicherheitsproblem in Israel gehöre für ihn schon immer zum Alltag. »Damit habe ich mich schon früh abgefunden und versucht, das Beste daraus zu machen.« Und obwohl die Zeit beim Militär nicht immer leicht gewesen sei, habe er dort »wunderbare Freundschaften geschlossen«. Seiner Meinung nach überwiegen Israels Errungenschaften die Probleme, die das Land hat.
Zusammenhalt Smadi Mendelson schätzt auch die Herzlichkeit der Israelis sehr. »Das ist wie Klebstoff – die Menschen dort sind ihren Freunden und ihrer Familie viel verbundener als hier. Da hat jeder seinen Clan.« Dieser Klebstoff, ihr persönlicher »Clan« – das fehle ihr hier in Deutschland ein wenig. Aber als sie damals jung und verliebt Israel verließ und sich auf den Weg gen Deutschland machte, wusste sie nicht, was sie erwartete.
Umso schwerer fiel Mendelson die Entscheidung zu gehen. Auch ihre Umgebung machte ihr die Abreise nicht einfacher. »In dieser Zeit waren die Menschen in Israel noch patriotischer als heute. Da war es fast schon verpönt, das Land zu verlassen«, erinnert sie sich.