Kampfjets, gepanzerte Fahrzeuge und Tausende russische Soldaten auf ukrainischem Boden – die Ereignisse rund um die Krim-Krise werden in diesen Tagen weltweit mit großer Sorge verfolgt. Noch vor wenigen Wochen schien es undenkbar, dass sich die politische Situation auf der Halbinsel derart dramatisch zuspitzen könnte. Entsprechend besorgt sind auch viele ukrainische Juden in Deutschland, deren Verwandte, Freunde und Bekannte noch in der alten Heimat leben.
angst Eine von ihnen ist Anna Geuchmann aus Berlin. Die 24-jährige Politikstudentin hat die Bewegung gegen den mittlerweile gestürzten Präsidenten Viktor Janukowitsch in den vergangenen Monaten aufmerksam verfolgt. Extrem besorgt war die gebürtige Ukrainerin, als das Regime die Demonstranten auf dem Maidan mit scharfer Munition beschoss. In dieser Zeit hielt sich Geuchmanns Vater beruflich in der Ukraine auf. »Meine Mutter und ich hatten schreckliche Angst«, erinnert sie sich. »Zum Glück ist alles gut gegangen.«
Nach der Eskalation auf der Krim sieht die Studentin nun die Bundesregierung, die EU, die USA und die NATO in der Pflicht. Ihrer Einschätzung nach benötigt die Ukraine sofortige Unterstützung – ganz gleich, ob diplomatischer oder militärischer Art. »Es war klar, dass Putin den Machtwechsel in der Ukraine nicht einfach so akzeptiert«, ist Geuchmann überzeugt. »Aber dass er militärisch interveniert und damit Völkerrecht bricht, das hat meine Vorstellungen übertroffen.« Jetzt sei es Aufgabe der internationalen Gemeinschaft, einen Krieg in Europa zu verhindern.
kämpfe Zutiefst besorgt über die Ereignisse in der Ukraine ist in diesen Tagen auch Ilana Gluz aus Köln. Als die Auseinandersetzungen auf dem Maidan, dem zentralen Versammlungsplatz der Protestierenden in Kiew, und auf der Krim eskalierten, war ihr erster Impuls, »mitzukämpfen oder wenigstens dort zu sein und aktiv zu helfen«, berichtet die 19-Jährige. »Ich hatte Panik, dass es Krieg in meinem Land gibt.« Am schlimmsten ist es für die Schülerin, untätig bleiben zu müssen, während die Menschen in der Ukraine nach wie vor um Freiheit und Demokratie ringen.
Denn wie ihre Kiewer Bekannten, die Teil der Protestbewegung auf dem Maidan waren, sieht auch Gluz die Zukunft der Ukraine alles andere als optimistisch: »Meine Freunde sagen, dass sie nicht an eine Umgestaltung glauben. Janukowitsch wurde von Julia Timoschenko abgelöst, aber das ist auch keine Lösung, denn sie alle haben zu dieser Katastrophe beigetragen.« Immerhin sei Antisemitismus für die Demonstranten in Kiew kein Thema gewesen, so Gluz’ Eindruck: »Im Gegenteil, man kämpfte auf dem Maidan gemeinsam für ein Ziel: Demokratie.«
Heimat Wie sehr sie sich mit der politischen Situation in der Ukraine beschäftigt, hat die Schülerin selbst überrascht. »Wie viele Juden mit Migrationshintergrund in Deutschland habe auch ich ein starkes Identifikationsproblem, was Nationalität und Heimat betrifft«, erklärt sie. »Letztlich bin ich ein Mensch ohne richtige Heimat.« Gleichwohl hofft Ilana, dass der Umsturz in der Ukraine das Land zum Positiven wandeln wird. »Trotz meiner Heimatlosigkeit ist die Ukraine neben Deutschland das Land, das für mich am ehesten Heimat ist.«
Mit einer Mischung aus Besorgnis und Interesse verfolgt Boris Turovskiy aus München die Situation in seinem Heimatland. Das Mitglied der Piratenpartei engagierte sich schon als Jugendlicher in Moskau politisch, nahm unter anderem an den Protesten gegen den Chodorkowski-Prozess teil. »Und ich war indirekt an der Gründung der russischen Piratenpartei beteiligt«, fügt der 27-Jährige nicht ohne Stolz hinzu.
aufmarsch Der Student und freiberufliche Übersetzer sieht in dem zunächst geplanten Verbot von Russisch als Amtssprache, das vergangene Woche nur durch ein Veto von Ukraines Interimspräsident Alexander Turtschinow verhindert wurde, einen Grund für die Verunsicherung der Krim-Bevölkerung. »Dass Putin darauf mit einem militärischen Aufmarsch reagiert hat, schürte wiederum Angst im Rest der Ukraine«, findet Turovskiy, der auch schon mehrere Jahre in Russland gelebt hat.
Über die neuesten Nachrichten aus der Ukraine tauscht er sich regelmäßig mit seinen Freunden in Moskau aus. »Viele sind verunsichert. In welche Richtung es weitergeht, weiß ja niemand«, erklärt Turovskiy. »Richtig zuversichtlich, dass sich etwas prinzipiell zum Besseren wendet, sind die wenigsten – auch ich nicht.«
Dass es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kam, überraschte Turovskiy hingegen nicht: »Auch in der Westukraine haben ultranationalistische Tendenzen eine lange Tradition. Schon während der russischen Revolution gab es dort Gruppen, die ihren Hass gegen Russen und Juden richteten und dafür von der Bevölkerung unterstützt wurden.«
Wie alle in Deutschland lebenden Juden aus der Ukraine hofft Turovskiy nun, dass die Lage auf der Krim und in der Ukraine sich wieder beruhigt. »Die Radikalen müssen rechtzeitig gebremst werden, damit es kein weiteres Blutvergießen mehr gibt«, wünscht er sich. »Weder auf ukrainischer noch auf russischer Seite.«